Goldman Sachs:Die Legende aus Trappstadt

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Hier wohnt das große Geld: die Zentrale von Goldman Sachs in New York. (Foto: Scott Eells/Bloomberg)

Bewundert, beschimpft, gefürchtet: Goldman Sachs, die größte und umstrittenste Investmentbank der Welt, wird 150 Jahre alt. Das Rezept des Erfolgs: die guten Leute und ihr Netzwerk.

Von Nikolaus Piper

Alles begann mit einer gescheiterten Revolution in Deutschland. Im Frühjahr 1848 sah es zeitweise so aus, als könnte auf dem Gebiet des damaligen Deutschen Bundes eine parlamentarische Demokratie entstehen. Doch die Fürsten setzten sich gegen die Demokraten durch, die Reaktion herrschte. Viele Deutsche sahen für sich keine Zukunft mehr in ihrer Heimat und wanderten nach Amerika aus, unter ihnen besonders viele Juden.

Einer von ihnen war Mark Goldmann, Sohn eines Landwirts und Viehhändlers aus der unterfränkischen Gemeinde Trappstadt. Als er auf der anderen Seite des Atlantiks landete, amerikanisierte ein Beamter der Einwanderungsbehörde erst einmal seinen Namen: Aus Mark Goldmann wurde Marcus Goldman. Der ging zuerst nach Philadelphia, wo er sich als Hausierer durchschlug und später einen kleinen Krämerladen betrieb. 1869 siedelte er nach New York über. In der Pine Street, einer Parallelstraße zur Wall Street, mietete er ein winziges Büro und hängte das etwas großspurige Schild "Marcus Goldman & Co" vor die Tür. Goldman war Broker, begann mit Schuldscheinen von Tabak- und Diamantenhändlern zu handeln. Die Geschäfte liefen gut, bald traten Goldmans Sohn Henry und Schwiegersohn Samuel Sachs in die Firma sein. Sie firmierte nun als M. Goldman & Sachs.

Der Firmengründer startete als Hausierer in Philadelphia

Heute, 150 Jahre später, ist Goldman Sachs die größte Investmentbank der Welt, bewundert, umstritten und gefürchtet. Ehemalige Goldmänner sitzen in Führungspositionen von Wirtschaft und Politik, weshalb manche Kritiker die Bank schon als böse Krake darstellen: "Goldman Sachs - eine Bank lenkt die Welt" hieß ein Film der französischen Journalisten Jérome Fritel und Marc Roche. Manche halten Goldman für einen Mitschuldigen an der Finanzkrise von 2008/2009. Die Bank selbst hat die Krise mit Bravour überstanden. Konkurrenten mussten in Notoperationen gerettet werden (Bear Stearns, Merrill Lynch), Lehman Brothers ging mit einem Knall unter und hätte dabei fast das globale Finanzsystem gesprengt. Goldman Sachs musste in der heißen Phase der Krise zwar auch zittern, hielt aber durch und steht heute besser da denn je. Kein anderes Institut weltweit hat 2017 mehr Börsengänge, Firmenkäufe und Fusionen begleitet. Insgesamt erwirtschaftete die Bank einen Umsatz von 32 Milliarden Dollar und wies einen Gewinn vor Steuern von elf Milliarden Dollar aus. An die Mitarbeiter wurden knapp zwölf Milliarden an Gehältern und Boni gezahlt.

Kaum vorstellbar, dass Goldman einmal als krasser Außenseiter im New Yorker Finanzdistrikt angefangen hat. Die Wall Street, das war an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert das Reich angelsächsischer Geldfirmen, wobei über allem der Finanzmagnat John Pierpont Morgan herrschte. Die deutsch-jüdischen Neulinge wie Goldman Sachs oder Lehman mussten es mit neuen Ideen versuchen. So machte Goldman nicht mit beim großen, aber riskanten Eisenbahngeschäft, dafür gewann er Kunden unter den vielen neuen Firmen des Mittleren Westens. 1906 brachte Goldman den Kaufhauskonzern Sears aus Chicago an die Börse. Sears galt ein gutes Jahrhundert lang als Symbol für Massenkonsum in Amerika.

