Sinnesfreuden:Freudentänze im Gehirn

Hand-made chocolates are displayed at the Puyricard chocolate factory in Puyricard

Wer ist süchtig, wer ein Genießer? Naschfreunde können beruhigt sein: Medizinisch gesehen ist es Unsinn, sich als schokoladensüchtig zu bezeichnen.

(Foto: REUTERS)

Wo endet der Genuss, wo beginnt die Sucht? Das Verhältnis des Menschen zum Rausch zeigt: Was Spaß macht, hat meistens auch eine destruktive Seite.

Von Sebastian Herrmann

Der Geschmack? Intensiv, würzig, süß; eine köstliche Mischung, deren Noten von Holz, Weihrauch und Kiefer die Rezeptoren vibrieren lassen. Anklänge von Zitrusfrüchten mischen sich in diese Aromasymphonie. Ein kleines Fest, ein großer Genuss - einer, den man sich immer wieder gönnen wolle, so verspricht der Anbieter dieses Rauschmittels. Hinter dieser Degustationslyrik verbergen sich jedoch weder Wein noch Whisky oder anderer Alkohol, um den Liebhaber ihr Kennerbohei veranstalten. Was da als pures Genusserlebnis angepriesen wird, ist eine potente Cannabis-Sorte, eine, die laut Beschreibung des Saatgutanbieters eher "zerebral statt körperlich" wirkt und dem Konsumenten helfe, spannende Debatten zu führen. Echt jetzt, oder habt ihr nur zu viel gekifft?

Seit Cannabis in vielen Ländern die finsteren Ecken des Illegalen verlässt, stellt sich der Szene die Frage: Wie bewerben wir unser Produkt, das ja noch immer eine Droge ist? Über die Genuss-Schiene, so lautet eine Antwort, denn was bei Alkohol funktioniert, sollte auch für ein anderes Rauschmittel klappen. Das Spiel mit dem Feuer gelingt so viel leichter, wenn man über eine wirksame Strategie der Selbstrechtfertigung verfügt. Und hier kommt die Degustationslyrik wieder ins Spiel, die als Rechtfertigung dienen kann. Die Logik dahinter: "Ich bin kein Kiffer, sondern ein Genießer."

"Ich bin doch kein Alkoholiker, ich trinke ja nur gute Weine" - wenn einer das schon sagt...

Zugleich wirft die Aromenschwärmerei von Cannabis-Anbietern und Weinpropheten eine Frage auf: Wo endet Genuss, wo beginnt Sucht? Die Grenzen sind schwer zu definieren - und nicht jeder ist süchtig, der sich so bezeichnet. Der Begriff wird oft zu leichtfertig verwendet, etwa, wenn Naschfreunde sagen, sie seien schokoladensüchtig. Medizinisch ist das Unsinn. Was diese Menschen wirklich sagen: Ich liebe Schokolade, ich kann einfach nicht anders und trage deshalb keine Verantwortung dafür.

Andererseits kann das Gerede über Genuss als Fassade dienen, um einen problematischen Umgang mit einem Suchtmittel zu kaschieren. Der Suchtmediziner Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim beobachtet das oft. Ein erheblicher Teil seiner Patienten zählt zu einer Gruppe, die man als distinguierte Trinker bezeichnen könnte. "Solche Leute sagen etwa: Ich bin doch kein Alkoholiker, ich trinke ja nur gute Weine", sagt Falk Kiefer. Mit dem Stereotyp des Säufers im Stadtpark hat ein torkelnder Barolo-Freund tatsächlich wenig gemein - außer seiner Alkoholabhängigkeit.

"Genuss hat mit Freude zu tun, mit Belohnung", sagt Kiefer. Einige Flaschen Wein in feiner Gesellschaft zu trinken, ist ein Fest. Erst recht, wenn der Wein eine Geschichte erzählt, weil er etwa aus einem großartigen Urlaub stammt. Der Wein duftet, rinnt die Kehle hinab, zähmt diese lästige Vernunft und schweißt die Gruppe zusammen: Prost, meine lieben Freude, schön, mit euch den Abend zu verbringen! Im Gehirn führt das Belohnungssystem Freudentänze auf und gießt fröhlich Dopamin über die neuronalen Andockstellen.

