Humor:"Deine Mutter lacht die hässliche Frau im Spiegel aus"

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(Foto: iStockphoto; Collage SZ)

Wer einen (vor)pubertären Sohn hat, hört sie ständig: Mutterwitze. Sie sind geschmacklos, sexistisch, obszön. Darf man da überhaupt mitlachen?

Von Paul-Philipp Hanske

"Deine Mutter lacht die hässliche Frau im Spiegel aus." - "Deine Mutter ist so dumm, sie sitzt auf dem Fernseher und guckt aufs Sofa." - "Deine Mutter ist so dick, wenn sie Bungee-Jumping macht, landet sie in der Hölle."

Wenn Sie einen zehn- bis 15-jährigen Sohn haben, werden Sie diese Witze kennen. Nichts finden Vorpubertäre lustiger, die kleinen Brüder kichern mal vorsichtshalber mit. Die Witze zirkulieren auf dem Pausenhof, es sind Variationen um das immer gleiche Thema: Die Mutter des anderen ist das Allerletzte. Eltern stehen etwas ratlos vor diesem Phänomen.

Natürlich gönnt man seinen Kindern ihren eigenen Humor, und natürlich darf der auch dreckig sein. Aber diesen Witzen klebt eine bösartige Gehässigkeit an, auf die wir zunehmend sensibel reagieren. Es geht gegen Dicke, gegen Hässliche und gegen die Unterschicht: "Was rollt mit Tempo 200 über die Autobahn? Deine Mutter mit McDonald's-Gutscheinen." Vor allem eine Sache ist klar: Es geht immer gegen Frauen. Dein-Vater-Witze sind zwar googlebar, aber schnell wird klar, dass da jemand der Geschlechtergerechtigkeit Genüge leisten wollte. Auf Pausenhöfen landet man damit keinen Coup.

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Deine-Mutter-Witze werden nur unter Jungs erzählt, sie sind eine Art Code, mit dem gleichermaßen Gemeinschaft gestiftet wie Dominanz ausgeübt wird. Sie sind immer auch direkter Angriff. Dass dies über die Mutter geschieht, ist kein Zufall. Dahinter steckt ein Muster, der sogenannte Maternal Insult - die Mutterbeleidigung. Deren Urform ist immer sexueller Natur: Der Mutter wird Promiskuität vorgeworfen. In den USA, wo die "Yo Mama"-Witze zum ersten Mal in den 1960er-Jahren beschrieben wurden, ist die obszöne Variante noch wesentlich verbreiteter als bei uns: "Yo Mama is like a parking garage ... three bucks and you're in" - "Deine Mutter ist wie ein Parkhaus ... für drei Dollar darf jeder rein."

Jahrtausende männlicher Angst und Gewalt, kondensiert in einem Witz

Die Mutterbeleidigung ist uralt und kulturell weit verbreitet. Schon in der Bibel schmähen sich Widersacher durch die Beschmutzung der Mütter. In China ist eine der schlimmsten Beschimpfungen: "Deine Mutter ist eine Schildkröte." Schildkröten leben promisk, Schildkrötenkinder kennen also ihren Vater nicht. In allen patriarchalen Gesellschaften ist weibliche Sexualität sanktioniert - sehr viel stärker als männliche. Gründe dafür gibt es viele.

An erster Stelle ist es natürlich Besitzdenken und institutionalisierte Eifersucht. Aber auch Reinheitsfanatismus spielt eine Rolle, wie er im Bild der Jungfrau Maria zum Ausdruck kommt, oder in der von Sigmund Freud beschriebenen bürgerlichen Trennung von keuscher Liebe und animalischem Begehren. Und dann gab es auch noch die patrilineare Erbfolge, in der Besitz und Stand vom Vater auf die leiblichen Söhne übergingen (und nur auf diese). Die Beschimpfung: "Dein Vater ist vielleicht gar nicht dein Vater (weil deine Mutter eine Hure ist)", soll nicht weniger heißen als: "Möglicherweise bist du ein völliges Nichts."

Jahrtausende männlicher Angst und Gewalt, kondensiert in einem Witz. Irgendwie ist das alles gar nicht mehr lustig. Aber halt dann doch. Denn das Tolle an Humor ist, dass er eine anarchische Eigenlogik entwickelt. Wahrscheinlich entstanden die heutigen Deine-Mutter-Witze aus dem verbalen Wettkampf "The Dozens", der vor allem von Afroamerikanern ausgetragen wird. Das ist eine Art freundlich-lustiger Battle-Rap. Es geht darum, das Gegenüber mit immer absurderen Behauptungen zu übertrumpfen - die Umstehenden fungieren als Jury.

So kam es von der ursprünglich sexuellen Bedeutung der Yo-Mama-Witze zu einer Öffnung in andere Kategorien: hässlich, dick, ungepflegt, dumm. Damit aber wurden die Szenarien immer irrealer, und so wurde immer klarer, dass keine echten Personen mit so etwas beleidigt werden können. Die Witze sind reine Sprachspiele, die einen Möglichkeitsraum mit verrückten Übertreibungen ausloten - Kinder mit ihrer wuchernden Fantasie lieben das natürlich. Die Schönsten der Witze lassen sogar das Patriarchat hinter sich, indem sie zu einer allumfassenden Muttergottheit zurückkehren: "Deine Mutter ist so dick, wenn ich mich umdrehe, sehe ich sie immer noch." Oder, in wunderbarer Reinform: "Deine Mutter ist so dick, sie ist wie Gott: Sie ist überall."

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