Sportler des Jahres:Kristina Vogels Worte hallen lange nach

Gala zur Wahl der 'Sportler des Jahres 2018'

Kristina Vogel bei der Gala in Baden-Baden.

(Foto: dpa)
  • Bei der Sportlerwahl geht es in diesem Jahr auch um schwierige Themen, nachdem die frühere Bahnradfahrerin Kristina Vogel den zweiten Platz belegt.
  • Am 26. Juni stürzte sie so schwer, dass sie seitdem querschnittsgelähmt ist: "Wenn mir mein Unfall etwas gezeigt hat, dann, dass man jeden Tag genießen soll", sagt sie.
  • Fußballspieler fehlen in diesem Jahr aus gutem Grund. Der Bundestrainer Joachim Löw hält sich im Hintergrund.

Von Barbara Klimke, Baden-Baden

Der Schnee rieselte leise auf die Promenade, im Kurhaus wurde zu später Stunde Mascarpone-Birne-Mille Feuille und Nougatparfait gelöffelt. Und in dem Moment, als Kristina Vogel auf die Bühne rollte, erschien es fast so, als könnte jemand im Ballsaal heimlich in ein Uhrwerk greifen, um den rasenden Lauf der Dinge ein Weilchen aufzuhalten.

Die Wahl der Sportler des Jahres bietet zur Weihnachtszeit oft die Gelegenheit zu Rückschau und Nachbetrachtung. Doch am Sonntag hat sich bei der Gala in Baden-Baden erneut gezeigt: Dem Sport, diesem Metier der Zehntelsekunden, fehlt zur Einkehr und zum großen Innehalten schlicht die Zeit. Kurz vor Mitternacht, als das Menü für 700 Gäste kaum beendet war und die Preisträger zu einer Pressekonferenz zusammenkamen, kreisten die Gedanken schon wieder um das Thema, das ihren Alltag als Athleten bestimmt: Termine, Termine, Termine.

Patrick Lange, Triathlet und zweimaliger Sieger des Ironman auf Hawaii, plant das nächste Trainingslager. Wimbledonsiegerin Angelique Kerber, Gewinner in der Kategorie der Frauen, sitzt auf gepackten Koffern, weil sie kommende Woche zu den ersten Turnieren des neuen Jahres nach Australien jettet. Noch hektischer wird es für die Eishockey-Nationalspieler, Silbermedaillengewinner von Pyeongchang und als Mannschaft des Jahres ausgezeichnet, die auch an den Feiertagen in ihren Klubs gegeneinander spielen, weil die Liga in der Weihnachtszeit keine Pause kennt. "Das ist unser Job", erklärte Marcel Goc sachlich: "Und den haben wir uns schließlich ausgesucht."

Noch immer aber hallten da die Worte nach, die Kristina Vogel zuvor gesprochen hatte, in jenen Minuten, als im Kurhaus von Baden-Baden, kurz vor dem Nougatparfait, die Zeit tatsächlich eine Weile stillzustehen schien. "Wenn mir mein Unfall etwas gezeigt hat, dann, dass man jeden Tag genießen soll", sagte sie. "Man weiß nie, was sich ändern kann." So oft, erzählte sie in der Rückschau, seien Momente verstrichen, in denen sie sich "gehetzt oder enttäuscht" gefühlt habe. "Und die so sinnlos waren. Weil ich doch einfach so ein schönes Leben hatte."

Kerber lobt bei ihrer Rede Vogel

Die zweimalige Bahnrad-Olympiasiegerin war nicht zum ersten Mal in Baden-Baden; 2017 belegte sie Rang vier bei der Sportlerinnenwahl, Weltmeisterin im Keirin und im Sprint war sie da geworden. In diesem Jahr im März hat sie die WM-Titel zehn und elf erobert. Dann kam der Juni, jener Tag, an dem sie sich bei einem Trainingssturz in Cottbus so schwer an der Wirbelsäule verletzte, dass sie seitdem querschnittsgelähmt ist. Bei ihrer ersten Pressekonferenz nach dem Unfall äußerte sie sich sachlich zu ihrem Leben im Rollstuhl: "Ich bin da. Ich bin immer noch ich. Nur anders", sagte sie und hat mit diesen Sätzen vielen, die Ähnliches durchlitten, Hoffnung, Mut, Zuversicht und mitunter vielleicht sogar eine Stimme gegeben.