Bereits 1896 war Goldman Sachs als Broker an der New York Stock Exchange zugelassen worden. Dabei blieb die Bindung der Familie Goldman an ihre alte Heimat noch stark. Im Jahr 1915 weigerte sich Henry Goldman, Kriegsanleihen Englands und Frankreichs zu zeichnen. Erst nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, als es nicht mehr anders ging, änderte er seine Position.

Der Aufstieg von Goldman Sachs wurde immer wieder von schweren Krisen unterbrochen. Am schlimmsten war es nach dem Börsenkrach vom 24. Oktober 1929. Mittel der Spekulation waren damals Investment Trusts, eine Form von Aktienfonds, deren Wert sich weit von dem der dahinterstehenden Aktien entfernen konnte. Ein gutes Beispiel für die Trusts, die Goldman auflegte, war die Goldman Sachs Trading Corporation. Am 2. Februar 1929 kosteten deren Anteile 136,50 Dollar, fünf Tage später waren es schon 222,50 Dollar. Der Preis steig auch deshalb so exorbitant, weil Goldman Sachs selbst massiv in den eigenen Trust investiert hatte. 1932, auf dem Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise, waren die Anteile von 1,75 Cent wert. Tausende Goldman-Kunden hatten ihr Vermögen verloren, die Bank, neben Millionen von Dollar auch noch ihre Reputation. Der Ökonom John Kenneth Galbraith widmet den Vorgängen in seinem berühmten Buch über den Crash von 1929 ein ganzes Kapitel unter der Überschrift " In Goldman Sachs We Trust".

Es war ein Außenseiter, der die Bank damals vor dem Bankrott rettete: Sidney Weinberg war der Sohn armer jüdischer Einwanderer aus Brooklyn. Er brach die Schule mit 15 ab, mit 16 heuerte er bei Goldman Sachs an - als Aushilfe für den Hausmeister. In dem Job fiel er Paul Goldman auf, dem Enkel des Firmengründers. Dieser schickte ihn zuerst in die Poststelle und dann auf ein Business College in Brooklyn, damit er anständig schreiben lernte. 1925 kaufte ihm die Firma einen Sitz an der Börse, zwei Jahre später wurde er Partner und 1930, mitten in der Krise, Senior Partner und Chef. Weinberg war es, der aus Goldman Sachs das gemacht hat, was die Firma heute ist. Er setzte auf ein erneuertes Investmentbanking anstelle des verpönten Handels auf eigenes Risiko und baute eine Abteilung für die Emission von Kommunalanleihen auf. Langsam reparierte er die angeschlagene Reputation der Firma. 1956 brachte Goldman die Ford Motor Company an die Börse, der bis dahin größte Börsengang der Geschichte. Weinberg stand an deren Spitze bis zu seinem Tod 1969. Damals war er längst eine Legende als "Mr. Wall Street" und einer der einflussreichsten Männer Amerikas.

"Weinberg war kein Finanzgenie, seine Begabung lag im Sozialen", schrieb der New Yorker in einer Würdigung. Es war sein Talent, die richtigen Leute auszusuchen, die Goldman Sachs voranbrachten. Noch heute kann man kaum länger mit einem Goldman-Mitarbeiter über sein Unternehmen reden, ohne dass irgendwann einmal der Name Sidney Weinberg fällt.

Von Weinberg stammt zum Beispiel der informelle Imperativ für alle Goldmänner: " Be long-term greedy", was man ungefähr so übersetzen könnte: Es ist völlig o.k., gierig zu sein und viel Geld verdienen zu wollen, solange die Gewinne nachhaltig sind und den Kunden zugute kommen.

