Kino:Im Mahlstrom

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Wenn jemand halluzinogene Drogen in den Drink mixt, ist alles zu spät: "Climax" von Gaspard Noé. (Foto: Alamode)

LSD für die Augen: "Climax", das neue Werk des Skandalfilmers Gaspard Noé, ist ein Mahlstrom aus Gewalt und kreischendem Lärm - und extrem nervig.

Von Philipp Stadelmaier

Dies ist einer der Filme, die für die große Leinwand, für den Kinosaal gemacht sind. Damit man aufstehen und gehen kann. Dies ist kein böses Kritiker-Urteil über das neue Machwerk der Skandalfilmnudel Gaspard Noé, sondern soll lediglich dessen Intention zur Geltung bringen. Denn während anfangs eine blutende Frau durch den Schnee kriecht, zeigt Noé den Abspann des Films. Als würde er mit dem Moment beginnen, ab dem man den Saal verlassen kann. Als sei der folgende Malstrom aus Gewalt und kreischendem Lärm eigentlich dazu bestimmt, die Leute schockiert aus dem Saal zu jagen.

Die Sache beginnt harmlos. Einundzwanzig vor allem französische Hip-Hop-Tänzerinnen und Tänzer, die zusammen in den USA auf Tour gehen werden, haben sich in einer Jugendherberge zusammengefunden, wo sie proben und sich besser kennenlernen wollen: Frauen und Männer, Schwarze und Weiße, Schwule und Heteros. Franzosen sind sie aber allemal. Frankreich sei das Beste, denen in den Vereinigten Staaten werde man schon den Arsch aufreißen. Noé selbst knallt, bevor sein Film richtig losgeht, eine Trikolore auf die Leinwand. Darauf steht: "Ein französischer Film, und stolz, einer zu sein."

Nationalismus und Sexismus: Damit kann man heutzutage wunderbar schockieren

Es ist dies der erste ästhetische Schock des Films. Und mit Schocks kennt Noé sich aus. In "Irreversible" hatte er eine der unerträglichsten und längsten Vergewaltigungsszenen der Filmgeschichte gezeigt, "Enter the Void" endete mit einer Vaginoskopie, "Love" war quasi ein Porno, gedreht auf 3-D. In seinem neuen Spielfilm "Climax", der dem Namen nach an den Vorgängerfilm anschließt und beim diesjährigen Filmfestival von Cannes in der Nebenreihe Quinzaine des Réalisateurs gezeigt wurde, schockiert Noé erst mal (nur) mit Nationalismus. Womit nicht gesagt sein soll, dass Noé in unseren nationalistischen Zeiten ein Nationalist ist. Er haut nur einfach gern auf die Kacke, je schriller, desto besser. Weswegen die glitzernde Frankreich-Flagge vor allem eines ist: nervig.

Die stolzen Französinnen und Franzosen tanzen dann in einer für den Zweck umfunktionierten Turnhalle erst mal ihre Hip-Hop-Choreografie, was zunehmend in eine Party übergeht. Dabei ergänzt Noé den nervigen Nationalismus um einen ebenfalls nervigen Sexismus, mit dem man heutzutage ja ebenfalls wunderbar schockieren kann. Da sind die beiden schwarzen Schwergewichte, die kichernd in einem endlosen Gespräch erörtern, wie, wo und wann sie ihre "Anakondas" auspacken und in Vaginas oder Ärsche stecken, mit Gleitgel oder ohne. Aber selbst das schmächtige weiße Bürschchen (Romain Guillermic) schwadroniert, auch Lesben bräuchten irgendwann mal einen Penis.

Diesen hohlen Maskulinismus kann man immer noch so interpretieren, dass Noé zeigen will, wie roh, unkultiviert und extrem seine Figuren sind. Er kann sich natürlich auch auf die Macht des Alkohols berufen, der ja bekanntlich einige Zungen lockert. Auf einem Holztisch steht ein riesiger Kübel Sangria, daneben alibimäßig ein paar Knabbereien. Jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch weiß, dass man vor dem Trinken was Ordentliches im Magen haben sollte und ein paar Salzstangen nichts ausrichten können, wenn man mit dem Saufen schon angefangen hat. Klar ist aber auch, dass man sich noch so gut auf ein Trinkgelage vorbereiten kann - wenn jemand halluzinogene Drogen in die Drinks mixt, ist alles zu spät. Und genau das passiert hier.

Es beginnt mit einer Einstellung von oben, die Tänzer tanzen, und auf einmal beginnt die Kamera, sich zu drehen. Ebenso merken die Tänzer, wie sie langsam auf einen psychotischen Trip geschickt werden. Die Kamera folgt ihnen, wie sie durch die Gänge wanken, die irgendwann nur noch in das Rotlicht der Notbeleuchtung getaucht sind und erfüllt von panischen Schreien. Niemand weiß, wer warum die Drogen eingeschleust hat. Unter den Tänzern befindet sich eine junge Frau, die lange in Berlin gelebt hat und den klingenden Namen Psyche trägt (Thea Carla Schott). Mittlerweile nicht mehr: "Zu viele Drogen." Am Ende habe sich ihr Mitbewohner LSD in die Augen geträufelt. Wenn der Film vorbei ist, klingt das nach dem, was man gesehen hat.

Aber gegenseitige Verdächtigungen und Wahnvorstellungen führen dazu, dass der Trip ziemlich gewalttätig wird. Dass Leute pissend, kopulierend und schreiend sich auf der Tanzfläche wälzen, ist nichts gegen die Szene, in der einer schwangeren Tänzerin, in der man die Sangria-Vergifterin vermutet, in den Bauch getreten wird, während die Menge sie zu Abtreibung und Selbstmord anfeuert.

Genau so fühlt sich der Zuschauer: Noé träufelt ihm LSD in die Augen, während er ihm unablässig Tritte in den Magen verabreicht. So steigert sich das Schocklevel des Films in der zweiten Hälfte von "nervig" zu "extrem". LSD für die Augen - immer gerne. Die Tritte hätte man sich ersparen können. Sie treiben einen Richtung Ausgang.

Climax , F 2018. - Regie und Buch: Gaspard Noé. Kamera: Benoît Debie. Mit Sofia Boutella, Romain Guillermic, Souheila Yacoub. Alamode Film, 95 Min.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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