Wohnen im Alter:Bloß nicht ins Heim

Rentnerinnen beim Kartenspielen

Viele nicht mehr ganz fitte ältere Menschen wollen nicht alleine leben, aber haben Angst vor dem Seniorenheim.

(Foto: Getty Images)
  • "Betreutes Wohnen" ist den meisten Senioren und ihren Angehörigen ein Begriff, doch jeder versteht etwas anderes darunter.
  • Die Bandbreite der Modelle reicht von barrierefreien Wohnungen mit Notfallknopf bis zu großen Wohnanlagen mit angeschlossener Pflegeabteilung.
  • Die Auslastung der Einrichtungen liegt bei 96 Prozent. Für Interessenten gibt es lange Wartezeiten.

Von Marianne Körber

Eigentlich noch ganz fit, aber wer weiß, was morgen passiert. Und wenn ich umfalle und keiner nach mir sieht? Ist nicht vor Kurzem wieder jemand wochenlang tot in der Wohnung gelegen? Solche Gedanken gehen älteren, allein lebenden Menschen durch den Kopf. Und das sind nicht wenige. 45 Prozent der Frauen über 65 und 20 Prozent der Männer dieser Altersgruppe lebten 2017 in einem Einpersonenhaushalt, stellte das Statistische Bundesamt Anfang Dezember fest. Bei den Hochbetagten ab 85 lebten sogar fast drei Viertel (73 Prozent) der Frauen allein, bei den Männern der gleichen Altersgruppe war es ein Drittel.

Nicht mehr gesund oder mobil genug, um in den eigenen vier Wänden zu leben, aber Angst vor dem Seniorenheim - das ist die typische Situation der Menschen, die sich nach Alternativen umsehen. Eine davon ist das "betreute Wohnen". Davon haben die meisten schon gehört, aber jeder versteht etwas anderes darunter. Kein Wunder, denn eine einheitliche Definition dafür gibt es nicht. Und so sehen auch die Angebote auf dem deutschen Markt ein bisschen aus wie Kraut und Rüben. Manche Anbieter meinen damit barrierefreie Räume und Notrufknopf, andere ergänzen das mit Freizeitvergnügen wie gemeinsamem Singen, wieder andere versprechen eine Wohnsituation für alle Fälle, also mit angeschlossener Pflegeabteilung.

Mit dieser Vielfalt tun sich auch Experten schwer. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), eine 1962 vom damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke und seiner Ehefrau Wilhelmine gegründeten Stiftung, und die BFS Service GmbH, ein Tochterunternehmen der Bank für Sozialwirtschaft, haben von Juni bis September 2018 die Studie "Betreutes Seniorenwohnen" durchgeführt. Erstmals liegen damit von jeder zehnten betreuten Wohnanlage in Deutschland detaillierte Informationen über die Marktsituation und den künftigen Bedarf vor, heißt es beim KDA.

Die Studie zeige, welche Rolle dem betreuten Wohnen aktuell zukomme und welchen Anforderungen sich Investoren und Betreiber solcher Wohnangebote in Zukunft stellen müssten, sagt Studienleiterin Britta Klemm von der BFS Service GmbH. Die Zahl der bundesweit bestehenden Einheiten in betreuten Wohneinrichtungen wird von Experten auf 303 700 geschätzt. An der Umfrage haben 670 der - ebenfalls geschätzten - 6000 bis 7000 Anbieter des betreuten Seniorenwohnens teilgenommen.

Wer in eine Anlage hineinwill, muss Geduld aufbringen

Im Vergleich zu der bundesweiten Marktanalyse der Universität Augsburg von 2004, die zuletzt vergleichbare Daten erhoben habe, hätten sich wesentliche Parameter geändert, heißt es. Der Großteil des betreuten Seniorenwohnens finde heute als Verbundprojekt statt, also in Kombination mit vollstationärer Dauer- oder Kurzzeitpflege, teilstationärer Pflege oder anderen Versorgungsangeboten. Gleichzeitig würden die Wohnanlagen größer. Sie verfügten derzeit im Durchschnitt über 47 Wohneinheiten, 2004 waren es 38.