Aber handelt Goldman wirklich nach dieser Devise? Oder hat sie früher einmal gegolten und wurde aufgegeben, als die alte Partnerschaft Goldman Sachs 1999 selbst an die Börse ging und eine normale Aktiengesellschaft wurde. Besonders seit der Finanzkrise machen Kritiker ihre Vorhaltungen über die Gier der Goldmänner immer neu. Im Wirtschaftsmagazin Business Week hieß es 2012, die Firma sei "so groß und hungrig geworden, dass sie nicht mehr langfristig gierig ist, sondern kurzfristig bösartig".

Die Finanzkrise hat Goldman Sachs mit Bravour gemeistert. Auf dem Höhepunkt der Krise 2008 hatte das Unternehmen zwar zehn Milliarden Dollar als Einlage von den amerikanischen Steuerzahlern bekommen. Aber nicht weil Goldman das Geld gebraucht hätte, sondern weil der damalige Finanzminister Henry Paulson (ein ehemaliger Goldman-Chef) durch massiven Druck auch gesunde Banken dazu brachte, Staatshilfe anzunehmen, um die Märkte zu beruhigen. In Deutschland hatte sich die Deutsche Bank einem ähnlichen Akt der Solidarität verweigert. Goldmans Einlage ist längst mit Zins zurückgezahlt.

Von Mario Draghi bis zu Gary Cohn - Ex-Goldmänner gehen oft in die Politik

Viele Kritiker warfen Goldman allerdings vor, bei dem gefährlichen Spiel mit hochkomplexen Papieren kräftig mitgemischt und so sich mitschuldig gemacht zu haben an der Krise. Der investigative Journalist und Buchautor William Cohan ("Money and Power. How Goldman Sachs Came to Rule the Word") behauptet zum Beispiel, Goldman sei mitverantwortlich dafür, dass die damals größte Versicherung der Welt, AIG, fast zusammengebrochen wäre. Solche Aussagen sind immer spekulativ. Fest steht, dass Goldman Sachs, besonders seit der Finanzkrise, immer wieder Probleme mit dem Fehlverhalten von Mitarbeitern hat. Im Juli 2010 zahlte Goldman rekordverdächtige 550 Millionen Dollar an die amerikanische Börsenaufsicht SEC, weil die Firma beim Verkauf hochriskanter Hypothekenpapiere Kunden in die Irre geführt hatte. Derzeit werden in Malaysia zwei ehemalige Goldman-Mitarbeiter zusammen mit anderen wegen Korruption bei einem Staatsfonds namens 1MDB angeklagt.

Der neue Chef von Goldman, David Solomon, der im September sein Amt antrat, will den Fall 1MDB benutzen, um an der Kultur des 150 Jahre alten Unternehmens zu arbeiten. In seinem Brief zum Jahreswechsel forderte Solomon die Mitarbeiter dazu auf, "ein Beispiel dafür zu geben, was es bedeutet, für Goldman Sachs zu arbeiten". Anders als sein Vorgänger Lloyd Blankfein kommt Solomon nicht aus der Handels-, sondern aus der Investmentabteilung der Bank, die dem Erbe von Sidney Weinberg nähersteht. Zuvor schon hatte sich Goldman in ungewohnte Niederungen geben. Es gründete eine Abteilung für Normalsparer unter dem Namen "Marcus", benannt natürlich nach dem Firmengründer Marcus Goldmann.

Dann ist da noch die Sache mit der Weltherrschaft. Ungewöhnlich viele ehemalige Goldman-Mitarbeiter machen heute Karriere in der Politik: EZB-Präsident Mario Draghi gehört dazu, der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Jörg Kukies, oder auch Gary Cohn, zeitweise Wirtschaftsberater von Donald Trump und bis zu seinem Rücktritt einer der letzten Erwachsenen im Weißen Haus. Solche Karrieren sind immer wieder Gegenstand von wilden Verschwörungstheorien. Dabei zeigen sie einfach nur, dass die 150 Jahre alte Bank zwar viele Fehler hat, aber eben auch die Fähigkeit, Leute anzuziehen, um die sich andere reißen.

© SZ vom 12.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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