Neuorientierung der Christsozialen:Die CSU entdeckt ihr Herz für Europa

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Manfred Weber ist Spitzenkandidat der Konservativen für die EU-Wahlen 2019. (Foto: AFP)

Manfred Weber fordert ein sozialeres, schützendes Europa. Hat die CSU endlich erkannt, dass es neben der Ausländerpolitik noch andere Themen gibt?

Kommentar von Heribert Prantl

Die stille Zeit zwischen den Jahren wird üblicherweise durch zwei laute Ereignisse gestört. Erstens durch die Böllerei an Silvester. Zweitens durch die CSU, die die stille Zeit nutzt, um vor ihren Klausurtagungen mit möglichst krachenden Forderungen aufzufallen. Gegen die Böllerei ist, wie es aussieht, kein Kraut gewachsen. Bei der CSU dagegen wächst offenbar die richtige Erkenntnis, dass ihre Jahresauftakt-Knallerei, die sich meist gegen Flüchtlinge oder Ausländer richtete, ihr mehr schadet als nutzt.

"Wer betrügt, der fliegt": Dieser vorurteilsbeladene, widerwärtige CSU-Spruch gegen EU-Ausländer aus Osteuropa war vor fünf Jahren Auftakt für jahrelange ausländerfeindliche, gesellschaftsvergiftende Kampagne, von der die CSU nicht, die AfD aber sehr profitierte. Der CSU ist nun womöglich klar geworden, dass sie die Ausländer- und Flüchtlingspolitik - wie es Ursula Münch, Leiterin der Politischen Akademie in Tutzing, feinsinnig formuliert -"überproportional behandelt" und "ohne Not akzentuiert" hat. Anders gesagt: Es gibt auch noch andere Themen.

Das erste Papier zur Vorbereitung auf die CSU-Klausurtagung im Kloster Seeon versucht, Defizite anzusprechen und anzupacken - zum Beispiel so: "Funklöcher passen nicht zu unserem Anspruch als eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt." Die CSU mag sich nicht länger damit abfinden, dass das Mobilfunknetz der Bundesrepublik das Wort "Netz" nicht verdient. Die CSU will sich auch nicht mehr darauf verlassen, dass der Markt es schon richtet. Das tut er nämlich nicht - daher zum Beispiel die CSU-Forderung, durch eine staatliche Infrastrukturgesellschaft Funkmasten errichten zu lassen.

Lernt die CSU jetzt Französisch?

Die CSU singt die Hymne "Wer nur den lieben Markt lässt walten" nicht mehr mit der Inbrunst, wie sie das lange Zeit getan hat. Das gilt auch in der Europapolitik. Manfred Weber, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahl im Mai 2019, will aus der EU eine "sozialere Union" machen. Das erinnert an Emmanuel Macrons "l'Europe qui protège - das Europa, das schützt". Lernt die CSU jetzt Französisch? Es sind dies jedenfalls neue Töne, verglichen mit denen bei den zurückliegenden Europawahlen.

Das soziale Europa steht bisher zwar auf dem Papier von EU-Verträgen, in denen "sozialer Fortschritt" propagiert und eine "europäische Säule sozialer Rechte" aufgestellt wird. Die Praxis ist da freilich noch ziemlich dürftig. Europa braucht aber nicht nur Verträge, es braucht auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Dieses Vertrauen tropft nicht einfach von den Rettungsschirmen herunter. Wer seinen Nationalstaat als Heimat erlebt hat, will daraus nicht vertrieben werden; er will, wenn der Nationalstaat als Heimat im globalen Getriebe zu schwach wird, Europa als zweite oder dritte Heimat. Er will spüren, dass die EU nicht nur Union für Wirtschaft und Banken, sondern auch Schutzgemeinschaft für Bürgerinnen und Bürger ist, die ihnen die Angst vor Arbeitslosigkeit und Billigkonkurrenz nimmt.

Am Beginn des europäischen Projekts stand der Satz, dass Europa dabei helfen soll, seinen arbeitenden Bürgern ein gutes Leben zu ermöglichen. Deshalb ist Manfred Webers Vorschlag, eine EU-weite Arbeitsvermittlung einzuführen, ebenso simpel wie klug. Die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa ist ein Skandal, den man gar nicht laut genug beklagen kann.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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