Mobilität der Zukunft:Wie Firmen den Abschied vom eigenen Auto fördern

Radfahrer in München

Immer mehr Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeiter den Umstieg aufs Fahrrad schmackhaft zu machen.

(Foto: dpa)

Viele Beschäftigte fahren mit dem Auto zur Arbeit. Doch mittlerweile werben Unternehmen für den Umstieg auf Rad, Bus und Bahn. Ein Vorreiter ist ausgerechnet ein Autohersteller.

Von Marco Völklein

Eigentlich ist Mittagspause an diesem Freitag in Unterschleißheim bei München. Die Mitarbeiter sollten in die Kantine eilen oder kurz mal an die frische Luft gehen. Stattdessen drängen sich die Beschäftigten des Automobilherstellers BMW in einem mit Infowänden vollgestellten Konferenzraum. Stimmen schwirren umher, überall reden Menschen miteinander. Auf den Tafeln finden sich Informationen zum öffentlichen Personennahverkehr in München, zum Carsharing-Angebot der BMW-Tochter Drive Now. Eine große Karte zeigt das Radroutennetz im Münchner Norden. An jeder Tafel steht mindestens ein Mitarbeiter von BMW und erläutert seinen Kollegen Details zu den jeweiligen Themen. Fragen werden beantwortet, Anregungen notiert.

"Was wir anstreben", sagt Ulrich Stautner, zuständig für die Initiative Campus Mobility bei BMW, "ist ein sanftes Ändern des Mobilitätsverhaltens der Mitarbeiter auf ihren Arbeitswegen." Das ist überraschend. Ausgerechnet ein Automobilhersteller will, dass seine Mitarbeiter weniger Auto fahren. Tatsächlich bietet sich aktuell dem Konzern in Unterschleißheim eine Gelegenheit, die Belegschaft für das Thema zu sensibilisieren: Im Frühjahr werden Mitarbeiter aus drei Standorten, einer davon ist Unterschleißheim, in einen neuen Bürokomplex in München-Freimann ziehen, etwa 3000 Personen müssen sich neu mit der Frage befassen, wie sie künftig zur Arbeit kommen. Wieder mit dem Auto? Oder doch irgendwie anders?

"Uns geht es nicht darum, das Auto per se hinten anzustellen", sagt Stautner. BMW bleibe nach wie vor ein Automobilhersteller. Dennoch versuche das Unternehmen, seinen Mitarbeitern für deren Arbeitsweg "aktiv Alternativen aufzuzeigen", beispielsweise per App oder im Intranet, "wenn es denn zu ihren Mobilitätsbedürfnissen passt". Und das heißt konkret: Vielleicht dann doch mal mit der Bahn, dem Bus oder dem Rad zur Arbeit fahren statt mit dem Auto. Oder einen Tag zu Hause im Home-Office verbringen und so die Straßen entlasten. "Die Leute merken ja jeden Tag, dass es immer voller wird auf den Straßen", sagt der BMW-Manager. Da werde auch der Konzern mit mehr als 37 000 Mitarbeitern allein am Standort München einen Beitrag zur Entzerrung leisten.

Der Autobauer ist damit nicht allein. Viele Unternehmen machen sich Gedanken darüber, auf welchen Wegen und mit welchen Verkehrsmitteln ihre Belegschaften ins Büro oder zur Fabrikhalle gelangen können. Beim Versorgungsunternehmen Thüga zum Beispiel hatten sich vor einiger Zeit engagierte Mitarbeiter gefragt, warum eigentlich ihr privat genutztes Auto, mit dem sie morgens ins Büro gefahren waren, in der Regel den ganzen Tag über ungenutzt auf dem Firmenparkplatz herumstand - und ihr Arbeitgeber im Gegenzug zahlreiche Pool-Fahrzeuge vorhielt, mit denen die Mitarbeiter beispielsweise zu Geschäftsterminen fuhren. Mit Partnern entwickelte man eine Art firmeninternes Carsharing: Mitarbeiter und Unternehmen teilen sich nun ein Auto; morgens steuert der Mitarbeiter damit ins Büro, abends wieder nach Hause. Während der Arbeitszeit aber kann es von anderen Kollegen für Dienstfahrten genutzt werden. Anschaffungs- und Betriebskosten teilen sich beide Seiten. Bei einem elektrisch angetriebenen Renault Zoe spart das Unternehmen so laut Thüga 23 Prozent, der Mitarbeiter sogar 33 Prozent gegenüber der normalen Anschaffung.

