Geschichte:Früher König, heute kriminell

Wie sich das Ansehen der Piraten über die Jahrhunderte verändert hat.

Von Christian Gschwendtner

Nein, wie ein Pirat sieht Bartholomew Roberts nicht aus. Auf Bildern posiert er für gewöhnlich in feinster Kleidung, mit karmesinroter Weste und Seidenschärpe. Ein Dandy, der sich nebenbei noch für edles Porzellan und klassische Musik begeistern konnte. Trotzdem war dieser Bartholomew Roberts der Schlimmste von allen: "the great pyrate", der große und sicherlich auch der gefürchtetste Pirat.

Von Roberts ist meistens dann die Rede, wenn es um das Goldene Zeitalter der Piraterie geht. Es endete 1726, kurz nach seinem Tod, und wird so schnell wohl nicht zurückkehren. Schon allein deswegen, weil Piraten heute nicht mehr jenen sagenhaften Reichtum anhäufen, der sie damals zu kleinen Königen machte. Aber auch, weil man Freibeuter wie Roberts nicht als gewöhnliche Kriminelle betrachtete - eher als Männer mit starkem Freiheitsdrang und einer Vorliebe zur direkten Demokratie. Damit konnte man zumindest noch in einer Zeit auffallen, in der fast überall der Absolutismus regierte.

Wenig eignet sich so gut für die Demokratie wie eine Minigesellschaft auf dem Meer

Anders an Bord der Piratenschiffe: Es gab dort eine festgeschriebene Verfassung, an die sich jeder zu halten hatte, auch legendäre Kapitäne wie Bartholomew Roberts. Geregelt wurde darin die Aufteilung der Beute, eine damals sehr egalitäre Angelegenheit. Ein Piratenanführer erhielt zum Beispiel nur das Doppelte eines normalen Besatzungsmitglieds. Wer trotzdem betrog, flog schnell auf, weil die Schätze öffentlich verwahrt wurden. Ein Vergehen konnte deshalb schnell zur Meuterei führen, woran kein Piratenkapitän interessiert war. Über wichtige Entscheidungen wurde sowieso meistens abgestimmt: Wo man auf Jagd gehen sollte, was mit einem erbeuteten Schiff oder mit Abtrünnigen in den eigenen Reihen passieren sollte. Eine fast perfekte Demokratie.

Erbarmungsloser zeigten sich die Piraten, wenn ihnen ein praktizierender Antidemokrat in die Hände fiel. Berühmt sind jene Tribunale, die sie regelmäßig an Bord gekaperter Handelsschiffe abhielten. Dort fragte man zuerst die Besatzung über den Kapitän aus, entpuppte sich dieser als Autokrat, übten die Piraten im Namen der geschundenen Crew grausame Vergeltung. Nicht selten kam dann die "neunschwänzige Katze" zur Anwendung, eine Peitsche mit neun Riemen, die das Fleisch am Rücken mit wenigen Hieben zerfetzte.

Wissen muss man in diesem Zusammenhang, woher sich die Piraten in dieser Zeit rekrutierten: Größtenteils handelte es sich damals um nach dem Spanischen Erbfolgekrieg nutzlos gewordene Marinesoldaten, die man nicht nur bei der Royal Navy vor die Tür setzte. Was ihnen dann drohte, war entweder ein trauriges Dasein als mittelloser Gelegenheitsarbeiter in den Häfen dieser Welt. Oder noch schlimmer: die totale Ausbeutung auf einem der vielen Handelssegler, wo man die Matrosen nicht selten noch um ihren Hungerlohn brachte. Klar, dass viele eine Rechnung mit der Obrigkeit offen hatten.

So gesehen unterscheiden sich die frühen Piraten gar nicht so sehr von ihren heutigen Vertretern. Glaubt man zumindest den Aussagen einiger Seeräuber aus Somalia, dann treibt sie die pure Not aufs Meer hinaus. Angeblich, weil illegale Großfischer die einheimische Bevölkerung um ihren rechtmäßigen Fang bringen. Das muss nicht immer stimmen, erklärt aber einiges: Diejenigen, die heute noch dem Handwerk der Piraterie nachgehen, tun das in aller Regel sporadisch. Das heißt, sie wagen sich für kurze Überfälle mit dem Schnellboot aufs Meer hinaus, ziehen sich dann aber rasch wieder an Land zurück. Bei früheren Piraten vom Schlag eines Bartholomew Roberts war das genau umgekehrt: Sie lebten als Gesetzlose auf dem Meer. Ein Landgang war meistens nur vorgesehen, um das Schiff wieder fit zu machen oder Diebesgut loszuwerden.

Aus der Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers Peter Leeson erklärt das auch die Vorliebe für die Demokratie. Die alten Piraten lebten jahrelang auf dem Meer in Minigesellschaften auf engstem Raum zusammen. Die demokratische Organisation war da schlichtweg die beste Form, um alle Besatzungsmitglieder zum Mitkämpfen zu bringen. Auf die Autorität eines Staates konnte sich ein Piratenkapitän jedenfalls schlecht berufen.

Mit früheren Zeiten lässt sich das Piratenproblem von heute sowieso nicht mehr vergleichen. Gerade einmal 174 Vorfälle vermeldete das Internationale Schifffahrtsbüro der Internationalen Handelskammer (ICC) bis Anfang November des vergangenen Jahres. Beinahe ein historischer Tiefstand. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es den Piraten nur in vier Fällen gelang, ein Schiff zu entführen.

Der Piratenkapitän trank lieber Tee statt Rum. Geholfen hat es am Ende nichts

Das soll umgekehrt nicht heißen, dass es überhaupt keine Seeräuber mehr gibt. Im Golf von Guinea oder vor der Küste der Philippinen stehen die Chancen nach wie vor nicht schlecht, mit einigen von ihnen in Berührung zu kommen. Nur lesen sich die Schilderungen aus dem Goldenen Piratenzeitalter doch etwas anders. Ein Kapitän der East India Company berichtete zum Beispiel im Jahr 1697 seinen Vorgesetzten in London von einer wahren Piratenfestung, die auf der Insel Sainte Marie, nordöstlich von Madagaskar entstanden sein sollte. Angeblich diente sie 1500 Piraten als Umschlagplatz - inklusive Wirtshäusern, Spielhallen und Bordellen. Die englische Admiralität wollte da irgendwann nicht länger zuschauen. Zumal die Einbußen für den Kolonialhandel beträchtlich waren und sich viele Handelsschiffe nur noch mit einer bewaffneten Eskorte über den Atlantik trauten. Spätestens seit 1720 machte die Royal Navy deshalb Jagd auf die Seeräuberkönige.

Der weltgewandte Roberts hielt zwar länger als der Rest durch - wohl weil er dem Alkohol nie sonderlich zugetan war und lieber Tee trank. Mit der Zeit wurde aber auch er immer unvorsichtiger, man könnte auch sagen: beratungsresistenter. Offenbar konnte ihn niemand davon abbringen, einer englischen Patrouillenflotte an der afrikanischen Ostküste hinterherzusegeln - um in deren Windschatten Handelsschiffe auszurauben. So erwischte ihn die Royal Navy doch noch, Roberts starb in einem Seegefecht. Ganz nach seinem Motto: lieber ein kurzes Leben, dafür ein fideles.

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