Tat von Andreas N.:War Bottrop ein Terroranschlag?

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  • Der Beschuldigte von Bottrop, Andreas N., hat seit seiner Festnahme umfangreich ausgesagt.
  • Das seien keine Menschen, sagt er nach Informationen von SZ, NDR und WDR. Seine Opfer nennt er "Kanaken" und "Schwarzfüße".
  • Die weiteren Ermittlungen müssen nun zeigen, ob der Mann, wie von ihm behauptet, an einer psychischen Störung leidet.

Von Georg Mascolo, Berlin

Die Silvesternacht im Ruhrpott näherte sich gerade ihrem Höhepunkt, es waren noch wenige Minuten bis zur Jahreswende, da tauchte an der Osterfelder Straße in Bottrop ein silberfarbener Mercedes Kombi auf. Am Steuer saß Andreas N., ein arbeitsloser Gebäudereiniger, der nur Tage zuvor seinen 50. Geburtstag gefeiert hatte. N. steuerte den Wagen in eine Gruppe Feiernder hinein, dann fuhr er weiter. Nach neuesten Ermittlungen wiederholte sich dies noch vier Mal, bis die Polizei ihn um 0.17 Uhr im Essener Stadtteil Borbeck festnahm. Neun Menschen wurden verletzt, darunter Frauen und Kinder. Eine 46-jährige Syrerin konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Hätten sich nicht so viele im letzten Moment mit einem Sprung in Sicherheit bringen können, wäre die Zahl der Opfer wohl noch viel höher gewesen.

Andreas N. hatte in dieser Nacht am Steuer seines Kombis Jagd auf Ausländer gemacht, darunter auch in der Schlossstraße in Essen, wo er wohnt. "Kanaken" und "Schwarzfüße" nennt er seine Opfer. Leute, die alles bekommen würden, ohne dafür arbeiten zu müssen. Das seien keine Menschen, hat er nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR gesagt. Seit seiner Festnahme redet der Hartz-IV-Empfänger N. ohne Unterlass. Aus seinem tief sitzenden Hass auf alles Fremde macht er keinen Hehl. N. will über die Ausländer bei ihm im Viertel in Essen sprechen und darüber, wie sehr ihn dies alles ekelt. Sogar auf einen Anwalt hat er verzichtet. Zwischendurch soll er einen ziemlich verwirrten Eindruck machen: Womöglich sei sein Auto ferngelenkt worden, um einer großen Sache zu dienen, soll er gesagt haben.

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Gegen N. wurde Haftbefehl erlassen, die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlung übernommen

Gegen N. wurde inzwischen Haftbefehl erlassen, die Staatsanwaltschaft Essen hat die Ermittlungen übernommen. "Es gab die klare Absicht Ausländer zu töten," sagt der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul. Beobachtet werden die Ermittlungen gegen N. auch bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die Behörde ist zuständig für die Verfolgung terroristischer Straftaten. Dass diese das Verfahren nicht sofort an sich gezogen hat, ist für manche inzwischen ein weiterer Beleg dafür, dass solche Taten weniger energisch verfolgt werden als solche von Islamisten. Andreas N. passe "sehr gut ins Bild typischer rechtsterroristischer Täter", sagt der Rechtsextremismus-Experte Florian Hartleb. "Bottrop war ein Terroranschlag." Es ist ein alter Vorwurf: Die Behörden seien auf dem rechten Auge blind. Hätte ein Muslim in dem Wagen gesessen, würde alles ganz anders beurteilt.

Dabei zeigt die Tat zunächst wieder einmal, wie schwer die Abgrenzung in diesem Bereich inzwischen geworden ist. Zum Beispiel, wie die Tat begangen wurde: Mit Autos Menschen zu ermorden, war einst vor allem eine Methode von Terroristen. Bereits im April tötete ein psychisch kranker Mann mit seinem Transporter in Münster vier Menschen. Und da ist die Frage nach dem Motiv: Im Oktober stürmte ein Syrer mit einem Molotowcocktail einen McDonald's am Kölner Hauptbahnhof, nahm später eine Geisel und verlangte, zur Terrormiliz IS ausgeflogen zu werden. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei schoss ihn nieder. Der Generalbundesanwalt übernahm das Verfahren zunächst. Inzwischen aber hat die Behörde es wieder an die Staatsanwaltschaft in Köln abgegeben, der Flüchtling hatte schwere psychische Probleme und war in Behandlung. Das überwog in Karlsruhe schließlich bei der Bewertung des Falls. Kein Terrorismus, sondern die Tat eines kranken Menschen.

Grenzfälle wie diese machen die Einschätzung oftmals schwer. Manches spricht auf den ersten Blick für Terrorismus, manches aber eben auch dagegen. In Hamburg kam es 2017 zu einer ungewöhnlichen Kontroverse. Nach dem Mordanschlag eines Palästinensers in einem Edeka-Markt verurteilte ihn das Hanseatische Oberlandesgericht als Terroristen. Der Hamburger Verfassungsschutz dagegen erklärte, man könne dies auch als Amoklauf betrachten, der Täter "habe die Religion benutzt, um seine Taten vor sich selbst zu rechtfertigen".

Es gibt die Tendenz, persönliche Wut mit einer größeren Bedeutung aufzuladen

Mit Sorge betrachten Ermittler neben - vereinzelten - Taten psychisch kranker Menschen die Tendenz, persönliche Wut oder Frustration im letzten Moment mit einer vermeintlich größeren Bedeutung aufzuladen. Sei es der Hass auf Ungläubige. Oder der Hass auf Fremde. Gesucht wird Aufmerksamkeit. Im heutigen Medienzeitalter ist die Bühne hierfür so grell ausgeleuchtet wie nie.

In welche Kategorie die Tat von Andreas N. letztendlich gehört, werden erst die weiteren Ermittlungen zeigen. Aus fremdenfeindlichen Gründen Menschen mit einem Auto zu jagen, kann sehr wohl ein Akt des Terrorismus sein, eine Tat von "besonderer Bedeutung", die den Generalbundesanwalt ermächtigt, das Verfahren an sich zu ziehen.

Dass das vergiftete politische Klima sich in offener Gewalt entlädt, gehört zu den großen Sorgen der Bundesregierung. Nach ersten Feststellungen hatte Andreas N. aber keinerlei Verbindungen in die rechtsextremistische Szene, auch hat die Durchsuchung seiner Wohnung keine entsprechenden Hinweise erbracht. Polizeibekannt war er ebenfalls nicht. Nach dem Ergebnis eines Bluttests soll er nichts getrunken haben. Viel wird deshalb jetzt von der Frage abhängen, ob eine von Andreas N. behauptete psychische Störung tatsächlich vorlag. Nach eigenen Angaben war er bereits seit Mitte der 2000er-Jahre wegen einer schizophrenen Erkrankung in Behandlung, zeitweilig soll er sogar zwangseingewiesen gewesen sein. Dies soll nun überprüft werden. Die Krankenakten werden gesucht, seine Ärzte müssten befragt werden. Ist Andreas N. ein Fanatiker? Oder ein kranker Mensch? Manchmal trifft beides zu.

© SZ vom 04.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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