Wohnen in München:Stadt hilft armen Mietern - und gerät nun selbst in Not

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Knapp 3000 Mal pro Jahr wird eine Wohnungsräumung verhindert, weil die Stadt finanziell einspringt. Ein Urteil des Amtsgerichts stellt das erfolgreiche Konzept aber nun grundsätzlich infrage.

Von Stephan Handel

Wenn einem Mieter wegen Mietrückständen die Kündigung oder gar die Räumung droht, dann kann ihm oft die "Fachstelle zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit" des städtischen Sozialreferats helfen - unter anderem, indem sie die Schulden gegenüber dem Vermieter bezahlt. Durchschnittlich etwa 5600 solche Fälle laufen jedes Jahr bei der Stadt auf, in etwa der Hälfte davon kann so die Räumung verhindert werden. Ein Urteil des Amtsgerichts stellt das erfolgreiche Konzept aber nun grundsätzlich infrage.

Eine Mieterin in Moosach hatte vor etwa eineinhalb Jahren fast sechs Monate lang ihre Miete nicht mehr bezahlen können, der Vermieter kündigte ihr gleichzeitig fristlos und ordentlich. Die Frau wandte sich an die Stadt. Und die Fachstelle erklärte dem Vermieter gegenüber, die Schulden zu übernehmen. Dieser wollte die Mieterin trotzdem loswerden und vollstreckte die ordentliche Kündigung - im November 2017 wurde die Wohnung geräumt. Dann aber fiel dem Vermieter ein, dass ihm die ausstehende Miete ja immer noch fehlt. Weil sich die Stadt aber zu deren Bezahlung verpflichtet hatte, reichte er Klage ein. Und bekam vom Amtsgericht Recht: Die Verpflichtung ist bindend für die Stadt, auch wenn ihr eigentlicher Zweck, nämlich der Mieterin ihre Wohnung zu erhalten, nicht erreicht wird: "Die Vorgehensweise des Klägers mag zwar moralisch als wenig beispielhaft erscheinen", heißt es in der Urteilsbegründung, denn der Vermieter wälze sein Risiko ohne Gegenleistung auf die Allgemeinheit der Steuerzahler ab - "rechtlich ist es jedoch nicht zu beanstanden".

Ein Sachbearbeiter der Stadt hatte an den Vermieter geschrieben, die Fachstelle "würde gerne die offenen Mietrückstände und die Kosten des Verfahrens übernehmen". In einem weiteren Schreiben wurde die Übernahme zugesichert sowie, weil Unklarheiten bestanden, eine Auflistung aller Forderungen angefordert. In einem Telefonat sagte der Sachbearbeiter schließlich: "Sobald wir die Aufstellung erhalten haben, überweisen wir Ihnen das Geld."

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Der Vermieter nahm das wörtlich - und weil im ersten Schreiben auch von den Kosten des Verfahrens die Rede war, klagte er nicht nur die Mietrückstände ein, sondern auch die Rechtsanwaltsgebühren und die Kosten für die Räumung. Insgesamt muss die Stadt nun nach dem Urteil - das noch nicht rechtskräftig ist - mehr als 6000 Euro nebst Zinsen bezahlen.

Martin Klimesch, der Anwalt des Vermieters, freut sich einerseits über seinen Prozesserfolg - andererseits nennt er die Entscheidung "für die Stadt eine mittlere Katastrophe". Die Schuld allerdings sieht Klimesch beim Gesetzgeber: Der habe bei der Formulierung des einschlägigen Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch schlampig formuliert. Dort ist geregelt, dass eine fristlose Kündigung unwirksam wird, "wenn sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet", also dazu, die Schulden zu bezahlen. Die Option der ordentlichen Kündigung hingegen bleibt dem Vermieter - und kann nach Klimeschs Meinung auch nicht durch entsprechende Formulierungen in den Vereinbarungen abgewendet werden, die die Stadt mit den Vermietern schließt.

Das Urteil des Amtsgerichts datiert vom 3. Januar, zugestellt wurde es den Parteien Anfang dieser Woche. Die Stadt will sich an diesem Donnerstag äußern - ob sie in Berufung geht und wie sie künftig mit ähnlichen Fällen verfahren will. (AZ: 472 C 20873/18)

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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