Popkolumne:Schrrröckliches Drrräuen

Diesmal mit neuer Musik von Charlotte Gainsbourg, Zayn und Gudrun Gut - sowie der Antwort auf die Frage, wie man sein Publikum fachgerecht zu Brei zerlärmt.

Von Jan Kedves

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Schlüpft Charlotte Gainsbourg in die Gelbweste und geht in Paris auf die Straße? In ihrem neuen Song "Bombs Away" singt die französische Schauspielerin, Mode-Ikone und Immer-besser-werdende-Musikerin jedenfalls von einer Königin, die nach Paris zurückmarschiert und von Priestern, die damit beschäftigt sind, Aufstände vorzubereiten. Das ist nicht ganz eindeutig, ok, irgendwie geht es in dem Song auch um London. Aber wenn zu den prächtig gleißenden Disco-Rock-Akkorden des Songs noch Zeilen gesungen werden wie "eine Dynastie endet", "Feinde können niemals Freunde sein" und "die Metropole explodiert" - dann verdichtet sich doch der Eindruck, dass die "Gilets Jaunes" gemeint sein könnten. Wobei Gainsbourg diesen Song für ihre neue, wunderbare EP "Take 2" (Because Music) schon vor Ausbruch der Proteste aufgenommen haben muss. Gute Künstler sollen ja eine ausgeprägte, quasi antizipative Sensorik haben, was soziale Zerwürfnisse angeht. Und weil die EP ja toll ist, gilt dies auch für "Runaway". "Let's have a toast for the assholes, let's have a toast for the scumbags": Aus Gainsbourgs Mund klingt das gleich noch vulgärer als bei Kanye West, der "Runaway" ja im Original gesungen hat. Währenddessen betont Gainsbourgs Hauchen die Eleganz der Melodie. Wenn Cover von Hits Qualitäten hervorbringen, die man bislang gar nicht so wahrgenommen hat, dann sind sie wirklich gut.

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In Berlin freut man sich derweil über das am vergangenen Freitag erschienene neue Album von Gudrun Gut. Die ist so etwas wie die Musikpatin der Stadt, zumindest für die experimentellere, untergrundigere Szene. In den Achtzigerjahren war Gut in Westberlin Gründungsmitglied der Einstürzenden Neubauten sowie der Frauenband Malaria! ("Kaltes Klares Wasser"), sie moderierte auf Radio Eins 15 Jahre lang die exzellente Sendung "Ocean Club" und setzt sich mit ihrem Label Monika Enterprise seit 1997 so konsequent und aktiv für Popmusikerinnen und deren geschäftliches und kreatives Fortkommen ein (Barbara Morgenstern, Masha Qrella, Michaela Melián), dass die Bezeichnung Aktivistin wohl passt. Ihr neues Album "Moment" (Monika Enterprise) führt über eine packende Dramaturgie von funky Geräusch-Assemblagen ("Shuttle Service") über dunkle Glam-Pop-Momente. In "Baby I Can Drive My Car" feiert Gut zu peitschendem Shuffle-Techno den Umstand, dass Frauen in Saudi-Arabien jetzt Auto fahren dürfen. "Boys Keep Swinging" ist eine aus Geräusch hervorgeschälte Coverversion des David-Bowie-Songs. Danach geht es wieder in Richtung Elektro-Akustik. Dass aus allen Sounds Musik werden kann, das zieht sich bei Gut sogar bis zum Albumtitel durch. Denn wenn man "Moment" abwechselnd deutsch und englisch ausspricht und sich dabei die Betonung der Silben verschiebt, vor und zurück, dann kann das schon Musik sein, wenn auch eher kein Pop.

Bei Zayn könnte man währenddessen fragen: Ist das überhaupt noch Musik? Oder schon die exakt kalkulierte, sämtliche aktuellen Charts-Tendenzen gleichzeitig ansteuernde Personal- und Sound-Überblendung aus den beiden Justins (Bieber und Timberlake) und Ed Sheeran? Immerhin hat Zain Malik, der bis 2015 in der irre erfolgreichen britischen Boyband One Direction sang, sich von der Fernseh-Casting-Welt, in der er seine ersten Schritte machte, emanzipiert und schon ein paar Solo-Nummer-1-Hits gehabt. Aber wie aus seinem neuen, am Freitag erscheinenden Doppelalbum "Icarus Falls" (RCA) ein künstlerisches Statement werden soll, darauf lassen die beiden vorab ausgekoppelten, sehr, sehr lahmen und blaupausenhaft klingenden Singles "Good Years" und "Rainberry" keinerlei Schluss zu.

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Nachdem in der vergangenen Woche an dieser Stelle die dänische Black-Metal-Sängerin Myrkur gelobt wurde, soll diese Woche nicht der Hinweis fehlen, dass die Band Venom aus Newcastle upon Tyne sich mit ihrem neuen Album "Storm The Gates" (Spinefarm Records) zum 40. Geburtstag selbst gratuliert, exhumiert, oder neu frisiert, oder was auch immer besser zu Wesen und Terminologie des Black Metal passt. Venom, gegründet 1978, gehören zu den Erfindern des Genres. Und allein das schrrröckliche Drrräuen, mit dem der Sänger Conrad "Cronos" Lant hier im Eröffnungssong "Bring Out Your Dead" das R rrrollt, zeigt schon, dass Venom immer noch sehr viel Spaß am morbiden Schocken und Schrammeln haben. In "Dark Lord" wird zum Beispiel mit ätzendstem Schmirgel-Thrash-Gegurgel für "summer holiday in hell" geworben. Und überhaupt: Röcheln, Blutspucken, das Publikum zu Brei zerlärmen und dazu einen Airbrush-Alien-Jesus aufs Cover packen: Das sind einige die Lieblingsbeschäftigungen dieser Männer.

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