Fernsehen:Einschalten zum Gebet

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So voll, der Gottesdienst? Bei Sendungen der christlichen Kirchen geht es nicht immer repräsentativ zu. Illustration: BR/SZ (Foto: N/A)

Immer weniger Menschen gehören einer christlichen Kirche an. Verkündigungs­sendungen bleiben trotzdem eine Säule des Fernsehens.

Von Carolin Werthmann

Als Papst Franziskus zur Mittagsstunde des ersten Weihnachtsfeiertags auf die Loggia des Petersdoms tritt, sind Zehntausende von Pilgern vor Ort, um seinen Segen entgegenzunehmen. Ein voller Petersplatz, wie jedes Jahr. Ein Ereignis, wie jedes Jahr. Die Kapelle der Carabinieri spielt die vatikanische und italienische Hymne. Erhabene Stille folgt. Als Papst Franziskus an diesem Tag zu sprechen beginnt, hören und sehen ihn nicht nur die anwesenden Gläubigen; Fernseh- und Rundfunkteams machen aus dem "urbi et orbi" wie jedes Jahr ein Medienereignis.

Das ZDF war es, das den Segen übertrug, kommentiert von dem Theologen und Leiter der ZDF-Fachredaktion "Kirche und Leben katholisch" Jürgen Erbacher. Die Live-Übertragung aus dem Vatikan ist dabei nur ein Höhepunkt zur Weihnachtszeit, der abrundet, was das ganze Jahr über regelmäßig im Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Rundfunks zu sehen und zu hören ist. Jeden Sonntagvormittag können ZDF-Zuschauer abwechselnd katholischen und evangelischen Gottesdiensten über ihre Fernseher beiwohnen. Auch die ARD und ihre Landesrundfunkanstalten haben zu besonderen Anlässen, vorwiegend an christlichen Feiertagen, Sendefenster für Messen eingeplant. Und Samstags nach den Tagesthemen im Ersten verkünden katholische und evangelische Theologinnen und Theologen Das Wort zum Sonntag, bei Deutschlandfunk gibt es Am Sonntagmorgen und Die M orgenandacht, bei Deutschlandfunk Kultur Das Wort zum Tage.

Kirchliche Sendungen gehören zum Auftrag der Sender, Meinungsvielfalt zu gewährleisten

Verkündigungssendungen nennen sich diese Formate. Während in den Kirchenfunkredaktionen bei ARD und ZDF unabhängige, bei den Sendern angestellte Fachjournalisten sitzen (Jürgen Erbacher ist einer von ihnen), werden die Verkündigungssendungen von Beauftragten der Religionsgemeinschaften verantwortet. Meist geschieht das in enger Zusammenarbeit mit den Fachredaktionen der Sender, wie im Fall der journalistisch aufbereiteten jüdischen Sendungen Aus der Jüdischen Welt in Deutschlandfunk Kultur oder Schalom im Deutschlandfunk. Festgelegt ist dieses Senderecht der Kirchen in den Landesrundfunkgesetzen und Staatsverträgen.

So heißt es in Paragraf 42 Absatz 1 des Rundfunkstaatsvertrags, dass den evangelischen, katholischen und jüdischen Religionsgemeinschaften auf Wunsch angemessene Sendezeiten zur Übertragung religiöser Sendungen einzuräumen sei. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Drittsenderecht, ähnlich den Drittsendelizenzen kommerzieller TV-Sender mit jährlich mehr als zehn Prozent Zuschaueranteil. Sie müssen Programmzeit an unabhängige Dritte abtreten, um Meinungspluralismus zu gewährleisten.

"Mit den kirchlichen Sendungen möchte man zu einer Vielfalt der Gesellschaft beitragen", sagt Oberkirchenrat Markus Bräuer, Medienbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Theologischer Vorstand des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik. "Die Kirchen haben in der Gesellschaft eine hohe Reputation, auch, weil sie keine wirtschaftlichen und keine politischen Interessen verfolgen." Von dem Drittsenderecht unberücksichtigt bleiben im Rundfunkstaatsvertrag dagegen die islamischen Religionsgemeinschaften. "Allerdings hat das ZDF ausgehend von der Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland vor elf Jahren ein journalistisches Format entwickelt", sagt Reinold Hartmann, Leiter der ZDF-Redaktion "Kirche und Leben evangelisch". Er meint damit das Forum am Freitag, "ein im deutschen Fernsehen einmaliges Projekt". Die 15-minütige Sendung läuft wöchentlich und wird moderiert von zwei Journalistinnen und einem Journalisten mit muslimischem Hintergrund.

