Schneechaos:"Des könnt' jetzt kompliziert werden"

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Hohe Schneelasten im Ebersberger Forst (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Schneebruch wird in den Wäldern zur ernsten Gefahr. Mit Motorsäge und Schneepflug versuchen Forstwirte nahe Ebersberg, das Schlimmste zu verhindern.

Von Korbinian Eisenberger

Um kurz vor zwölf stößt die Maschine an ihre Grenzen. Der Motor wird leiser, der Bulldog hält an. Durch die Frontscheibe ist gut zu erkennen, dass es hier so schnell nicht weiter geht. Die Forststraße ist nicht nur mit einer 70-Zentimeter hohen Schneeschicht bedeckt, sondern auch mit einem großen Haufen Holz. Mehr als zehn Bäume sind hier ineinander gekracht. Einige liegen im Schnee, andere ragen in den Weg hinein. Der größte von allen hängt von der linken zur rechten Straßenseite. Eine Fichte, nicht abgebrochen, sondern angeknackst - und damit unter Hochspannung. Der Mann am Lenkrad greift nach seiner Motorsäge und sagt: "Des könnt' jetzt kompliziert werden."

Freitagmittag im Ebersberger Forst, der siebte Tag hintereinander, an dem Forstwirt Josef Nagler mit Schneepflug und Motorsäge unterwegs ist. Der 60-jährige Forstinninger ist "einer von Dutzenden Pflugfahrern", die derzeit in den Wälder in und um München unterwegs sind, heißt es von den Bayerischen Staatsforsten. Nagler räumt die wichtigsten Durchfahrtsstraßen frei von Schnee und Holz. Damit die Förster und Jäger ihre Arbeit machen können, Rettungswege offen sind - und Spaziergänge unverletzt bleiben. Um schwere Unfälle wie in Aying zu verhindern, wo ein Neunjähriger durch einen umstürzenden Baum getötet wurde, ist Nagler seit sieben Uhr früh unterwegs.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit Motorsägen sind die Mitarbeiter der Bayerischen Staatsforsten im Wald unterwegs.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Wald stößt auch der Schneepflug an seine Grenzen. An anderen Stellen des Waldes kommt Josef Nagler mit seiner Maschine hingegen gut voran.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit 44 Jahren im Holz: Josef Nagler aus Forstinning.

Wegen der Schneebruchgefahr hat Bayerns Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) bereits am Dienstag vor Waldbesuchen - besonders in den Gebirgsregionen - gewarnt. Nun spitzt es sich auch in den Landkreisen um München zu, oder wie Forstamtsleiter Heinz Utschig sagt: "Wenn es noch einmal schneit, wird es im Ebersberger Forst richtig gefährlich."

Der Bulldog pflügt voran, ein vergleichsweise schmaler Weg mit besonders hoher Schneeschicht. "Da muss der Jäger durch", sagt Nagler, Fleecepulli, Schnittschutzhose, Trappermütze. Mit der linken Hand lenkt er den Bulldog, mit rechts steuert er per Joystick die schwere Eisenschaufel. Im Führerhaus ruckelt es immer stärker, Äste schlagen gegen die Frontscheibe, Schneestaub trübt den Blick. Rücksicht auf Mitfahrer kann Nagler nicht nehmen, die Zeit drängt. Schon jetzt ist der Schnee feucht und schwer, schon jetzt muss er alle paar Meter aussteigen und gefährlich geneigte Bäume umsägen. Bald soll es wieder schneien, am Sonntag droht Regen. Das würde die Schneelast auf den Bäumen noch schwerer machen. "Da kommt wahscheinlich nochmal was auf uns zu."

