Flüchtlinge:So viele Bamf-Entscheidungen korrigieren die Gerichte

Weniger Asylklagen

Prozess-Akten im Verwaltungsgericht in Sigmaringen.

(Foto: dpa)
  • Gerichte haben von Januar bis September 2018 über gut 131 000 Entscheidungen der Asylbehörde Bamf geurteilt.
  • Knapp ein Drittel der inhaltlichen Entscheide waren Erfolge für die Flüchtlinge.
  • Neun Flüchtlinge seien 2018 bis Ende November rechtswidrig abgeschoben worden, teilt die Bundesregierung mit. Sie bestreitet dennoch grundlegende Probleme.

Von Bernd Kastner

Weiterhin werden viele Asylbescheide des Asylbundesamtes (Bamf) von Gerichten korrigiert - zugunsten der Flüchtlinge. Knapp ein Drittel der Klagen, die nach einer inhaltlichen Prüfung von Richtern entschieden wurden, endeten in den ersten drei Quartalen 2018 mit Erfolgen für die Flüchtlinge. Verwaltungsgerichte entschieden in diesen Fällen, dass das Bamf zu Unrecht keinen oder einen zu schwachen Schutzstatus gewährt hatte. Bei Afghanen liegt die Quote sogar bei gut 58 Prozent.

Diese Zahlen sind Teil der ergänzenden Asylstatistik, die die Bundesregierung regelmäßig auf Anfrage der Linksfraktion erstellt. Deren innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke kritisiert die Fehlerquote: "Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt für eine Bundesbehörde, gerade angesichts der hohen Rechtsgüter, um die es im Flüchtlingsrecht geht." Insgesamt erhielten von Januar bis September 2018 laut Bundesregierung rund 28 000 Flüchtlinge doch noch einen Schutzstatus, den ihnen das Bamf zunächst verweigert hatte, 4500 von ihnen außerhalb von Gerichtsverfahren. Dies betraf vor allem Syrer (gut 10 000 Fälle) und Afghanen (9000).

Bundesregierung und Bamf kommen bei den Gerichtsentscheidungen auf eine Fehlerquote von 17 Prozent, weil sie nicht nur die inhaltlich entschiedenen Fälle einbeziehen, sondern auch die "sonstigen Verfahrenserledigungen", wenn etwa Flüchtlinge ihre Klage zurückziehen oder das Bamf den Schutzstatus doch noch erteilte oder verbesserte. Dies geschah von Januar bis September 2018 in knapp 60 000 Fällen.

Die Bundesregierung will nicht, wie vom Deutschen Anwaltverein vorgeschlagen, den Eingang einer Klage zum Anlass nehmen, einen negativen Bescheid unabhängig vom Gerichtsverfahren zu überprüfen.

Neun Flüchtlinge seien 2018 bis Ende November rechtswidrig abgeschoben worden, teilt die Bundesregierung mit und räumt ein: Es sei "in Einzelfällen" zu Vollzugs- oder Kommunikationsdefiziten gekommen bei der Abstimmung zwischen den Bundesländern, den Gerichten und dem Bamf. 2017 hatte es zwei rechtswidrige Abschiebungen gegeben, in den drei Jahren zuvor keine einzige. "Was für die Betroffenen eine existenzielle Katastrophe bedeutet, ist aus Sicht des Innenministeriums offenbar nicht mehr als ein Betriebsunfall, der mal passieren kann", kritisiert Jelpke. Die Bundesregierung bestreitet strukturelle Defizite und setzt die neun rechtswidrigen Abschiebungen in Relation zu den gut 20 000 insgesamt erfolgten Abschiebungen in den ersten zehn Monaten.

Die Zahl der bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Asylverfahren geht nur langsam zurück. Ende September waren 323 000 Klagen gegen Asylbescheide anhängig. Während in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres 105 000 neue Klagen eingingen, wurden gut 131 000 Fälle entschieden.

Abschiebung gescheitert

Hessen ist mit dem Versuch gescheitert, einen wegen zahlreicher Straftaten in Deutschland verurteilten afghanischen Flüchtling abzuschieben. Die Behörden in Kabul weigerten sich, den Mann bei seiner Ankunft mit einem Sammelflug diese Woche ins Land zu lassen und schickten ihn zurück. Als Begründung wurden nach deutscher Darstellung Zweifel an der Identität des Mannes sowie gesundheitliche Bedenken geäußert. Das Bundesinnenministerium und die hessischen Behörden zeigten sich davon überrascht, zumal sie eine Bestätigung der Identität des Mannes von afghanischen Repräsentationen in Deutschland erhalten hätten. Das Bundesinnenministerium bemühe sich um eine Klärung der Angelegenheit mit den Behörden in Afghanistan, so ein Sprecher des Landesinnenministeriums in Hessen. Der Mann musste von Kabul nach München zurückgebracht werden und sitzt mittlerweile in der Justizvollzugsanstalt im nordhessischen Schwalmstadt. Er muss eine Haftstrafe von drei Jahren verbüßen. Susanne Höll

Unterdessen wird der Familienschutz immer bedeutender für Flüchtlinge. Mehr als drei Viertel der Menschen, die im dritten Quartal 2018 in Deutschland Schutz gemäß der Genfer Konvention erhielten, waren zu Angehörigen nachgereist, die bereits anerkannt waren. Ihr Anteil steigt seit Jahren stark an. War er in den Jahren 2015 und 2016 noch marginal (unter fünf Prozent), betrug er 2017 schon gut 24 Prozent. Im zurückliegenden Jahr stieg er pro Quartal weiter an, von 47 über 66 auf zuletzt 78 Prozent im dritten, wie die Linksfraktion berechnet hat. Die meisten derer, die zuletzt vom Familienschutz profitierten, stammen aus Syrien, dem Irak, Eritrea und Afghanistan. Die Linksfraktion führt den starken Anstieg von Familienschutz darauf zurück, dass viele der nachgereisten Angehörigen einen Asylantrag stellen, um ihren Status formal zu klären. Mehr als die Hälfte derer, die Familienschutz erhielten, waren in Deutschland geborene Kinder: mehr als 3700 im dritten Quartal.

Nach wie vor legen viele Schutzsuchende keine Papiere vor, wenn sie ihren Asylantrag stellen: Mehr als die Hälfte der erwachsenen Flüchtlinge kam in den ersten zehn Monaten 2018 ohne Ausweis zum Bamf. Diese Quote schwankt jedoch stark, je nach Herkunftsland: War unter den Syrern etwa jeder vierte ohne Pass, lag die Quote bei Flüchtlingen aus Nigeria, Somalia und Guinea bei fast 100 Prozent. Um Identitäten zu ermitteln oder zu überprüfen, wertet das Bamf Handydaten von Asylsuchenden aus. Dies erfolgt auf freiwilliger Basis, niemand wird gezwungen, sein Handy abzugeben.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels bzw. der Zusatzinformation "Abschiebung gescheitert" haben wir fälschlicherweise von einer Justizvollzugsanstalt "Schwalbach im Taunus" geschrieben. Es handelt sich hier jedoch um die JVA im nordhessischen Schwalmstadt. Darüberhinaus hätte es auch "am Taunus" heißen müssen.

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