Was da im Gehirn im Detail passiert, ist an dieser Stelle nicht relevant. Wichtig ist: Es entstehen gute Gefühle. Danach sehnen sich die Menschen - und wiederholen das damit verbundene Verhalten. Was Freude bereitet, das will man wieder erleben. Wiederholung jedoch verändert unter anderem die Wahrnehmung: "Die entsprechenden Situationen werden positiv aufgeladen", sagt Kiefer. Sie werden nun relevant und leichter kognitiv verarbeitet. Das klingt sperrig, lässt sich aber in etwa so übersetzen: Die Wahrnehmung richtet sich nun immer stärker so aus, dass die Auslöser der Belohnung ins Auge springen. Der Alkoholliebhaber bemerkt Bars besonders leicht, der Schokoladenfreund reagiert besonders fix auf Süßigkeiten.

Mit Sucht hat das noch nichts zu tun. Aber es handelt sich um die Muster, aus denen ein ungutes Verhältnis zu Rauschmitteln entstehen kann. Zur Sucht wird es, wenn die Wahrnehmung sich zum Tunnelblick fokussiert und das Denken nur mehr um das Trinken kreist - wenn sich eine Belohnung in eine pure Gewohnheit wandelt.

Bläschen mit Kultstatus - Champagner in der Hochsaison

Freude? Belohnung? Ein Fest? Oder weil man nicht anders kann? Champagner-Trinker würden sich kaum eingestehen, Säufer zu sein.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Gegenwärtig springt aber selbst dem genussvollen Trinker, dem Gelegenheitsraucher, dem Süßigkeitenliebhaber reflexhaft das schlechte Gewissen in den Nacken. Der schöne Abend ist verweht, die Flaschen sind geleert - und nun spuckt das Gehirn die lustfeindlichen Warnungen aus, die täglich aus allen Kanälen prasseln. Ungesund! Gefährlich! Schrecklich! Was Spaß macht, hat auch meistens eine destruktive Seite, und diese meldet sich nun zu Wort. Das schlechte Gewissen ließe sich als Genusskater bezeichnen. Der reuige Rotweintrinker schwört sich nach dem Gelage, eine Phase der Abstinenz einzulegen und Buße am eigenen Leib zu tun.

Nun fallen viele Menschen in ein fast zwanghaftes Muster: Sie erlegen sich allzu strenge Regeln auf - und scheitern. Vier Wochen ohne Alkohol waren geplant, nach fünf Tagen dann, bei einer Geburtstagseinladung, löste sich der Schwur schon in einem kleinen Rausch auf. Aus dem miesen Gefühl des Scheiterns kann sich eine Spirale entwickeln: Es zähle zum Standardwissen der Motivationspsychologie, schreibt der Psychologe Ernst-Dieter Lantermann, dass das Anspruchsniveau nach einer Niederlage gesteigert werde. Statt vier nimmt sich der frustrierte Reuige nun acht Wochen vor - und scheitert erst recht.

Ein einzelner feuchter Abend wird dann als Versagen gedeutet. Das gute alte Jetzt-ist-es-eh-egal-Denken setzt ein: Da kann man ja morgen weitertrinken. Umgekehrt dienen vielen auch Erfolge als Rechtfertigung zum Ausschweif: Ich habe es mir verdient! Es ist zum Beispiel kein Wunder, dass unter Sportlern gerne getrunken wird, ist ja verdient. Das Spiel mit dem Feuer benötigt eben eine Begründung. Wenn der Genuss dann aber zur Gewohnheit wird, kann er zur Sucht ausarten. Über Weihrauch- und Zitrusnoten spricht dann keiner mehr.

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