Diese bewundernswerte Haltung wurde nun mit Platz zwei bei der diesjährigen Wahl in Baden-Baden und einem Extrapreis honoriert - nicht aus Mitleid, sondern weil die Sportler-des-Jahres-Wahl, laut Statut, weniger einen schwer mit Lorbeer umkränzten Athleten als "eine Persönlichkeit, ein Vorbild" sucht. Kerber, 2016 schon mal ausgezeichnet, ließ bei ihrer eigenen Ehrung keinen Zweifel daran, dass Vogel der größte Preis gebührte. "Sie hat so viel geleistet in diesem Jahr, hat so viel gekämpft und Mut und Willensstärke bewiesen", sagte sie, bevor sie die Kollegin lange umarmte.

Kein Fußballspieler weit und breit, Löw hielt sich im Hintergrund

Und so ging es in Baden-Baden, diesem mondänen Kurort, der schon 1881 mit seinem Lustbarkeiten warb, mit "Concerten und Illuminationen", Fischerei in der Oos und ganzjähriger Jagd, diesmal tatsächlich auch um schwierige Themen. Um solche, die der deutsche Sport gern ausspart, wenn man sich zum eigenen Amüsement am Jahresende trifft: um Vorbildfunktionen, um gesellschaftliche Verantwortung und um die Risiken im Sport. Andererseits gab es auch wenig, was Kontroversen befeuert hätte. Diesmal blieben die Athleten aus den oft weniger beachteten Disziplinen weitgehend unter sich. Kein Fußballspieler weit und breit, der ihnen das Scheinwerferlicht stahl. Selbst bei Bundestrainer Joachim Löw, der sich höflich im Hintergrund hielt, fand das Zustimmung: "Wir waren in diesem Jahr ja nur Statisten." Kaum ein Ehrengast ließ sich entschuldigen, sieht man von den Paarlauf-Olympiasiegern Aljona Savchenko und Bruno Massot ab, die als Zweite der Mannschaftswertung per Videobotschaft von einem Schaulaufen grüßten. Und sogar Boris Becker ließ es sich nicht nehmen, Kerber mit Küsschen zu gratulieren.

Und schließlich wurden sogar die Publikumslieblinge geehrt - jene Eishockeyspieler also, deren olympische Silbermedaille historisch mit der Mondlandung zu vergleichen sei, wie Laudator Alois Schloder, einer der Bronze-Gewinner von 1976, fand. Weil das Finale zu den wenigen Fernsehereignissen zähle, für die sich ein vernünftiger Mensch in aller Herrgottsfrühe aus den Federn quälte. "Wir sind die Aufmerksamkeit nicht so gewöhnt wie viele andere Sportler", sagte Marcel Goc: "Aber durch solche Events wie hier wird uns bewusst, dass der Olympia-Auftritt was ganz Besonderes war."

Zum ersten Mal in der Geschichte der Sportlerwahl seit 1947 wurden Eishockeyspieler gekürt. Und damit es alle nach Baden-Baden schafften, hatte die DEL sogar Spiele verlegt. 16 Profis standen auf der Bühne. Die Münchner um Keeper Danny aus den Birken kamen indes erst nach dem Nougatparfait - weil das Flugzeug nicht rechtzeitig abhob. Es war ein weiterer Moment, in dem man sich wünschte, jemand hätte sich an den Uhrzeiger gehängt, um die Zeit anzuhalten. Es waren ja genug Kletterer und sonstige Artisten im Raum.

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