Warnstreik:So kann es bei der Bahn nicht weitergehen

Störungen, Baustellen, Personalmangel und jetzt: Streik. Die Misere der Bahn ist offenkundig. Die Maßnahme der Gewerkschaft geht trotzdem zu weit.

Kommentar von Henrike Roßbach, Berlin

"Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was verzählen", dichtete Matthias Claudius im späten 18. Jahrhundert. Die Eisenbahn meinte er damit naturgemäß nicht, heute aber ist die Deutsche Bahn unangefochten die Nummer eins, was Reiseanekdoten angeht. Leider sind es allzu oft wenig erbauliche.

Inzwischen gehört zu jeder Ankündigung einer Bahnreise der Zusatz: Wenn alles klappt. Und wenn einen der Staatskonzern tatsächlich einmal reibungslos von A nach B gebracht hat, empfindet man das geradezu als Wunder. Die Hürden zwischen dem Start- und Zielbahnhof scheinen unüberwindlich: kaputter Zug, ausgefallener Zug, fehlender Lokführer, Signalstörung, Weichenstörung, Störung im Betriebsablauf, Baustelle. Hinzu kommen die Unannehmlichkeiten, die Zugfahrer jenseits der Pünktlichkeit ertragen müssen: geschlossene Bordbistros, gesperrte Toiletten, umgekehrte Wagenreihung, ausgefallene Reservierungssysteme, nicht öffnende Türen.

So kann es nicht weitergehen, das wissen alle. Das wissen die Manager im gläsernen Bahn-Tower am Potsdamer Platz in Berlin. Das wissen die Verkehrspolitiker im Bundestag, den man vom Bahn-Turm aus sehen kann, das weiß der Bundesverkehrsminister - und das wissen die Mitarbeiter der Deutschen Bahn samt der Gewerkschaften, die ihre Interessen vertreten. Sie ziehen nur alle zum Teil deutlich unterschiedliche Schlüsse aus der Misere.

Die Verkehrsgewerkschaft EVG hat sich dafür entschieden, ihre Macht voll auszuspielen. Dass es mies läuft, liegt ihrer Meinung nach in erster Linie an zu wenig Personal und das wiederum an zu wenig attraktiven Arbeitsbedingungen. Letzteres will sie nun unbedingt ändern, daran lässt der Warnstreik keinen Zweifel.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Die Bahn hat wirklich zu wenige Leute, und Warnstreiks sind legitime Mittel im Tarifstreit. Erlaubt sein muss aber auch der Blick auf den Stein des Anstoßes. Und der ist im Fall des EVG-Warnstreiks wohl eher ein Kiesel.

Im Vergleich mit anderen Branchen stünden die Bahner nicht schlecht da

7,5 Prozent mehr Geld verlangt die EVG, zusätzlich sollen die Bahn-Mitarbeiter noch mehr als bisher die Möglichkeit haben, zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit zu wählen. Insgesamt umfasst ihr Forderungskatalog 37 Punkte, und nach der dritten Verhandlungsrunde hatte sie verkündet, die meisten bereits durchgesetzt zu haben. Die vierte Runde scheiterte dann aber trotzdem spektakulär; an - wie die EVG freimütig vorrechnet - einem Prozentpunkt zu wenig Geld und der Forderung der Bahn, der neue Tarifvertrag solle 29 statt 24 Monate laufen. 5,1 Prozent mehr Geld hatte die Bahn angeboten, plus einmalig 500 Euro. Damit stünden die Bahner nicht schlecht da gemessen an dem, was zuletzt in Tarifverhandlungen im Schnitt drin war.

Natürlich darf die EVG unzufrieden sein, dass die Bahn sich ihre Forderung nicht vollständig zu eigen gemacht hat. Ob das allerdings gleich einen Warnstreik mit derart gravierenden Folgen für Millionen Pendler und Reisende rechtfertigt, darf man getrost bezweifeln. Denn die haben vermutlich schon genug Anekdoten gesammelt.

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