Tschechien:Freiheit im Fluss

Tschechien: „Ein Fluss, aber auch eine Insel“: Das Gebäude des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Prag, zu dem auch der Kultursender Radio Vltava gehört.

„Ein Fluss, aber auch eine Insel“: Das Gebäude des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Prag, zu dem auch der Kultursender Radio Vltava gehört.

(Foto: Ludek/CC BY-SA 3.0)

Der Chefredakteur des tschechischen Kulturkanals Radio Vltava wurde abgesetzt. 1300 Kulturschaffende protestieren in einem Brief. Der tschechische Senat will die Kausa diskutieren.

Von Viktoria Großmann

Petr Fischer hat anscheinend vieles richtig gemacht, denn er hat viele Unterstützer. Der Chefredakteur des Kultursenders Radio Vltava (Moldau) wird in diesen Tagen zu einer Symbolfigur für das, was falsch läuft im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Tschechien. Vorwürfe werden laut, dass der Direktor der Sendeanstalt René Zavoral nicht unabhängig ist. Kommentatoren schreiben, es drohe ein Rückfall in sozialistische Verhältnisse.

Am Mittwoch wurde Fischers Vertrag nach nur zwei Jahren nicht verlängert. Was sonst üblich ist. Obwohl die Zahl der Hörer unter seiner Führung gestiegen ist. Und obwohl ihn fast die gesamte kulturelle Elite des Landes mit einem offenen Brief unterstützt. Seit Oktober haben 1300 Menschen unterzeichnet. Darunter die Direktorin von Nationaltheater und Staatsoper Silvia Hroncová, der Chef der Nationalgalerie Prag Jiří Fajt, der Leiter der Mährischen Galerie in Brünn Jan Press oder der Schriftsteller Jaroslav Rudiš.

Fischer sagt: "Der Rundfunkrat erfüllt seine Verpflichtungen nicht. Er bricht das Gesetz." Er berichtet von Kompetenzüberschreitungen, von Einmischung der geschäftsführenden Leiter ins Programm, davon, dass in den Rundfunkrat Vertreter ohne Sachverstand gewählt werden oder gar solche, die einer bestimmten Politik nahe stehen. Der Rundfunkchef Zavoral stehe in freundschaftlicher Beziehung zum Staatspräsidenten Miloš Zeman. Der Rundfunkrat entscheide über Gehälter und Verträge. "So wird ein Klima der Angst aufgebaut", sagt Fischer.

Vorzuwerfen ist Fischer wenig. Die hausinternen Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass er in seiner kurzen Amtszeit die Zahl der Hörer erhöht hat. "Ich habe meine Ziele zu 95 Prozent erfüllt", sagt Fischer. Er hat die Zugänglichkeit über das Internet und das Webangebot aus- oder überhaupt erst aufgebaut. Die Kulturszene schätzt ihn, weil er mit den Einrichtungen zusammenarbeitet. Die Gründe für seine Absetzung bezeichnet Fischer als "erfunden".

Ein Sprecher des Rundfunks erklärt, der Kultursender habe sich nicht wie erwartet entwickelt, er stagniere. Zudem habe man das Vertrauen in Fischer verloren. Das zielt offenbar auf die mediale Aufmerksamkeit, die der Fall bereits seit dem Sommer erhält.

Seit Monaten muss sich Fischer verteidigen, weil sein Sender angeblich pornografische Inhalte verbreitet hat. Es handelte sich dabei um eine Lesung aus dem Buch "Die Schönheitslinie" des Man-Booker-Preisträgers Alan Hollinghurst.

Einen echten Grund für Fischers drohende Absetzung vermag niemand zu erkennen. Es handle sich nicht um einen kontroversen Sender, der sich politisch profiliere, so die Einschätzung des Chefredakteurs des tschechischen Wochenmagazins Respekt. "Nur dass wir in Zeiten leben, in denen allein das Wort Kultur schon verdächtig ist", schreibt Erik Tabery weiter.

