Diebstahl der Big Maple Leaf:"Eine hundert Kilo schwere Goldmünze klemmt man sich nicht unter den Arm"

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Nach dem Diebstahl einer Goldmünze müssen sich vier Männer vor Gericht verantworten. Ein Gespräch mit Björn Kupfer, Sicherheitsexperte für Museen, über Insider, Toiletten-Verstecke und die Camorra.

Interview von Verena Mayer, Berlin

Der Diebstahl einer hundert Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum gilt als einer der spektakulärsten Coups der jüngsten Kriminalgeschichte. Im März 2017 wurde die Big Maple Leaf entwendet, von Donnerstag an müssen sich nun vier Männer wegen gemeinschaftlichen Diebstahls vor dem Berliner Landgericht verantworten. Sie sind zwischen 20 und 24 Jahre alt, drei von ihnen gehören zur Familie R., einem kriminellen Berliner Clan, der seit Längerem mit Aufsehen erregenden Einbrüchen in Verbindung gebracht wird. Die Brüder und ihr Cousin sollen sich über die Gleise am nahen S-Bahnhof ins Museum gehangelt und mit einer Axt die Vitrine zerstört haben, in der sich die Münze befand. Diese sollen sie erst mit einer Schubkarre und dann mit einem Auto abtransportiert haben. Die Goldmünze ist bis heute verschwunden, ihr Diebstahl wirft auch ein Schlaglicht auf die Sicherheit in deutschen Museen. Björn Kupfer, der sich beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft unter anderem mit der Sicherheit von Museen beschäftigt, weiß, welche Gefahren Kunstschätzen drohen.

SZ: Herr Kupfer, wie oft kommt es vor, dass hundert Kilogramm schwere Ausstellungsstücke aus Museen gestohlen werden?

Björn Kupfer: Statuen aus Museumsgärten werden immer wieder entwendet. Da geht es um den Wert der Bronze, die dann Schrotthändlern angeboten wird. Aber diese Statuen stehen draußen und können abgesägt und weggeschafft werden. Die Big Maple Leaf hingegen musste erst durch das Museum transportiert werden, das ist schon sehr ungewöhnlich. Eine hundert Kilo schwere Goldmünze klemmt man sich ja nicht unter den Arm.

Einer der vier Angeklagten hat als Wachmann im Museum gearbeitet und soll es für die mutmaßlichen Diebe ausgekundschaftet haben. Ist das ein typischer Fall?

Dass Insider beteiligt sind, ist die häufigste Begehungsart. In Berlin hatten wir vor einigen Jahren den Fall, dass ein Wachmann aus dem Schloss Charlottenburg wertvolles Porzellan mitnahm. Oder aber die Täter lassen sich im Museum einschließen. Wie im Amsterdamer Van Gogh Museum 1991, als zahlreiche Gemälde des Künstlers aus den Rahmen genommen wurden. Da ließ sich ein Mann unbemerkt in der Toilette einsperren und öffnete einem Komplizen die Tür. Das ist auch immer mein erster Tipp: Schauen Sie sich an, wer im Museum arbeitet oder am Abend lange im Museum ist.

Was sind die größten Schwachstellen in den Museen?

Als Museum steht man immer vor einem Dilemma: Man muss die Kunst sichern, will sie aber möglichst frei zeigen. Der Zugang ist also sehr leicht, dazu kommt, dass Kuratoren ihre Ideen umsetzen wollen, wie sie die Kunst präsentieren. Man will möglichst viel ausstellen, Sichtachsen sollen nicht gestört werden. Und da es sich oft um historische Gebäude handelt, kann man auch nicht beliebig Sicherheitsvorkehrungen installieren.

In Wien konnte 2003 ein Dieb die Saliera, ein goldenes Salzfass, aus dem Kunsthistorischen Museum stehlen, indem er über ein Baugerüst einstieg. Ein Gutachter sagte damals, die Museen seien auf solche Fälle nicht vorbereitet. Was hat sich seither geändert?

Ich sage es mal sehr diplomatisch: Es gibt Verbesserungspotential. Damit ein Museum sicher ist, braucht es einen Dreiklang aus physischen Barrieren, elektronischen Meldern und Wachleuten. Meine Erfahrung ist, dass immer eines von den dreien gestört ist. Etwa, dass Personal reduziert wird oder man Dienstleister einsetzt, bei denen nicht genau kontrolliert wird, wer sich da bewirbt. Oder der Klassiker: Das Gemälde wird direkt neben der Tür aufgehängt und ist dann schnell weggetragen. Das kommt öfter vor als man denkt.

Björn Kupfer, 39, ist Wirtschaftsingenieur und arbeitet seit 2007 für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft in Berlin. (Foto: privat)

Brauchen die Museen mehr Geld für Sicherheit?

Viele Museen sagen, dass sie mehr Geld brauchen. Aber oft wollen sie die hohen Kosten für die Sicherheit nicht bezahlen, sachgerechte Kunsttransporte etwa sind sehr teuer, manche versichern auch nur eine geringe Schadenssumme. Wenn Museen mehr Geld haben, investieren sie es eher in Ausstellungen als in die Sicherheit, da ändert sich nicht viel.

Was weiß man über die Täter? Handeln sie eher allein oder sind das organisierte Banden?

Sowohl als auch. Da ist der Museumsbesucher, dem etwas gefällt und er nimmt es spontan mit. Aber es gibt auch Fälle wie den Einbruch ins Van Gogh Museum über das Dach im Jahr 2002, bei dem man vermutet, dass die italienische Camorra die Tat in Auftrag gegeben hat. Aber wir haben es beim Kunstdiebstahl nicht mit so professionellen Strukturen wie etwa bei den Pink Panthern zu tun, einer weltweit operierenden Vereinigung, die sich auf Juwelendiebstähle spezialisiert hat. Was auch an den Kunstwerken selbst liegt. Kunst kann man stehlen, aber man kann sie nicht verkaufen. Die Kunstwerke sind in Datenbanken registriert, das schützt die großen und teuren Sachen. Man kann sich das höchstens in den Keller hängen und sich daran erfreuen. Zuletzt hat man das bei den Werken des Malers Georg Baselitz gemerkt, die vor einigen Jahren aus dessen Depot gestohlen wurden. Die Diebe flogen auf, als sie die Sachen einem Galeristen zum Verkauf anboten.

Immer wieder gibt es allerdings Fälle von Art Napping, also dass Kunst gestohlen und für ihre Rückgabe ein hohes Lösegeld verlangt wird.

Ja, aber das ist schon ein sehr kompliziertes Verbrechen. Wie bei jeder Erpressung macht man sich dabei angreifbar, weil man ja mit der Versicherung oder der Polizei in Verbindung treten muss, um etwa die Geldübergabe zu vereinbaren. Zudem gibt es bei jedem Kunstdiebstahl eine große Öffentlichkeit, die Polizei steht unter enormem Druck, das zu verfolgen. Wenn ich ein Krimineller wäre, würde ich jedenfalls nie auf die Idee kommen, Kunst zu stehlen.

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