Demokratie in den USA:Wo Wähler keine Stimme haben

Wähler bei der Präsidentenwahl 2004 in den USA

Hätten alle Wähler in Bladen County ihre Stimme persönlich abgegeben, wäre Betrug deutlich schwerer geworden.

(Foto: AFP)
  • Bei den Midterms ist es in einem County in North Carolina offenbar zu einem krassen Fall von Wahlbetrug gekommen.
  • Hunderte Briefwahlstimmen sollen manipuliert worden sein, um dem republikanischen Kandidaten zum Sieg zu verhelfen.
  • Der Fall ist ein Beipiel für die zerfallende Demokratie in den USA und speziell in North Carolina.

Von Thorsten Denkler, New York

Bladen County im Südosten des US-Bundesstaats North Carolina. Einwohner: knapp 35 000. Viel Farmland. Mehr ist kaum zu sagen über den Flecken Erde. Bladen County ist kein Ort, der Besonderes verspricht - und doch erregt er seit einigen Tagen nationales Interesse.

Bladen County ist der Tatort des derzeit größten Falles von Wahlbetrug in den USA. Oder genauer, der Teil von Bladen County, der zum 9. Wahlbezirk von North Carolina für das Repräsentantenhaus in Washington gehört. Die Midterm-Wahlen am 6. November haben hier ein knappes Ergebnis gebracht. 238 000 Stimmen wurden im 9. Wahlbezirk abgegeben. Der republikanische Kandidat Mark Harris hat 905 Stimmen Vorsprung und erklärte sich zum Sieger. Sein demokratischer Kontrahent Dan McCready gestand kurz nach der Wahl auch seine Niederlage ein.

Anfang Dezember aber hat die Wahlkommission des Bundesstaates einstimmig entschieden, das Wahlergebnis nicht zu zertifizieren. Wegen des Verdachts auf Wahlbetrug. Kurz darauf nahm der Demokrat McCready das Eingeständnis der Niederlage zurück. Und erklärte auf Twitter, er habe nicht "in Übersee bei den Marines gedient, um mir zu Hause in North Carolina anzusehen, wie Kriminelle, bezahlt von meinem Kontrahenten, den Leuten das Recht zu wählen nehmen".

Und selbst die Republikaner in North Carolina sind alarmiert. Der Geschäftsführer der Republikaner in North Carolina, Dallas Woodhouse, verlangte Aufklärung und erklärte, es müsse natürlich Neuwahlen geben, wenn sich die Vorwürfe bestätigen. Kandidat Harris bestreitet, irgendetwas mit der Sache zu tun zu haben. Am 21. Dezember will die Wahlkommission jetzt entscheiden, wie es weitergeht.

Was ist passiert? Wie es aussieht, wurden zum Vorteil des republikanischen Kandidaten Hunderte von Briefwahlunterlagen im 9. Wahlbezirk eingesammelt und zum Teil gefälscht oder zerstört. Die Betrüger haben nach diversen Zeugenaussagen Leute dafür bezahlt, in der Nachbarschaft von Tür zu Tür zu gehen, um sich die Briefwahlunterlagen anzueignen. Dutzende Wähler berichten, dass sie an der Tür gedrängt worden seien, ihre Wahlunterlagen auszuhändigen. Was natürlich illegal ist.

Die gesammelten Wahlzettel wurden dann geprüft. Hatte jemand für Harris gestimmt, wurden die Stimmen zur Auszählung gebracht. War jemand für McCready, kamen sie in den Schredder. Offenbar haben die Betrüger auch dafür gesorgt, dass möglichst viele Menschen in Bladen County Briefwahl beantragen, um dann mehr Stimmzettel einsammeln zu können. In Bladen County lag der Anteil der Briefwahlstimmen bei 7,3 Prozent. In den meisten anderen Countys im 9. Wahlbezirk liegt die Quote nicht über drei Prozent.

In Bladen County hat Harris so erstaunliche 61 Prozent der abgegeben Briefwahl-Stimmen bekommen. Dabei waren nur 19 Prozent der Wähler, die Briefwahl beantragt hatten, registrierte Republikaner.

Es wurden wohl auch eine Reihe von unausgefüllten Stimmzetteln eingesammelt. Die wurden kurzerhand gefälscht. Nicht nur, dass das Kreuz nachträglich für Harris gemacht wurde. Es waren offenbar auch die acht immer gleichen Leute, die sie unterschrieben haben. Zwei Unterschriften tauchen allein auf 40 Stimmzetteln auf.

Der Organisator des Betruges soll Leslie McCrae Dowless gewesen sein, ein eingetragener Republikaner, der in den 90er Jahren schon mal wegen Meineides und Versicherungsbetruges im Gefängnis saß. Er ist der gewählte Beauftragte für Wasser- und Bodenfragen in Bladen County. Immer aber, wenn Wahlen anstehen, verwandelt er sich in einen professionellen Politikberater und Wahlhelfer. Dowless gilt in der Gegend als "Briefwahl-Guru". Seit Jahrzehnten hilft er lokalen Kandidaten gegen Geld, wenn die sich ein sehr gutes Briefwahlergebnis wünschen.

Harris hat ihn genau deshalb angeheuert, räumte er jetzt ein. 2016 hat er nämlich schon einmal versucht, die Vorwahl der Republikaner zu gewinnen. Er scheiterte aber. Auch weil ein anderer Kandidat im Briefwahlergebnis massiv vor ihm lag. Der hatte damals Dowless für sich arbeiten lassen. Jetzt wollte Harris alles richtig machen. Und hat Dowless selbst engagiert. Harris behauptet allerdings, er sei davon ausgegangen, dass Dowless mit legalen Mitteln arbeite.

