Gesetzesentwurf zum Whistleblowing:Whistleblower bleiben Ritter im Unterhemd

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Viele Amerikaner halten den Whistleblower Edward Snowden schlicht für einen Verräter. (Foto: imago/Eibner Europa)
  • Die Bundesregierung hat ein Gesetz entworfen, das "größere Sicherheit" gewähren soll für "Menschen, die Missstände an die Öffentlichkeit bringen".
  • Das Vorhaben ist allerdings hoch umstritten.
  • Kritiker des Gesetzentwurfes fürchten Nachteile für die Presse- und Rundfunkfreiheit, speziell für den investigativen Journalismus,

Von Nicolas Richter

Edward Snowden hat die NSA bloßgestellt, John Doe die Panama-Kanzlei Mossack Fonseca, Brigitte Heinisch Pflegeheime in Berlin. Whistleblower leisten der Allgemeinheit einen Dienst, indem sie aufklären über Misswirtschaft, Kriminalität und Machtmissbrauch. Sie selbst aber sind meist ausgeliefert, verlieren ihren Job oder müssen sogar ins Exil.

Die Bundesregierung verspricht jetzt mehr Schutz: Sie hat ein Gesetz entworfen, das "größere Sicherheit" gewähren soll für "Menschen, die Missstände an die Öffentlichkeit bringen". Auf diese Sicherheit sollen sich Whistleblower nicht nur verlassen können, wenn sie klare Rechtsverstöße wie Steuerbetrug oder Abgasmanipulationen offenlegen, sondern auch bei unethischen Sachverhalten wie Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung im Ausland. In solchen Fällen müsse der Whistleblower künftig weder ins Gefängnis noch müsse er seinem Arbeitgeber Schadenersatz zahlen, erklärt das Justizministerium. Im Bundestag werden an diesem Mittwoch mehrere Experten angehört; verabschiedet wird das Gesetz frühestens 2019.

Allerdings ist das Vorhaben hoch umstritten. Schon der erste Entwurf aus dem Justizministerium hat massive Kritik hervorgerufen, vor allem bei Medien, Journalistenverbänden oder dem Verein "Whistleblower Netzwerk". Aus ihrer Sicht würde das neue Gesetz Whistleblower und Journalisten nicht stärken, sondern schwächen; diese stünden demnach nicht in einer neuen juristischen Rüstung da, sondern eher im Unterhemd. Die Bundesregierung hat ihren ersten Entwurf zwar nachgebessert, hat zum Beispiel eine Klarstellung eingefügt, wonach das Gesetz Meinungs-, Informations- oder Pressefreiheit nicht berühre. Aus Sicht der Kritiker aber ist das nicht konkret genug. ARD, ZDF, Zeitungs- und Zeitschriftenverleger verlangen weitere Änderungen und nennen diese "dringend erforderlich". Ansonsten drohten Nachteile für die Presse- und Rundfunkfreiheit, speziell für den investigativen Journalismus, der auf Zuträger und Informanten angewiesen ist.

Die Bundesregierung hat nicht etwa ein "Whistleblower-Schutzgesetz" vorgelegt, was das größtmögliche Signal dafür gewesen wäre, dass der Staat die Leistung der Aufdecker anerkennt. Seinem Wortlaut zufolge bewirkt das "Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen" eher das Gegenteil: Es will Betriebsgeheimnisse bewahren vor "unerlaubter Erlangung, Nutzung und Offenlegung". Die Bundesregierung setzt damit eine EU-Richtlinie von 2016 um; deren Ziel ist es, das lukrative Know-how europäischer Unternehmen zu schützen, und damit die Fähigkeit zur Innovation. Wer diese Geheimnisse entwendet, macht sich demnach strafbar und muss Schadenersatz an das Opfer zahlen.

Erlaubt ist das Ausplaudern von Geschäftsgeheimnissen nur ausnahmsweise, etwa - und hier kommen nun Whistleblower und Journalisten ins Spiel - "zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens". Von der juristischen Logik her wird der Whistleblower behandelt wie ein Wiesn-Besucher, der einen angetrunkenen Angreifer mit einem Faustschlag auf Abstand hält: Er tut etwas grundsätzlich Illegales (Schlagen), das aber ausnahmsweise erlaubt ist (Notwehr).