Dabei würden mehr Einzimmerwohnungen angeboten, 27 Prozent im Jahr 2004, 33 Prozent im Jahr 2018, bei einer derzeitigen Durchschnittsgröße von knapp 34 Quadratmetern. Der Anteil von Zweizimmerwohnungen ist dagegen von etwa 66 Prozent auf knapp 58 Prozent gesunken. Um die Auslastung brauchen sich die Anbieter nicht zu sorgen: Sie liegt im Durchschnitt bei 96 Prozent. Wer in eine Anlage hineinwill, muss Geduld aufbringen - ein Viertel der Einrichtungen hat eine Wartezeit von mehr als zwei Jahren.

Die Studie legt auch gesellschaftspolitische Schwachpunkte offen - die Kommunen ziehen sich aus dem Marktsegment zurück. Waren sie 2004 noch zu 11,7 Prozent Träger von betreuten Wohnungseinrichtungen, lag die Zahl 2018 nur bei 5,4 Prozent. Die Zahl der öffentlich geförderten Wohneinheiten in diesem Bereich ist seit 2004 ebenfalls stark zurückgegangen: von 54 Prozent auf derzeit 23 Prozent. Der Kommentar der Experten dazu: "Betreutes Wohnen ist nicht mehr für jeden eine Wohnalternative."

In betreuten Wohnanlagen hat ein Drittel der Bewohner keine Angehörigen

Noch einen Trend registrieren die Experten: Die Versorgungssicherheit rückt stärker in den Fokus, also die Frage, ob angeboten wird, was an Hilfe nötig ist. Und das ist auch wichtig, denn zwei Drittel der Bewohner in betreuten Wohnanlagen sind über achtzig, etwa 37 Prozent haben einen Pflegegrad, ein Drittel hat keine Angehörigen mehr. Das spiegele sich im Leistungsangebot wider: Fast die Hälfte aller Anbieter des betreuten Seniorenwohnens betrachtet ihre Wohnanlage bereits als Alternative zum Heim. Allerdings stoßen die Betreiber an Grenzen. Die von vielen Senioren gewünschte Betreuung bis zum Lebensende findet selten statt; eine 24-Stunden-Betreuung könnten nur 16 Prozent der Betriebsträger anbieten, eine eigene Pflegewohngemeinschaft haben nur neun Prozent. "Eine große Herausforderung für die Anbieter von betreutem Wohnen bleibt es in Zukunft, die richtige Balance zwischen Versorgungssicherheit und Selbstbestimmung für die Bewohnerschaft zu gewährleisten", sagt Ursula Kremer-Preiß, Studienleiterin beim KDA.

In fast allen der befragten Anlagen gibt es eine Betreuungskraft, knapp die Hälfte gab aber an, weniger als eine "VZÄ"-Kraft (Vollzeitäquivalent) zu beschäftigen, was in Stunden gerechnet bedeutet, dass die Fachkraft nicht Vollzeit arbeitet beziehungsweise nicht immer jemand zur Verfügung steht. Dafür gibt es in etwa jeder zweiten betreuten Wohnanlage Wahlleistungen wie hauswirtschaftliche Hilfe, Mittagstisch, Notrufsicherung und häusliche Pflegeleistungen, wobei viele Angebote durch externe Dienstleister erbracht werden. Gegen Extrabezahlung, versteht sich.

Verträge und Kosten

Wer in eine Einrichtung des betreuten Wohnens zieht, muss nicht nur einen Miet- oder Kaufvertrag abschließen, sondern auch einen Dienstvertrag. Der Verbraucherzentrale Bundesverband rät, darauf zu achten, dass die Wohnung im Vertrag genau beschrieben wird mit Angabe von Apartmentnummer, Größe und Ausstattung der einzelnen Räume. "Vorsicht ist geboten bei Formulierungen wie seniorengerecht oder altersgerecht. Diese haben keine Aussagekraft", betonen die Experten. Stattdessen solle die Barrierefreiheit der Wohnung nach DIN 18040 Teil 2 vom Vermieter oder Verkäufer zugesichert werden. Auch die Einhaltung der DIN 77800 für betreutes Wohnen sei nicht verpflichtend vorgeschrieben und solle vertraglich festgehalten werden. Der Mietvertrag sollte eine genaue Aufstellung der Kosten enthalten und unbefristet geschlossen werden. Zudem solle das Recht des Vermieters zur Kündigung wegen Eigenbedarfs ausgeschlossen werden.

