Chinas Außenpolitik:Pekings großes Sticheln

Neujahrsansprache von Xi Jinping

Scheute zuletzt kaum einen Konflikt: Chinas Präsident Xi Jinping bei seiner Neujahrsansprache.

(Foto: dpa)
  • In den USA setzt sich die Erkenntnis durch, dass China als Gegner zu betrachten ist, nicht als aufsteigende Macht, die man im Zaum halten könne.
  • Die beiden Staaten piesacken sich auf vielen Gebieten, besonders prominent in Handels- und Zollfragen, aber auch militärisch im Südchinesischen Meer.
  • Ein Kalter Krieg vor allem im Technologiesektor ist längst ausgebrochen.

Von Stefan Kornelius

Xi Jinping lässt bei seinen Reden selten eine Gelegenheit aus, um für "Harmonie in der Schicksalsgemeinschaft der Menschheit" zu werben. Diese Woche klang das allerdings anders. In einer Rede in Peking drohte Chinas Präsident Taiwan mit einer gewaltsamen Rückeroberung. Peking behalte sich vor, "alle erforderlichen Mittel zu ergreifen", um die Wiedervereinigung mit dem Festland zu erzwingen, sagte Xi.

Es ist nicht das erste Mal, dass Peking auch militärische Drohungen einsetzt, um seinen Willen durchzudrücken. Im September kollidierten beinahe ein US-Zerstörer und ein chinesisches Kriegsschiff. Lediglich 41 Meter trennten beide Schiffe von einem Zusammenstoß. Das amerikanische Schiff war im Südchinesischen Meer auf einer "Freedom of navigation"-Mission unterwegs - eine Art militärische Machtdemonstration, mit der die USA und andere Nationen seit Monaten testen, wie es um die Freiheit der Schifffahrt in dieser Weltgegend bestellt ist, wo China künstliche Inseln aufschüttet, Militäranlagen installiert - und Hoheitsrechte reklamiert für einen Großteil des Südchinesischen Meeres (siehe Karte). Das chinesische Schiff hielt voll auf die Amerikaner zu, diese konnten gerade noch beidrehen.

Fachleute befürchten, dass eine militärische Routineübung außer Kontrolle geraten könnt

Auf See haben 41 Meter nur wenig mit Steuermannskunst zu tun, sondern mehr mit Zufall. Eine Kollision hätte auf beiden mit 300 Mann besetzten Schiffen Tote und Verletzte gefordert, der Zwischenfall hätte zu einer gefährlichen Krise eskalieren können. 18 ernste Ereignisse dieser Art hat das US-Militär seit 2016 in der Region gezählt.

Fachleute befürchten, dass jederzeit eine Routineübung außer Kontrolle geraten könnte. Das Südchinesischen Meer gibt lediglich die bekannteste Kulisse für die chinesisch-amerikanischen Reibereien ab. Tatsächlich piesacken sich beide Nationen auf so ziemlich allen Gebieten: Besonders prominent in Handels- und Zollfragen, in einem erbitterten Wettlauf um technologische Dominanz vor allem bei Mikrochips und im Bereich der künstlichen Intelligenz, in Fragen von Einfluss und Regelsetzung in internationalen Gremien, in der Netzspionage, mit Cyber-Angriffen und im Ringen um kulturelle Hoheit.

Auch militärisch ist China inzwischen ein ernst zu nehmender Akteur: Flug- und Schiffabwehr haben Chinas Militär weniger verwundbar gemacht und den Radius der USA im Pazifik eingeschränkt. Die nukleare Bewaffnung von Unterseebooten ist so weit fortgeschritten, dass Peking mit seinem geringen Arsenal dennoch über eine hohe Zweitschlagskapazität verfüge, stellte das Forschungsinstitut SWP vor wenigen Wochen in einer Studie fest.

Es gibt keinen Zweifel: Die aufsteigende Macht China macht die arrivierte Macht USA nervös. Am 4. Oktober, wenige Tage nach dem Zwischenfall im Südchinesischen Meer, hielt Vizepräsident Mike Pence in Washington eine Grundsatzrede zu China, die nicht wenige als den Startschuss für einen neuen Kalten Krieg werteten. Der Vergleich ist übertrieben, wie der frühere australische Premier Kevin Rudd, einer der besten China-Kenner überhaupt, mahnend feststellte. Der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA kannte ganz andere Extreme. Aber: In den USA wird nun in allen politischen Lagern die Analyse geteilt, dass China als Gegner zu betrachten sei, nicht als aufsteigende Macht, die man im Zaum halten könne.

Der Grüne Bütikofer spricht von einem "fundamentalen Wandel" in der Politik Pekings

Umgekehrt wird diese neue Rivalität auch in China akzeptiert. In einem Beitrag in der staatlichen Chinesischen Volkszeitung stellte ein Autor im August fest, dass die USA den Handelskrieg als Instrument der umfassenden, nicht nur ökonomischen Eindämmung Chinas benutzten. In chinesischen Regierungsdokumenten ist die Rede davon, dass China "die Reform der globalen Agenda anführen" werde. Dafür treibt Peking in atemberaubendem Tempo seine Seidenstraßen-Initiative voran und hat besonders in Entwicklungsländern neue Schulden-Abhängigkeiten aufgebaut. Weltweit spannt Peking ein Netz kultureller Institutionen, besonders an Universitäten mit seinen Konfuzius-Instituten. In allen Hochtechnologie-Nationen, Deutschland an der Spitze, wurden als Reaktion auf die Strategie binnen Monaten die Regeln für chinesische Firmenübernahmen drastisch verschärft.

Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter und ein guter Kenner der politischen Szene in Peking, spricht von einem "fundamentalen Wandel" in der Politik Pekings. "Präsident Xi hat die Welt für China geöffnet, aber China selbst ist dieser Welt gegenüber immer weniger offen", sagte der Grünen-Politiker unlängst bei einer der wenigen Diskussionsbegegnungen zwischen europäischen und chinesischen Außenpolitikern, dem Bergedorfer Gesprächskreis in Peking. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier brachte es auf eine präsidentielle wie auch klare Formel: "Je dichter die Beziehungen werden, desto stärker stechen die Unterschiede hervor." Nun sehe man: Ein Amerika, das den Konflikt wolle, und ein China, dass sich so stark sehe, dass es dem Konflikt nicht mehr ausweichen könne. Experten wie Ex-Premier Rudd sind sich sicher, dass China und die USA eine direkte, militärische Konfrontation um jeden Preis vermeiden wollen. Der Kalte Krieg vor allem im Technologiesektor ist hingegen längst ausgebrochen. Hier wird sich die nächste Rivalität der Supermächte entscheiden.

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