Soziale Medien:Robert Habecks Angst, in den Spiegel zu schauen

Robert Habeck auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen

Robert Habeck twittert nicht mehr.

(Foto: picture alliance / Bernd von Jut)

Sein Rückzug von Facebook und Twitter gefällt jenen, die sich selbst für progressiv, aber soziale Medien für narzisstischen Unsinn halten. Dabei wählt Habeck den einfachen Weg und blendet Probleme einfach aus.

Kommentar von Dirk von Gehlen

Als ob das ginge: Als ob man einfach nur auf "löschen" klicken müsste und dann wäre es wieder einfach. Auf diesen Glauben setzen Populisten aller Farben und Nationen, wenn es um die Herausforderungen der Gegenwart geht: einfach raus aus der EU, einfach eine Mauer zu Mexiko bauen, einfach zurück zur D-Mark.

Das Muster ist bekannt und in Kreisen, die sich für aufgeklärt halten - zum Beispiel den Grünen -, ist man sich schnell einig, dass das doch nicht geht. So einfach, so unterkomplex, so falsch. Doch auch in diesen Kreisen gibt es manchmal einen blinden Fleck.

Natürlich sind die Grünen gegen den Brexit und auch Trumps dumpfe Politik lehnen sie ab. Dafür gibt sich einer der prominentesten Grünen aber öffentlich dem Glauben hin, er könne den Herausforderungen der Digitalisierung mit Rückzug begegnen. Er übersieht, dass Smartphone abschalten, echte statt nur digitale Freunde oder eben die Löschung von Social-Media-Accounts ebenfalls Symptome des Phänomens "einfache Antworten" sind.

Genau auf dieses Muster greift Robert Habeck zurück. Der Mann, der manchen als progressivster deutscher Politiker gilt, gibt eine einfache Antwort auf die Frage, warum er zum wiederholten Mal ein etwas überdrehtes Video auf Twitter gepostet hat, nämlich: Das Medium ist schuld! "Twitter ist", schreibt Habeck, "wie kein anderes digitales Medium so aggressiv und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze."

Das Neue und Fremde wird zum Problem erklärt

Das ist eine wunderschöne Antwort, die all jenen gefällt, die soziale Medien eh für Unsinn und Selbstbespiegelung von Narzissten halten. Dabei ist die Antwort vor allem: unterkomplex und falsch.

Sie bedient ein Muster, das man seit Jahrzehnten aus dem Umgang mit dem Web kennt: Das Neue und Fremde wird zum Problem erklärt statt der Frage nachzugehen, woher die Menschen (und vielleicht auch Bots) eigentlich kommen, die Twitter für Robert Habeck zu so einem schlimmen Ort machen. Auch von Facebook zieht er sich nach eigenen Angaben zurück.

Das Web ist "zum Spiegel unserer globalen Gesellschaften geworden", schrieb unlängst der Mann, dem wir das Wort "Internet" zu verdanken haben: Vint Cerf ist einer der Begründer des wichtigen TCP/IP-Protokolls, das den dezentralen Austausch völlig unterschiedlicher Systeme über Landes- und Sprachgrenzen hinweg erst ermöglicht. Cerf analysierte in der britischen Ausgabe des Magazins Wired: "Manche Menschen sind nicht einverstanden mit dem, was sie in diesem Spiegel sehen, und machen den Fehler zu glauben, sie müssten den Spiegel reparieren, um die Probleme zu beheben, die sie in ihm sehen." Andere Menschen, wie Robert Habeck, glauben offensichtlich, es reiche, einfach nicht mehr in diesen Spiegel zu schauen, um die Probleme verschwinden zu lassen.

Es fehlt die Bereitschaft, Fehler zu machen

Das wird nicht funktionieren, und dennoch erhält Habeck Zustimmung für seinen Schritt. Denn selbst in den progressiveren Kreisen des Landes sind einige der Meinung, der Datenangriff der vergangenen Woche stehe in einem Zusammenhang mit der Nutzung sozialer Medien. Das ist, als würde man einen Bruch des Briefgeheimnisses mit den Worten kommentieren: "Die Leute schreiben heutzutage ja eh soviel privaten Kram in ihrer Post ..."

So einfach ist es nicht. Wir kommen nicht umhin, uns den Problemen zu stellen - und den immer neuen Versuch zu unternehmen, sie zu lösen. Dabei werden Fehler passieren, wie sie Habeck passiert sind. Lösungen findet aber nur derjenige, der bereit ist, auch weiterhin Fehler zu machen. Diese Bereitschaft scheint Habeck verloren zu haben. Das ist schade, denn noch falscher als ein blödes Video des Grünen-Chefs ist es, dass ausgerechnet er jetzt das Muster der einfachen Antworten bedient.

Dabei hatte Vint Cerf in seinem Text sogar ein Bild aus der grünen Bewegung gewählt, um die Aufgabe zu formulieren, vor die das soziale Web die Gesellschaft stellt: "Wie", hatte er gefragt, "können wir die Fähigkeit zum kritischen Denken in der Bevölkerung befördern? Und ist kritisches Denken ausreichend, um den digitalen sauren Regen abzuwehren, der den Ozean der nützlichen Online-Informationen zu vergiften droht?"

Wie beim Umweltschutz zeichnet sich gegenwärtige Politik auch beim Umgang mit dem Digitalen dadurch aus, dass sie im Sinne künftiger Generationen weiterhin daran glaubt, dass Zukunft gestaltbar ist. Und das auch dann, wenn es - im Web wie auf der Welt - manchmal nicht danach aussieht und man zu gerne eine einfache Lösung hätte. Die gibt es aber nicht. Politik bleibt anstrengend. Mit und ohne Twitter.

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Peter Tschentscher

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