Der Dienstvertrag, auch Betreuungsvertrag oder Service-Vertrag genannt, regelt die Grundleistungen wie beispielsweise den Hausnotruf oder die Sprechzeiten der Betreuungskraft. Er sollte genau ausweisen, welche Leistungen in welchem Umfang enthalten sind. Über Zusatzleistungen wie Haushaltshilfen, Essen auf Rädern oder Fuß- und Haarpflege würden meist gesonderte Verträge geschlossen,.

Die Kosten für die Miet- oder Eigentumswohnung liegen in der Regel etwa zehn Prozent über der ortsüblichen Netto-Kaltmiete beziehungsweise dem Kaufpreis, so die Verbraucherschützer. Marianne Körber

Die Preise? Liegen derzeit bei 9,57 Euro Kaltmiete je Quadratmeter, die Nebenkosten bei 3,20, die Kaufpreise bei 2957 Euro. Vergleichswerte von 2004 werden nicht angegeben.

Die Statistiken geben einen groben Marktüberblick, aber woran erkennt man eigentlich eine gute Wohnanlage?

Eine gewisse Orientierung können Qualitätssiegel bieten, heißt es beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Spezielle Siegel für das betreute Wohnen hat zum Beispiel Nordrhein-Westfalen ("Qualitätssiegel Betreutes Wohnen NRW") und Baden-Württemberg ("Betreutes Wohnen für Senioren"). Seit Herbst 2006 gibt es die DINNorm 77800 für betreutes Wohnen, die unter Mitwirkung von Verbrauchervertretern erstellt wurde und bundesweit Mindestanforderungen an die Qualität der Wohnanlagen festlegt. Der Verbraucherverband weist dennoch darauf hin, dass die Bezeichnung "betreutes Wohnen" zu Missverständnissen führen könne. Denn das Wort "betreut" erwecke den Anschein einer umfangreichen Versorgung, und das sei in der Regel beim betreuten Wohnen in diesem Umfang nicht vorgesehen. Eine solche Betreuung finde man eher unter der Bezeichnung "Service-Wohnen".

Einen neuen Ansatz, die Qualität von betreutem Wohnen einzustufen, versucht derzeit die Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (Gif) Wiesbaden. Im vergangenen Sommer hat die Organisation ein Klassifizierungssystem erstellt, das die Beurteilung von Service-Wohnangeboten für Senioren beziehungsweise betreutes Wohnen in Deutschland transparenter machen soll. Analog zu den Dehoga-Hotelkategorien werden hier ein bis fünf Sterne für die Qualität der Einrichtungen vergeben. Das System hat natürlich nur dann eine große Breitenwirkung, wenn sich möglichst viele Einrichtungen zertifizieren lassen. Ob das der Fall ist, lässt sich derzeit noch nicht sagen.

Qualitätssiegel sollen den Verbrauchern bei der Entscheidung helfen

Die Terragon Investment GmbH, die seit mehr als 20 Jahren Seniorenimmobilien entwickelt und ebenso wie die Immobilienberatung Bulwiengesa maßgeblich an der Erarbeitung der Gif-Richtlinie beteiligt war, hat unterdessen einen Online-Wegweiser für das betreute Wohnen aufgebaut. Senioren und deren Familien fänden auf dem Portal derzeit um die 303 700 Angebote in allen Preiskategorien. Es handelt sich Terragon zufolge um das erste Portal mit Fokus auf das betreute Wohnen, über das sich Interessierte schnell und kostenlos über barrierefreie und betreute Wohnungen informieren können (www.wegweiser-betreutes-wohnen.de).

Das Angebot in Deutschland sei kleinteilig und differenziert wie der Hotelmarkt; es dominierten kleine Einrichtungen mit weniger als 30 Wohnungen, die nur einen eingeschränkten Service bieten könnten. Wohnortnah fänden nur sehr wenige der Senioren überhaupt ein Angebot - vor allem kein differenziertes, das den eigenen Vorstellungen und finanziellen Möglichkeiten entspreche, heißt es bei Terragon.

Das Unternehmen fokussiere sich innerhalb der Gif-Skala auf die Vier-Sterne-Kategorie. Firmenchef Michael Held: "Das Wohnen mit Service entwickelt sich zu dem bedeutendsten Segment der alternativen Versorgung." Nach einer neuen Marktuntersuchung von Terragon fehlen derzeit 550 000 Wohneinheiten in diesem Segment. Das Unternehmen bereitet sich schon mal auf die Nachfrage vor und akquiriert derzeit bundesweit Grundstücke. Gebaut wird natürlich auch im teuren München.

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