Die Kampagne von Harris schuldet Dowless noch 34 000 Dollar. Auf einem Vermerk zu den Außenständen steht, es handele sich um "Entschädigungszahlung Briefwähler in Bladen", beziehungsweise um "Entschädigung Tür zu Tür". Außerdem soll Dowless ein Bonus von weiteren 40 000 Dollar zugesichert worden sein, wenn Harris die Wahl gewinnt.

Die Internetseite Buzzfeed berichtet, dass auch der Sheriff von Bladen County, James McVicker, die fragwürdige Hilfe von Dowless angenommen hat, um seine Wiederwahl in diesem Jahr zu sichern. McVicker hat Dowless 8800 Dollar dafür bezahlt. Der Sheriff stand auf dem gleichen Zettel zur Wahl wie Harris und McCready. Und hat die Wahl gewonnen.

Jahrzehntelang fragwürdige Briefwahl-Ergebnisse

Im Jahr 2010 arbeitete Dowless für einen republikanischen Kandidaten, der Bezirksstaatsanwalt werden wollte. Der verlor zwar knapp. Aber auch da: Unter den Briefwählern in Bladen County holte er 81 Prozent der Stimmen. Im gesamten Wahlbezirk konnte der Kandidat nur 52 Prozent der Briefwähler von sich überzeugen. Bladen County ist nicht gerade eine Republikaner-Hochburg.

Untersucht wird jetzt auch, ob nicht schon die Vorwahl manipuliert war, in der Harris im Mai den Amtsinhaber Robert Pittenger mit nur 828 Stimmen Vorsprung schlug. Auch hier war auffällig, dass Harris in Bladen County 98 Prozent der Briefwahlstimmen gewonnen hat. Im gesamten Wahlbezirk hatte er nur 48 Prozent der Stimmen geholt.

All das ist extrem problematisch. Doch es ist noch lange nicht alles. Denn in North Carolina verwundern solche Wunderlichkeiten eigentlich niemanden mehr. Wenn die USA insgesamt ein Demokratie-Defizit haben, dann hat North Carolina ein besonderes Demokratieproblem. Der US-Wahlforscher Andrew Reynolds spricht seinem Heimatstaat inzwischen gar ab, noch eine funktionierende Demokratie zu sein. Und dafür braucht es nicht Mal Wahlbetrüger vom Schlage jener, die offenbar in Bladen County aktiv waren.

Reynolds hat über Jahre Wahlprozesse in allen Teilen der Erde beobachtet und ist Mitautor des weltweit anerkannten Electoral Integrity Project Report, kurz EID Report. Darin werden 213 Wahlen in 153 Nationen anhand bestimmter Werte miteinander verglichen. Schon 2016 veröffentlichte Reynolds einen Text darüber, wie überrascht er war, als er die Integritäts-Parameter auf North Carolina anwandte.

Der US-Bundestaat bekam danach 58 von 100 Punkten. Ähnlich wenig wie Kuba oder Indonesien, zwei Staaten, die kaum jemand als echte Demokratien anerkennen würde.

Das hat viele Gründe. Die Grenzen der Wahlbezirke etwa werden in North Carolina immer wieder so verschoben, dass es für eine Partei besonders gut passt. Meistens für die Republikaner. "Gerrymandering" heißt das Verfahren, das in North Carolina geradezu zu einem Hobby der Republikaner geworden ist. Für die Integrität der Wahlbezirksgrenzen bekam North Carolina nur sieben von 100 Punkten, schreibt Reynolds. Das sind nicht nur weniger Punkte als alle anderen US-Bundestaaten haben. So wenige Punkte hat kein anderes gemessenes Land der Erde.

Gerichte in North Carolina haben zwar inzwischen geurteilt, dass die Wahlbezirke geändert werden müssen. Aber zu den Midterms hatten sie noch Bestand.

Das führte erneut dazu, dass sich der Wählerwille etwa im Repräsentantenhaus North Carolinas überhaupt nicht widerspiegelt. Die Republikaner haben im November etwa die Hälfte aller Stimmen bekommen. Aber im House halten sie dennoch ein deutliche Mehrheit. Im Senat des Bundesstaates sieht es nicht besser aus.

North Carolina ist zudem so etwas wie der US-Spitzenreiter, wenn es darum geht, bestimmten, mehrheitlich demokratisch gesinnten Wählergruppen, das Wählen schwer bis unmöglich zu machen. Reynolds hat kürzlich auf der Internetseite Politico seine Thesen wiederholt und festgestellt, dass alles noch schlimmer geworden sei. "Zwei Jahre später hat die Qualität der demokratischen Prozesse weiter abgenommen. Das verrottete System hat ein Monster erschaffen."

Das Monster ist die Republikanische Partei in North Carolina. Reynolds schreibt, es kann ihr egal sein, was die Wähler wollen, weil sie nicht mehr auf die Wähler hören müssen: Sie hätten sich erfolgreich von dem Prinzip abgekoppelt, dass die Bürger in Wahlen darüber entscheiden, ob sie mit der Politik der Regierenden einverstanden seien. In North Carolina gewinnen immer die Republikaner.

Es sind aber nicht die Demokratieprobleme in seinem Bundesstaat, die Mark Harris "frustrieren", wie er sagt. Ihn frustriert, dass die Wahlkommission, die übrigens je zur Hälfte aus Demokraten und Republikaner besteht, ihn so hängen lässt. Sollte es zu Neuwahlen im 9. Wahlbezirk von North Carolina kommen, dann kann sich Harris jedenfalls eine weitere Frustration ersparen. Einfach, in dem er auf die windige Hilfe von Leslie McCrae Dowless verzichtet. Ob er dann die Wahl noch gewinnt, ist allerdings fraglich.

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