"Manchmal reicht es ja schon, den bestehenden Fahrradparkplatz zu überdachen

Das Projekt wurde vom Bundesverkehrs- und dem Bundesumweltministerium im Rahmen der Initiative "mobil gewinnt" ausgezeichnet. In dieser Initiative suchen die beiden Häuser nach "kreativen und vorbildhaften Ideen für bessere Arbeitswege und umweltschonende Mobilität", wie es heißt. Die Beispiele sollen andere Firmen anregen, ebenfalls nach umweltfreundlicheren Lösungen zu suchen - am besten zusammen mit ihren Mitarbeitern. Ausgezeichnet wurde auch die MV Werft in Wismar, die einen externen Pendlerparkplatz mit Shuttle-Anbindung errichten, Fahrradstationen bauen und eine Onlineplattform für die Bildung von Fahrgemeinschaften schaffen will. Beim Lebensmittelhersteller Alnatura in Darmstadt wurden ein Fahrradparkhaus mit Lade- und Reparaturmöglichkeiten sowie Duschen und Umkleiden ausgezeichnet. All diese Beispiele zeigen, "was alles möglich ist", sagt Matthias Dietz vom Auto Club Europa (ACE). Unternehmen wie Mitarbeiter "müssen sich nur der eigenen Mobilitätssituation bewusst werden und erkennen, dass diese veränderbar ist".

Deshalb touren Dietz und seine Kollegen durch Firmen in der ganzen Republik, veranstalten Beratungsgespräche, Aktionstage und Konferenzen. Bei solchen Veranstaltungen geben dann nicht nur die ACE-Berater am Infostand Tipps zum individuellen Arbeitsweg, sie holen oft noch regionale Partner ins Haus: den örtlichen Nahverkehrsverbund, Carsharing-Anbieter und lokale Fahrradhändler. Wichtig sei es, sagt Dietz, die Arbeitnehmer zu sensibilisieren, sie auf Alternativen zu stoßen, "ihnen zu zeigen, dass es andere Formen der Mobilität gibt" - wenngleich auch ihm klar ist, dass insbesondere in den Metropolen auch Busse und Bahnen heillos überfüllt sind und nicht jeder mit dem Rad zur Arbeit pendeln kann. Dennoch: Nicht selten entstünden aus den Veranstaltungen weitere Initiativen, sagt Dietz, indem sich Mitarbeiter an den Betriebsrat oder den Chef wenden und die Einrichtung von Radabstellanlagen oder die Einführung eines bezuschussten Jobtickets einfordern. "Manchmal reicht es ja schon, den bestehenden Fahrradparkplatz zu überdachen oder besser über bestehende Mobilitätsangebote zu informieren", sagt Dietz.

Zumal der Gesetzgeber offenbar erkannt hat, dass er mehr tun kann als Mobilitätsberatung anzubieten: So wurde zum Jahresbeginn das Einkommensteuergesetz geändert; seither müssen Arbeitnehmer den finanziellen Vorteil, den sie aus einem Jobticket für den öffentlichen Nahverkehr ziehen, das ihnen der Arbeitgeber zusätzlich zum Lohn zur Verfügung stellt, nicht mehr versteuern. Viele Verkehrsverbünde unterstützen dies, indem sie Firmen, die viele Jobtickets abnehmen, einen Rabatt einräumen. So gewährt der Münchner Verkehrsverbund (MVV) Betrieben zehn Prozent Nachlass, wenn sie 1000 oder mehr Tickets abonnieren. Kleinere Firmen können sich laut MVV zusammentun, um den Mengenvorteil zu nutzen. Immer mehr Beschäftigte leasen auch ein Fahrrad über den Arbeitgeber und wandeln dafür Teile ihres Gehalts um.

Bei BMW läuft seit Herbst 2018 ein entsprechendes Programm, der Konzern arbeitet dabei bundesweit mit 5500 Radhändlern zusammen. Am neuen Standort im Münchner Stadtteil Freimann würde zudem "nur die notwendige Zahl an Autostellplätzen" gebaut, sagt Stautner, dafür mehr Radständer und 400 Radfahrerspinde; mit der Stadt wurde zudem die Verlängerung einer Buslinie vereinbart. Und für das Lease-Rad-Programm hätten sich binnen kürzester Zeit allein am Münchner Standort "mehrere Tausend" Mitarbeiter registriert, sagt Stautner. Das Interesse sei enorm und steige kontinuierlich an.

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