Kulturgeschichte:Letzte Kathedralen

Wunderkammer, fürstliches Schatzkästchen, bürgerliche Bildungsanstalt. Keine Institution genießt so viel Vertrauen wie die Museen. Das liegt an der Wandlungsfähigkeit.

Von Catrin Lorch

Paris Francia 8 de octubre 2018 Visitantes observan el cuadro de Leonardo da Vinci La Gioconda o M

Klare Besitzverhältnisse, großes Gewühle: Schar der Adoranten vor Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ im Pariser Louvre.

(Foto: Javier Torres/imago/Aton Chile)

Die Glaubwürdigkeit von Parteien und Kirchen mag schwinden, Museen aber genießen so viel Vertrauen wie kaum eine andere Institution. In Deutschland gibt es mehr als 6000 Museen, die 2017 von mehr als 114 Millionen Menschen besucht wurden, und die Zahlen wachsen seit Jahren. Museen, so scheint es, sind die letzten Kathedralen - und doch stehen sie so sehr in der Kritik wie wohl nie seit ihrer Gründung. Die Herkunft vieler Objekte, ja, die Legitimität ganzer Sammlungen wird durch die Restitutionsforderungen aus Afrika auf beispiellose Weise in Zweifel gezogen. Die Reaktionen darauf könnte unterschiedlicher nicht sein - das zeigt diese Seite.

Dass das noble Museum der Leidenschaft der Renaissance für Raritäten entstammt, lässt sich am Kasseler Fridericianum belegen, das als erstes Museum Europas gilt. Die Sammlung sollte nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges aus den Marställen von Landgraf Friedrich II. in den Neubau verlagert werden und war aus dem Kuriositätenkabinett seiner Vorfahren hervorgegangen. Korallenzweige und Nautilusmuscheln fanden sich neben Elfenbeinschnitzereien und Globen.

Das Fridericianum war im klassizistischen Stil entworfen worden - als erstes Gebäude in Deutschland überhaupt. Damit passte es hervorragend zur Sammelleidenschaft des Auftraggebers, der Kisten von Antiken aus Italien kommen ließ. Dieser erste Museumsbau wurde in Kassel mitten an einem zentralen, bis dahin der Residenz vorbehaltenen Platz errichtet, und nahm die für Jahrhunderte fast verbindliche Form des Museums vorweg: als Sammlung, die hinter einem weißen säulenbestandenen Portikus verwahrt wird.

Bald schon war das Museum nicht mehr das Gebäude, das von Herrschern großzügig dem Volk geöffnet wurde, um es am Reichtum und Bildung teilhaben zu lassen. Es stand als Bauform auch dann bereit, als die republikanische Neuzeit Kunst- und Kulturschätze vom abgedankten Adel übernahm. Auf dem Weg zur Demokratie wurde einiges an fürstlichem, königlichem oder kaiserlichem Besitz über seine Schwelle getragen.

Das öffentliche Museum, wie man es in Westeuropa kennt, hat sich dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch einmal gewandelt. Vom Schatzhaus mit fast unverrückbarer Präsentation, wurde es zum aktiven Ausstellungshaus, das die Sammlung nur noch als Rückgrat und historischen Bezugspunkt empfindet.

Zudem vertiefte sich die Allianz zwischen Kunst und Museum: Die meisten populären Neugründungen der Neunzigerjahre in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien waren Kunstmuseen. Die Begeisterung für moderne oder - historisch präzedenzlos - sogar zeitgenössische Kunst führte zu den spektakulärsten Architekturen in den Innenstädten der Metropolen: Das Centre Pompidou in Paris, die Londoner Tate Modern in einem ehemaligen Kraftwerk oder die Pinakothek der Moderne in München sind nur einige davon. Der gleichzeitig zu diesen Erweiterungen oder Neugründungen einsetzende Boom des Kunstmarkts beförderte die Popularisierung der Kunst zusätzlich.

Die Debatte begann mit der Frage nach der NS-Raubkunst

Gleichzeitig wuchs die Produktion von Ausstellungen. Es ging nicht länger nur darum, Wissen durch die Präsentation der Sammlung anschaulich zu machen, sondern das Publikum mit Blockbusterausstellungen für das Museum zu gewinnen und gleichzeitig selbst Wissen zu produzieren. Vor allem die zeitgenössische Kunst stellte sich politischen und gesellschaftlichen Fragen, produzierte Thesen, stieß Debatten an, die in Katalogen mit Argumenten vorangetrieben wurden.

Inzwischen aber steht das Museum selbst in der Diskussion, als machtvolle Institution mit zweifelhafter Herkunft. Zunächst waren es Künstler, die im Museum das Thema Raubkunst der NS-Zeit anstießen, beispielsweise Maria Eichhorn, die erstmals die Besucher aufforderte, auch die Rückseiten der Bilder im Münchner Lenbachhaus zu betrachten, nachzufragen, wie der Kunstraub des nationalsozialistischen Regimes so umstandslos in die öffentlichen, demokratischen Museen gelangen konnte.

Derzeit streitet man darüber, wie das Erbe der Kolonialzeit zu bewerten ist und ob die gleichen Kriterien für Restitution angewendet werden müssen, wie man sie inzwischen bei NS-Raubkunst eingeübt hat. Eine Diskussion, die auch die überfällige Debatte zur Kolonialzeit in Deutschland angestoßen hat.

Es ist abzusehen, dass sich diese Diskussion ausweiten wird: Wie kamen die Sammlungen überhaupt zustande? Wer entscheidet über Museumsgründungen und Ankäufe? Die Museen werden sich den neuen Ansprüchen auf Aufarbeitung und Wahrheitsfindung stellen müssen, wenn sie die hohe Zustimmung des Publikums nicht verspielen wollen. Die auf Transparenz und Öffentlichkeit angelegte Institution ist prädestiniert dafür, anderen Einrichtungen beispielhaft voranzugehen.

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