Das Problem mit dieser Konstruktion ist: Gegen den Schlagenden kann erst einmal ermittelt, sogar Anklage erhoben werden - schließlich hat er ja jemanden verletzt. Wenn der Verdächtige das Gericht am Ende davon überzeugen kann, dass er in Notwehr handelte, wird er freigesprochen. Ähnlich könnte es Whistleblowern und Journalisten ergehen: Sie dürften am Ende oft Recht bekommen, stünden aber, bis es so weit ist, mit einem Bein vor Gericht oder im Gefängnis. Aus der Sicht von Sendern und Verlegern entstehen dadurch "chilling effects", also eine abschreckende Wirkung: Informanten und Berichterstatter würden das Risiko einer strafrechtlichen Anklage oder einer Schadensersatzforderung im Zweifel meiden. Sender und Verleger verlangen deswegen, dass das Gesetz im Fall von Whistleblowern und Journalisten von vornherein nicht greift.

Umstritten ist auch ein Auskunftsrecht im Gesetzentwurf: Demnach kann die Firma, der ein Geschäftsgeheimnis abhandengekommen ist, vom "Rechtsverletzer" Auskunft darüber verlangen, von wem er das Geheimnis erfahren hat. Das liest sich so, als müssten Journalisten ihre geheimen Quellen verraten. Zwar können Reporter sich dagegen mit dem Hinweis wehren, sie seien keine "Rechtsverletzer". Aber auch hier steht das im Zweifel erst nach einem Gerichtsurteil fest. "In dieser Grauzone wird der Quellenschutz massiv gefährdet", sagt Benno Pöppelmann, Justiziar beim Deutschen Journalisten-Verband.

Die größten Risiken trägt aber nach wie vor der Whistleblower selbst. Im Gesetzentwurf heißt es, seine Taten seien gerechtfertigt (also nicht strafbar oder zum Schadenersatz verpflichtend), wenn er "in der Absicht handelt, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen". Medien und Politiker stoßen sich an dieser Formulierung, weil diese auf die Motivation des Whistleblowers zielt. Im Bundestag sagte der Linken-Abgeordnete Niema Movassat, dass das Gesetz auf die "Gesinnung des Handelnden" abstelle, während die EU-Richtlinie auf eine solche "Gesinnungsprüfung" verzichte. Tatsächlich heißt es im englischen EU-Text, der Whistleblower komme straflos davon, wenn er "zum Zweck" des Schutzes öffentlicher Interessen handele. Es geht also eher um den objektiven Nutzen, während das deutsche Gesetz auf den subjektiven Antrieb des Whistleblowers abstellt. Handelt er also eigennützig (aus Rache am verhassten Chef etwa), muss er womöglich mit Strafe rechnen - schließlich hat er ja nicht mit der Absicht gehandelt, der Gesellschaft zu helfen.

Kritik kam im Bundestag nicht nur von der Linken. Der FDP-Abgeordnete Roman Müller-Böhm rügte den Entwurf, weil ein Unternehmer "nahezu willkürlich" entscheiden könne, was ein Geheimnis sei. Und die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann mahnte einen umfassenden Schutz für Whistleblower an, der zum Beispiel auch vor Kündigungen schützen würde. Einen entsprechenden Gesetzentwurf haben die Grünen bereits vorgelegt.

Das Justizministerium hingegen verteidigt seinen Entwurf. Ein Sprecher betont auf Anfrage, dass "erstmals im deutschen Recht eine ausdrückliche Regelung zum Schutz von Hinweisgebern verankert wird". Dies schaffe mehr Rechtssicherheit für Informanten und Journalisten. Zur "Absicht" eines Whistleblowers, im öffentlichen Interesse zu handeln, erklärt er, der Begriff sei "denkbar weit gefasst und sollte daher keine unzumutbare Hürde für Hinweisgeber darstellen". Jedenfalls sei dies nicht mit einer "Gesinnungsprüfung" gleichzusetzen. Das Gesetz sei auch nur als "erster Schritt zu einem starken europäischen Rechtsrahmen für Hinweisgeber zu verstehen, der gegenwärtig auf europäischer Ebene verhandelt wird."

Wie groß das Problem der Whistleblower-Absicht aber bleibt, zeigt allein der Fall Edward Snowdens: Viele Amerikaner halten ihn schlicht für einen Verräter. Ein Whistleblower aber, dem böse Absicht unterstellt wird, ist jedenfalls nach dem neuen deutschen Recht kein gerüsteter Ritter, sondern ein trauriger Held ohne Schild.

© SZ vom 12.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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