Um junge Leute zu erreichen, schickt Pro Sieben Nils Petrat und das "Motzmobil" ins Rennen

Schon in den Zwanzigern setzten sich die Kirchen für kirchliche Morgenfeiern im Hörfunk ein. Während der Zeit des Nationalsozialismus brachte der Staat die Sendungen dann sukzessive unter seine Kontrolle, bis er sie schließlich ganz aus dem Programm nahm. Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges fand die Kirche ihren Weg zurück in die Medien. "Für die Besatzungsmächte waren Kirchen wichtige Garanten für die Durchsetzung ihrer Ziele", schreibt Heinz Glässgen in seinem Buch "Katholische Kirche und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1962". "Nämlich für die Rückbesinnung auf wichtige, für das Zusammenleben der Menschen relevante Werte und damit für die angestrebte Umerziehung des deutschen Volkes."

Der Begriff der Verkündigung ist vor allem ein christlicher, er meint die Verbreitung des Evangeliums, um den Glauben weiterzugeben. Christliche Bekehrung im Fernsehen also? "Wir machen ja keine Frontalverkündigungen, sondern versuchen aufzuzeigen, wie unsere Gesellschaft, unsere Kultur vom christlichen Glauben geprägt ist und wie aktuell dieser ist", sagt Markus Bräuer. "Das sind wichtige Fragen, auch wenn die Anzahl der Kirchenmitglieder heute eine andere ist als noch vor zehn Jahren."

Die Anzahl der Kirchenmitglieder wird tatsächlich immer geringer, wenngleich immerhin rund 21,5 Millionen Menschen in Deutschland der evangelischen Kirche und 23,3 Millionen der römisch-katholischen Kirche zugehörig sind. Doch nur noch eine Minderheit der jungen Erwachsenen bezeichnet sich als gläubig. Das ergab eine repräsentative Befragung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD unter Männern und Frauen im Alter von 19 bis 27 Jahren.

Es stellt sich die Frage, ob kirchliche Verkündigungssendungen überhaupt noch zeitgemäß sind. Von Sendefenstern bei Privatsendern erhoffen sich die Kirchen, junge Leute zu erreichen. Neben kurzen Bibelclips auf RTL haben sich auf Pro Sieben jugendliche Formate mit ebenso jugendlichen Pfarrerinnen und Pfarrern als Repräsentationsfiguren etabliert. Nils Petrat und das Motzmobil zum Beispiel, 90 Sekunden kurz. Petrat ist Ende 30, sieht aus wie Ende 20, sein Haar ist hellblond, man möge behaupten gefärbt, er trägt einen Undercut, die Männer-Trendfrisur des Jahres. Langes Deckhaar trifft rasierte Schläfen. Pfarrer Petrat parkt "sein gelbes Checker-Taxi" in der Kölner Innenstadt, will von Passanten auf der Rückbank wissen, ob der Geschenkekauf vor Weihnachten stresst.

Doch auch dem Privatfernsehen wandert das Publikum ab. Es gibt Youtube. Es gibt Podcasts. Non-lineare Medien, die den Anspruch auf Sendefenster im Fernsehen beinahe hinfällig machen. Auch die Medienvertreter der Religionsgemeinschaften wissen das - und entwickeln neue Formate. Den evangelischen Youtube-Kanal "Jana" zum Beispiel, getreu dem Stil der Youtube-Influencer. Eine Medizinstudentin spricht über Selbstbewusstsein, Schubladendenken und Gott. Ihr Kanal erreicht 8700 Abonnenten. ZDF-Gottesdienste erreichen regelmäßig etwa 700 000 Zuschauer. Das Wort zum Sonntag verzeichnet knapp zwei Millionen. Kirchensendungen sind sowohl Institution als auch Tradition. Sie lassen bequem vom Wohnzimmer aus an Gottesdiensten teilhaben und bringen den Vatikan nach Deutschland. In Großaufnahme.

© SZ vom 09.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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