Neues Buch:Feuerwerk für Auge und Hirn

Neues Buch: Wortakrobat: Computerlinguist Christoph Schwarz aus Grafing.

Wortakrobat: Computerlinguist Christoph Schwarz aus Grafing.

(Foto: Christian Endt)

Der Computerlinguist Christoph Schwarz aus Grafing veröffentlicht das Beste aus 15 Jahren lyrischen Schaffens

Von Michaela Pelz, Grafing

diakritische zeichen

"ä" ohne punkte ist "a". / "ö" ohne punkte ist "o". / "ü" ohne punkte ist "u". / ... armes "i".

Wirklich bedauern muss man es nicht, das "i", und auch nicht die anderen 25 Buchstaben, die Christoph Schwarz in seinem 240-Seiten-Buch mit dem Titel "kürzliche, längliche" zu rund 280, unterschiedlich langen, ausgefeilt hintersinnigen Texten verarbeitet hat.

Was mal leichtfüßig eindeutig daherkommt - "mönch / R B TT / (den ganzen Tag)", mal durchaus kritisch - "betrug / bewusst lose / an bewusstlose verkaufen" - ist allerdings das Ergebnis harter Arbeit. Eine Textseite kostet den Siebzigjährigen aus Grafing gut acht bis zehn Stunden. "Das zieht sich aber über Tage, denn nach zwei Stunden harter Konzentration ist Schluss!". Dabei sei das Schwerste das Weglassen, sagt der Autor: "Das Ding wird immer kleiner, ich werd' immer wütender, aber am Ende steht der Text und ich zeig ihn meinen Freunden."

Einige davon sind - ebenso wie Schwarz - "promovierte Spinner", die er als Computerlinguist bei Siemens und anderen Firmen kennengelernt hat. Während er sich dort beruflich mit automatischen Übersetzungssystemen beschäftigte, machte sich der gebürtige Münchner privat voller Freude daran, ganz analog "Wechstaben zu verbuchseln". Erst als Bub mit dem eigenen Vater, später als Vater dann mit den eigenen beiden Söhnen.

Dabei orientierte sich der Querdenker an der "Wiener Gruppe", wie auch die durchgängige Kleinschreibung in seinem Büchlein zeigt. Am meisten beeindruckte ihn Ernst Jandl, den er Ende der 80er Jahre einfach anschrieb. Was niemand erwartet hatte: Der bekannte Dichter antwortete, kam auf Einladung von Schwarz sogar persönlich zu einer Lesung in Wien "nach einer OP die Treppe hochgehumpelt". Der Stolz über diese Begegnung und den auch in den Folgejahren andauernden Schriftwechsel (er ist in Auszügen im Buch abgedruckt) ist dem Grafinger deutlich anzuhören. Ebenso wie die spitzbübische Freude über die diversen Preisgelder, die Schwarz im Laufe der Jahrzehnte für seine skurrilen Wortspielereien einstreichen durfte. "Reich wird man nicht, aber eine schöne Anerkennung ist es allemal."

Die Inspiration für seine manchmal erst auf den zweiten Blick ausgesprochen raffinierten Texte holt sich der passionierte Sportler, der immer einen Stift in der Tasche hat, im Alltag oder bei Touren mit den Skiern oder dem Mountainbike, gerne auch bei seinen Exkursionen in die Berge. Gut möglich, dass das auch bei "frauenexpedition" der Fall war, einem der zahlreichen Beispiele für konkrete Poesie, bei dem im wahrsten Sinne mit Worten ein plastisches Bild entsteht.

Der Schreibprozess findet bei Schwarz allerdings ausschließlich am Computer statt. "Das Umformulieren sowie das Hin- und Herschieben ist so einfach leichter. Außerdem kann ich mein eigenes Geschmier' oft nicht mehr lesen", sagt Schwarz und schmunzelt.

Dank seines Studiums der Romanistik fällt es dem Autor auch leicht, wie in "duett/duell" geschmeidig zwischen italienisch, französisch, deutsch, und englisch zu wechseln. Doch nicht nur diese Mehrsprachigkeit stellt beim Lesen eine Herausforderung dar: Manches will ausgesprochen werden, um sich in seiner ganzen Schönheit zu erschließen. Da stellt sich dann auch zuweilen heraus, dass nicht alles ganz jugendfrei ist.

Den Großteil der Texte dieses Büchleins allerdings kann man sicher bedenkenlos auch einem jungen Publikum an die Hand geben - vielleicht fühlt sich der eine oder die andere dann sogar bemüßigt, dem Beispiel von Christoph Schwarz zu folgen und einiges auswendig zu lernen. "Zu meinen besten Zeiten konnte ich 220 Gedichte und längere Passagen aus Theaterstücken rezitieren," erzählt der Mann, der nach eigenen Angeben pro Monat circa 1000 Seiten Belletristik liest. Da fragt man sich schon, wann der aktive Senior überhaupt noch die Zeit zum Schreiben findet - aber das scheint ihm nach wie vor zu gelingen.

Die beiden "längere längere" am Ende seines "Opus Magnum" lassen erahnen, wie sich das für Januar oder Februar erwartete 60-Seiten-Werk wohl lesen wird, in dem ein U-Bahn-Reisender das kommentiert, was ihm begegnet. Wer nicht bis dahin warten mag, darf sich auf die Hörfassung von "kürzliche längliche" freuen, wenn das Feuerwerk für Auge und Hirn charmant ins Ohr gelangt: "die chaussée / manchmoi ärgert i mi,/ wenn i de scho seh: / die chaussée. / und dann denk i wieder, / wenn i de do seh: / de is schon sche, / so sche! / die chaussée".

Christoph Schwarz: "kürzliche längliche und 2 längere, längere", Dahlemer Verlagsanstalt, Berlin 2018. 240 Seiten, 19 Euro. Bestellung über Buchhandlung oder Verlag.

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