Geschichtsforschung:Dubiose Quellen

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Adolf Hitler mit dem ungarischen Befehlshaber Vitez Jany und deutschen Militärs im Führerhauptquartier. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Der Historiker Mikael Nilsson hat "Hitlers Tischgespräche" untersucht, die vielen Historikern als Material dienen, obwohl schon lange große Zweifel bestehen. Und kommt zu dem Schluss, dass sie kein authentischer O-Ton sind.

Von Willi Winkler

Nach der letzten Aufwallung im Weichbild von Bernd Eichingers "Untergang" mit dem von Parkinson bebenden Bruno Ganz ist die Hitler-Konjunktur etwas abgeflaut. Nicht einmal die härteren Kader der AfD finden Hitler für ihren Kampf gegen Ausländer und Undeutschtum sexy genug. Selbst beim Spiegel scheinen sie neuerdings darauf verzichten zu können, die Titelseite mit dem dämonischen Schnurrbart zu schmücken. Eine kleine Wallung regte sich noch, als das Institut für Zeitgeschichte vor zweieinhalb Jahren eine historisch-kritische Ausgabe von "Mein Kampf" herausbrachte. Darf man das, Hitler drucken und wieder unters Volk bringen?

Diese Skrupel kannte das Institut in seinen Anfängen nicht, und von einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Person und dem Autor Hitler war man zu Anfang der Fünfzigerjahre weit entfernt. Vielmehr wurde jede Krume geehrt, die vom Tisch im Führerhauptquartier oder dito Bunker gefallen war. So erschien 1951 als erste Veröffentlichung des Instituts "Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942". Ihm folgten weitere Ausgaben in weiteren Verlagen, wissenschaftlich oder nicht, aber alle mit dem Gütesiegel Hitler. Der schwedische Historiker Mikael Nilsson hat jetzt in einem Aufsatz in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte penibel recherchiert, wie wenig zuverlässig diese von den hitlergläubigen Stenografen und Sekretären Heinrich Heim und Henry Picker notierten, von Martin Bormann teilweise redigierten, niemals autorisierten und auf abenteuerlichste Weise edierten Aufzeichnungen sind.

Der Glaube an Hitlers Wort hält sich offenbar weit über seinen Tod hinaus

Das Problem besteht darin, dass niemand mit Sicherheit sagen kann, ob Hitler so gesprochen hat, wie er bis heute zitiert wird. Mangels anderer Quellen stützen sich aber noch die neuesten Hitler-Biografen Ian Kershaw, Wolfram Pyta und Volker Ullrich auch auf diese dubiosen Aufzeichnungen. In seinem Buch "Black Earth" versteigt sich, wie Nilsson bemerkt, sogar der hochgerühmte Timothy Snyder zu der Formulierung "Hitler wrote", Hitler hat geschrieben, wenn doch nur aus den Tischgesprächen zitiert wird.

Hitler hat viel gesagt und immer auch das genaue Gegenteil davon, aber offenbar hält sich der Glaube an sein Wort noch weit über seinen Tod hinaus. Fest steht nämlich nur, dass Hitler, das was ihm in vielfältigen Ausgaben seit dem Jahr 1951 zugeschrieben wird, auf keinen Fall selber geschrieben hat, und dass er es so gesagt hat, lässt sich nicht beweisen. Auch wenn Nilsson keineswegs der erste ist, der die lachhafte Quellensituation kritisiert, hat er sich doch der Mühe unterzogen, die vielen Ausgaben und die wenigen handschriftlichen Aufzeichnungen in Archiven zu untersuchen. Ergebnis: Es gab nie einen authentischen Text.

Es ehrt das Institut für Zeitgeschichte, dass es den Aufsatz Nilssons in seine Zeitschrift aufnimmt. Die Rolle, die das Institut bei der Veröffentlichung dieser Tischgespräche einnahm, bleibt allerdings unberücksichtigt. "Ihr Wert für die historische Erkenntnis der Persönlichkeit Hitlers kann nicht überschätzt werden", dekretierte der Institutsleiter Hermann Mau 1951. Der Historiker Gerhard Ritter fungierte als Herausgeber und verfasste eine Einleitung. Ohne Interesse an Editionsphilologie und Quellenkritik wurde ein angeblicher O-Ton angeboten, in dem Hitler aus seiner Gruft im Führerbunker der Nachwelt erzählt, was er von Gott, der Welt und den Aussichten des Russlandfeldzuges hält.

Als es Hannah Arendt, damals noch eine unbekannte Exilantin, in der Zeitschrift Der Monat wagte, die Ausgabe als "Propaganda für Hitler" zu kritisieren, musste ein deutschnationaler Rechthaber wie Ritter natürlich zurückschlagen. Unter anderem bemängelte sie, dass in der wissenschaftlichen Einführung viel von Hitlers Treiben, aber nicht vom Holocaust die Rede war. Ritter schrieb nach Kritik an seiner Ausgabe einen beleidigten 14-seitigen Brief an die Mitglieder des Institutsbeirats und wurde ausfallend, wenn nicht antisemitisch: "H. A. regt sich darüber auf, daß ich nicht ausführlich über Gasöfen und Judenvernichtung gesprochen habe. Ich habe Verständnis dafür, daß gerade sie kein Hitlerbuch ertragen kann, das diese Dinge nicht ausführlich behandelt." Aber es geht noch besser: "Meine Einleitung ist nicht für Leser geschrieben, die ihre alte Empörung gegen Hitler und seine Judengreuel nochmals bestätigt und neu entflammt zu sehen wünschen...". Ritter schreibt im Zusammenhang mit Auschwitz tatsächlich "entflammt". Das Institut für Zeitgeschichte hat sich eine Erforschung seiner eigenen Geschichte vorgenommen.

© SZ vom 21.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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