Nationalismus:Die neue Weltformel

U.S. President Trump delivers remarks to U.S. troops in an unannounced visit to Al Asad Air Base, Iraq

Trump besucht US-Truppen im Irak.

(Foto: REUTERS)

Erstmals seit 70 Jahren gehen die USA und Europa getrennte Wege. Dieser Trumpismus ist kein Persönlichkeitsproblem des US-Präsidenten, sondern eine ideologische Bewegung, die grundstürzender nicht sein könnte.

Kommentar von Stefan Kornelius

Yoram Hazony ist keine Berühmtheit unter den Intellektuellen dieser Welt. Er steht dem Herzl-Institut in Jerusalem vor, ist Teil einer Gruppe konservativer und religiös geprägter Philosophen und Politikwissenschaftler, die ihre Klientel mit Deutungen und Theorien zum Weltgeschehen versorgen. Und doch ist Hazony in seinen Kreisen plötzlich zum Star aufgestiegen. Er hat geliefert, was viele sehnsüchtig erwartet haben: ein Weltbild, das geistige Fundament für eine neue Ordnung. Nein, nicht irgendeine Ordnung, sondern den Handlungsrahmen für keine geringere Macht als die USA. Der Pulsschlag Amerikas unter Präsident Donald Trump? Hazony hat ihn getaktet.

"Der Wert des Nationalismus", heißt das Buch des israelischen Autors, das zur Zeit bei den konzeptionellen Vordenkern dieses Trump-Amerikas Furore macht. Wer im Buchtitel statt "Wert" die Begriffe Tugendhaftigkeit oder moralische Überlegenheit einsetzt, liegt nicht falsch.

Hazony begründet theologisch und historisch, warum für Staaten der Nationalismus die beste aller Ideologien sein soll, warum das nationale Interesse der größte Garant für Frieden und Wohlstand sei - und warum deswegen das Ende zweier großer, wie er sagt imperialistischer Projekte bevorsteht: der amerikanischen Weltordnung und der Europäischen Union.

Das ist starker Tobak, geradezu geschichtsvergessen, anmaßend und verzerrend. Aber derart groß ist der Hunger nach Deutung der neuen Welt, dass Hazony (neben anderen Theoretikern) in den Trump-Kreisen zum Propheten erklärt wird. Das macht ihn und seinesgleichen gefährlich.

Donald Trump mag die ersten beiden Jahre seiner Amtszeit den furchteinflößenden Twitter-Troll gegeben haben. Aber ein wirkungsvoller Präsident war er deswegen nicht unbedingt. Amerika - der Kongress, die Beamten, das Militär, die Justiz - erwies sich als widerstandsfähig und sein Präsident als hasenfüßig, wenn es um die großen Ordnungsfragen des Landes ging. Da war viel Getöse und wenig auf Dauer angelegt. Das hat sich nun geändert.

Gleich zwei Belege für die sich abzeichnende Zäsur gab es zuletzt: den Rücktrittsbrief von Verteidigungsminister Jim Mattis und eine Rede von Außenminister Mike Pompeo in Brüssel. Mattis wollte nicht länger Verantwortung übernehmen, wenn dieses Amerika von der vor 70 Jahren selbst geschaffenen und seitdem gepflegten Ordnung Abschied nimmt; die Abzugsentscheidungen des Präsidenten für Syrien und Afghanistan waren ihm Warnung genug. Und Pompeo wählte nicht ohne Hintersinn das Zentrum der EU, um "die Interessen von Staaten und ihren Bürgern" gegen die "Interessen dieser Bürokraten hier" auszuspielen und das hohe Lied auf die Nation zu singen.

Beide Ereignisse belegen: Trumpismus ist kein Persönlichkeitsproblem, hinter Trumpismus steht eine ideologische Bewegung, die grundstürzender nicht sein könnte. In der Weltgeschichte hatten Ordnungen nie auf Dauer Bestand, kein Mächteverhältnis ist auf ewig stabil. Auf der Suche nach Vorteil und Einfluss untergraben Staaten Ordnungen, sie provozieren, täuschen, schmieden Bündnisse.

Dass allerdings die führende Macht ihre Ordnung selbst zerstört ist ungewöhnlich - aber erklärbar. Die Wiederentdeckung des Nationalismus in den USA, das verbreitete Gefühl, übervorteilt und ausgenommen zu werden, ist Resultat imperialer Überdehnung. Schon Barack Obama hat seinen Wählern versprochen, dass er "nationbuilding at home" betreiben wolle. Die USA müssten sich mehr um sich selbst kümmern, weniger um den Rest der Welt. Trumps "America First" und die Absage an die Rolle des Weltpolizisten ist da nur die logische Fortsetzung.

Die groteske Umdeutung der EU

Seine Gefährlichkeit für Deutschland und Europa bezieht der neue Nationalismus vor allem dadurch, dass er drei Absagen erteilt: an den Liberalismus, den Multilateralismus und mithin an eine Bündnisidee, die einst Europa einen Weg aus dem Kreislauf von Krieg und Hass zu weisen schien. "Nationalismus, das ist der Krieg", lautet das pochend-mahnende Zitat des früheren französischen Präsidenten François Mitterrand. Das war Konsens - in Europa und in den USA.

Die EU als Antwort auf Totalitarismus und Nationalismus: Amerika hatte diese Formel mitgetragen als Pate und Teil einer europäischen Staatenordnung. Trump ist der erste Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg, der diesen Zusammenhang leugnet. Noch nie waren das moderne Europa und die USA in einer so grundsätzlichen Frage von Frieden und Ordnung derart gespalten. Noch nie haben die USA versucht, das Konstrukt der EU zu schwächen. Die groteske Umdeutung der EU zum imperialistischen Werkzeug (wie sie Hazony betreibt) verhilft Trumpisten wie auch allen Nationalisten in Europa zu einer Pose der Überlegenheit: Seht her, wir sind doch die Friedfertigen, unser Nationalismus ist überlegen. So wird Geschichte neu gedeutet, so werden Begriffe besetzt. Und Europa lässt es geschehen.

Wo bleibt der Anti-Trump?

Der Abschied von einer alten Ordnung muss nicht notwendigerweise im Chaos enden. In den USA liefern sich die außenpolitischen Köpfe seit Monaten eine erbitterte Auseinandersetzung über Ursache und Folgen des neuen Nationalismus. Wer Trump zur nächsten Wahl herausfordert, wird frische Antworten auf sehr prinzipielle Fragen nach dem Wesen eines Staates, den Bedürfnissen seiner Bürger, den Ambitionen in der Welt und den Werten geben müssen. Die Zeit lässt sich nicht mehr zurückdrehen.

Europa und Deutschland, um die sich jahrhundertelang die Ordnungskonzepte der Welt aufgebaut haben, erkennen die Dringlichkeit des Augenblicks indes noch immer nicht. Trump lähmt, er hypnotisiert - aber wo bleibt der Anti-Trump? Geschichte rast dahin, Trump ist ihr Beschleuniger. 2018 sollte als Warnung ausgereicht haben. 2019 ist für Mahnungen keine Zeit mehr.

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