Fischers Unterstützer bitten in ihrem Brief sehr höflich den "sehr geehrten Herrn Generaldirektor" Fischers Amtszeit zu verlängern. Der Radiosender sei für Kulturschaffende und Künstler eine der prestigereichsten Plattformen des Landes, er sei unter Fischer für junge Hörer "cool" geworden und behandle alle Sparten sehr gerecht.

Der tschechische Rundfunk hat sich dazu nie geäußert. Die Piratenpartei will nun im Senat dazu Auskunft einfordern. Die Senatoren wollen erklären, dass sie der Absetzung Fischers nicht zustimmen, da sie Schikane vermuten.

Auf die Anfrage, was der Generaldirektor zu den Vorwürfen der Abhängigkeit und politischen Einflussnahme sagt, teilt der Sprecher mit: "Es gibt absolut keine politische Einflussnahme auf die Entscheidungen des Managements." Er verstehe die Frage nicht, sie sei "äußerst manipulativ". Genauso wie die Artikel und Interviews, die in den Medien zum Thema Vltava erschienen seien. Erst im September habe die Europäische Rundfunkunion EBU die "Unabhängigkeit, Objektivität und Freiheit" des tschechischen Rundfunks festgestellt.

Doch es gibt neue Vorwürfe gegen den Rundfunkrat.

Dieser bestellte zwei unabhängige Experten, die Fischers Arbeit einschätzen sollten. Wie das tschechische Wochenmagazin Respekt nun berichtet, arbeiteten beide früher für den tschechischen Geheimdienst StB.

Einer davon, Jiří Mikeš, ist bekannt für äußerst scharfe Angriffe auf die tschechischen Medien. Erst vor wenigen Wochen rief er die Tschechen dazu auf, die Presse zu ignorieren, Fernsehen und Radio lieber auszuschalten und sich ihre Meinung im Internet, in den sozialen Netzwerken zu bilden. Dort bilde sich schließlich die Meinung der Millionen ab. "Das Medienmonopol der Intellektuellen ist definitiv gestürzt", schrieb Mikeš in der Onlinezeitung Parlamentní listy.

Zumindest im Fall Radio Vltava scheint er nun recht zu behalten. Doch Fischer will sich nicht unterkriegen lassen. Er will reden. Bei einem Treffen spricht er fast zwei Stunden lang ohne Punkt und Komma. Der 49-jährige studierte Philosoph hat als Meinungs- und Kulturredakteur für verschiedene tschechische Tageszeitungen und die BBC gearbeitet. Die Systeme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kann er daher gut vergleichen. Treffpunkt ist ausgerechnet das frühere Dissidenten-Café Slavia an der Moldau. An die Zeiten der Unterdrückung fühlen sich hier nun einige erinnert.

"Die Vltava muss weiterhin die Ohren der Leute durchströmen. Sie ist ein Fluss, aber auch eine Insel für diejenigen, die noch nachdenken und interessante Beiträge hören wollen", schreibt der in Tschechien allgegenwärtige Bildhauer Krištof Kintera. Auch Unterstützung aus der Slowakei gibt es. "Gegen das Babiš-Zeman-Übel muss die tschechische Gesellschaft Gesicht zeigen. Je später man das tut, desto mehr Opfer gibt es. Schaut auf unseren Mečiar und Fico. Als erstes haben sie die Institutionen zerlegt", erklärt die Sängerin Lucia Piussi zu ihrer Unterschrift unter den offenen Brief.

Der Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza und früherer Dissident Adam Michnik vergleicht die gegenwärtige politische Situation in Tschechien mit der Zeit nach 1968 und bezeichnet sie als "eine Normalisierung ohne russische Soldaten". Die besten und interessantesten würden aus Politik und Kulturleben entfernt. Die Parallele zu 1968 zieht auch Erik Tabery. Generaldirektor Zavoral lässt mitteilen, solche Vergleiche könnte nur ziehen, wer weder den Sozialismus erlebt habe, noch den tschechischen Rundfunk von innen kenne. Diese Aussagen hätten nur zum Ziel, dem Rundfunk zu schaden.

Fischer sagt: "Sie spucken auf unsere Arbeit und den Sinn des öffentlichen Rundfunks."

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