Es ist kein ganz normaler Winter in diesem Jahr, auch nicht für einen wie Sepp Nagler, der seit 44 Jahren im Holz ist und mehr Winter erlebt hat als jeder andere Waldarbeiter im Ebersberger Forst. 2006 und 1964, sagt er, "da hatten wir hier ähnlich viel Schnee". Damals, im Jahr 1964, war Nagler noch ein sechsjähriger Bub, da habe er gar nicht genug kriegen können, sagt er. "Mittlerweile ist meine Beziehung zum Schnee vor allem negativ behaftet."

Schnee ist ein ambivalentes Element, das sieht man im Ebersberger Forst ziemlich gut: Die Mitarbeiter des Forstbetriebs kommen kaum hinterher, den Wald von Bäumen zu befreien, die umzustürzen drohen. Für die Wintersportler in der Region sind die Schneemassen hingegen sehr willkommen. Im Forst sind derzeit täglich Hunderte Langläufer unterwegs, die Loipen führen quer durch alle Teile des Waldes. So kreuzen sich die Wege. "Es gibt Langläufer, die recht schimpfen weil wir ihnen die Loipe wegräumen", sagt Nagler. So mancher bedanke sich aber auch - meistens sind das die Fußgänger.

Nagler fährt jetzt einen Weg ab, den er am Vortag erst freigeschnitten hat, schon ragen wieder Bäume auf die Straße, die der Schnee über Nacht erdrückt hat. "Es kann so schnell gehen", sagt Nagler. Das ist die Gefahr. An den Wegrändern neigen sich Birken, Kiefern und Weiden, Bäume also, deren Holz zwar elastisch ist, aber auch sehr weich und dadurch weniger robust. Besonders betroffen: Fichten, seit mehr als 200 Jahren die stark dominante Holzart im Ebersberger Forst und in ganz Bayern. Ein Baum, der schnell wächst und vielseitig einsetzbar ist, aber eben auch einer, der schnell bricht, wenn es stürmt - oder wenn die Schneelast drückt.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein beliebter Spazierweg im Ebersberger Forst ist versperrt.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Gefahr, dass Bäume umstürzen und Spaziergänger oder Langläufer erschlagen, ist wegen der Last des nassen Schnees derzeit besonders hoch.

Der Bulldog nimmt Fahrt auf, Schneeketten geben Halt, Tempo 30, die Maximalgeschwindigkeit mit Pflug vorn dran. "Jetzt kann ich ein bisserl Gas geben", sagt Nagler. Weil hier nur Kastanien stehen, und die sind standhaft. Gefühlt kennt Nagler hier jeden Baum, als stünde er bei ihm daheim in Forstinning im Garten. Nagler ist der Dienstälteste im Betrieb. Er hat Zeiten erlebt, da sah die Welt bei solchen winterlichen Verhältnissen ganz anders aus. In den Sechzigerjahren haben die Holzknechte in ihren Forstämtern für mehrere Wochen ausgestempelt - weil im Wald nichts mehr ging. "Stattdessen haben sie die Gleise und Bahnhöfe für die Züge freigeschaufelt", sagt Nagler. Von Hand, mit einer Schaufel.

Im Jahr 2019 müssen die Waldarbeiter den Ebersberger Forst nun auch deswegen freiräumen, damit Spaziergänger und Leute, die ihre Hunde ausführen, nicht zu Schaden kommen. Nagler steht vor dem blockierten Weg, eine beliebte Spazierstrecke im Forst unweit der Kreisstadt Ebersberg, versperrt von Stämmen und Ästen. Um die Stelle freizumachen, hat er sich Unterstützung geholt, in der Rückfahrkamera stapfen zwei Kollegen mit Motorsägen daher. Zu dritt überprüfen sie die Lage. Dann winkt einer ab. Zu gefährlich, zu viel Spannung auf dem Baum. Beim Schnitt mit der Motorsäge könnte der Stamm ausschlagen. Ein Harvester wird nun kommen, mit Greifarm und Anhänger. Sepp Nagler steigt ein, legt die Motorsäge unter den Sitz und wendet seinen Bulldog. Es hat schon wieder zu schneien begonnen.

© SZ vom 12.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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