100 Jahre Künstlervereinigung Dachau:Raus an die frische Luft

Raus

Zeitgenössische Kunst erfordert Einfallsreichtum und Kühnheit - und auch einen Schuss Verrücktheit: Wolfgang Sand auf der Dachauer Schlossmauer, bereit zum Abheben.

(Foto: Lothar Reichel)

Die Künstlervereinigung Dachau knüpft an ihrem 100. Jubiläumsjahr geschickt an ihre Ursprünge als Club von Freilichtmalern an - mit einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst im Stadtraum

Von Gregor Schiegl, Dachau

Nein, er wird doch nicht . . . Der Bildhauer Wolfgang Sand steht auf der Dachauer Schlossmauer über dem Karlsberg, ausstaffiert mit Fliegerbrille, Mütze und einer vogelwilden Flügelkonstruktion aus Holz und Tüchern. In seinem Rücken steckt ein riesiger Holzschlüssel wie bei einem Aufziehmännchen. Die Idee für diese Szene hatte der Dachauer Künstler Florian Marschall - nicht als Kunstwerk, sondern als Motiv für die Jubiläumsausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD), die in diesem Jahr 100-jähriges Bestehen feiert. Das Motiv ist ein Sinnbild dafür, wie die Fantasie den Künstler auf ihren Schwingen zu neuen Horizonten trägt, erklärt der KVD-Vorsitzende Johannes Karl. "Und natürlich soll es auch ein bisschen verrückt sein." Denn wenn der Vorstand der KVD eines nicht will, dann seinen Verband als antiquiertes Relikt einer glorreichen, aber lang verflossenen Epoche erscheinen zu lassen.

Die Besonderheit der Künstlervereinigung Dachau ist ja gar nicht so sehr ihr Alter, jedenfalls nicht das allein, sondern dass sie es trotz ihrer bis zur Landschaftsmalerei der Jahrhundertwende zurück reichenden Wurzeln geschafft hat, sich weiterzuentwickeln zu einer Herzkammer der zeitgenössischen Kunst in Dachau. Der Blick auf andere ehemaligen Künstlerkolonien zeigt, dass dies keineswegs selbstverständlich ist. Dort sind die Künstlervereinigungen zu Museumsvereinen mutiert, die nur noch das Erbe kuratieren und verwalten. Die KVD dagegen vereint heute 50 aktive Künstler verschiedenster Sparten und Altersgruppen - auch wenn die starke Sogwirkung der Metropolen auf junge Künstler längst auch in Dachau zu spüren ist.

Zwischen diesen beiden Polen - Tradition und Innovation, Vergangenheit und Zukunft - bewegt sich auch das Programm der KVD im Jubiläumsjahr. Vor gut 100 Jahren gingen die Künstler (und vor allem die Künstlerinnen) mit ihren Staffeleien nach draußen, um die Natur direkt zu malen; sie präsentierten ihre Arbeiten in Salons, Museen und Galerien. Die KVD stellt das Konzept auf den Kopf, und der schmissige Titel "Raus" zeigt, dass hier ein frischer Wind weht. "Wir wollen mit der Kunst tatsächlich raus und sie in der Stadt für alle sichtbar und erlebbar machen", erklärt KVD-Chef Johannes Karl die Idee. Über einen Rundweg - vom Bahnhof ausgehend, über die Münchner Straße in die Altstadt hinauf - kann der Besucher von 4. August bis 1. September Arbeiten von 33 Künstlerinnen und Künstlern entdecken. In der Altstadt findet man auch in den vier zeitgenössischen Galerien (KVD, Neue Galerie, Wasserturm, Kleine Altstadtgalerie) Beiträge. In vielen Winkeln und Plätzen sind Kunstwerke der 18 Dachauer Künstler als auch der 15 eingeladenen Gastkünstler aus ganz Bayern zu sehen.

Ganz ohne Rückschau kann man so ein Jubiläumsjahr freilich auch nicht begehen, und so haben Mitglieder und Freunde ihre ganz persönlichen Bilder und Eindrücke zusammengetragen, die von 19. bis 27. Januar in der KVD-Galerie zu sehen sind. Auf diese Weise ist eine Collage entstanden, die die Historie längst nicht lückenlos abbildet, dafür jene besonderen Momente umso besser beleuchtet, an die sich die Künstler heute noch erinnern. Man darf nicht vergessen, dass die KVD nicht nur alt ist, sondern ihre Künstler auch in mehr als 100 Ländern der Erde aktiv waren.

Wer mehr über die Historie der KVD wissen will, sollte zwischen 10. Mai und 15. September die Gemäldegalerie besuchen: Sie blickt mit einer eigenen Ausstellung in die Gründerzeit der traditionsreichen Gruppe zurück, die 1919 aus dem "Rat der geistigen Arbeiter" hervorgegangen ist.

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