Berlinale-Filme:Gnadenlos erwachsen

Glasners "Der freie Wille" und Glawoggers "Slumming" im Wettbewerb: mit Jürgen Vogel und August Diehl.

Susan Vahabzadeh

Das Kino ist kein Urlaubsort, zumindest nicht immer, und wer's nicht glaubt, muss im Wettbewerb der Berlinale Nachsitzen. Matthias Glasner untersucht die Psyche eines Serienvergewaltigers im zweiten deutschen Wettbewerbsbeitrag "Der freie Wille".

Jürgen Vogel und Sabine Timoteo; dpa

Jürgen Vogel und Sabine Timoteo in "Der freie Wille"

(Foto: Foto: dpa)

Jürgen Vogel, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, spielt diesen Theo Stör. Es beginnt mit der unwahrscheinlichen Vergewaltigung, für die er im Knast landet - er rastet beim Arbeiten aus, rennt raus und grabscht sich die erstbeste Radfahrerin, die er kriegen kann.

Nach neun Jahren Psychiatrie landet er in einer WG, verliebt sich in Nettie (Sabine Timoteo), die Tochter seines Chefs, und macht im Rahmen eines Eifersuchtsanfalls genau da weiter, wo er seinerzeit der Verhaftung wegen aufhören musste.

Genetische Fingerabdrücke gibt es wohl nicht in dieser Welt, auch keinen vernünftigen Sozialarbeiter oder gar einen Therapeuten zur Nachbetreuung. Das ist düster, stringent ist es nicht; wohlwollend kann man diese Konstruktion am ehesten als phantasievoll bezeichnen.

Vor allem aber ist "Der freie Wille" voll gepackt mit falschen Gefühlen und falschen Tönen. Kreischen allein ist noch kein bewegender Ausdruck von Schmerz, in diesem Film passen die Bilder nicht zur Geschichte und die Handlungen nicht zu den Figuren. Was Glasner da erzählt, regt einen höchstens aus den falschen Gründen auf.

So, wie er die Vergewaltigungsopfer - sexy Blondinen - zeigt, so wie die Kamera, als Theo mal wieder schwer mit sich selbst zu kämpfen hat, auf einem wohlgeformten Po verweilt, den nur eine Netzstrumpfhose bedeckt, als gäbe es einen Zusammenhang zwischen seiner Beschaffenheit und Theos Taten, qualifiziert sich der Film als bemerkenswert frauenfeindlicher Beitrag zum Thema Vergewaltigung.

Das hat Matthias Glasner keineswegs so gemeint, schon klar - man kann aber genau daran das Problem dieses Films festmachen: Ein Mangel an Bewusstsein für das, was er tut. Es geht nicht um eine in einem Satz zusammenfassbare Intention, aber irgendeine Ahnung, welche Wirkung ihre Bilder erzielen sollen, dürfen Filmemacher schon haben.

Warum sollte man eine so bemüht konstruierte Geschichte in nach Authentizität lechzenden Bildern erzählen, welche Empfindungen sollen sich beim Anschauen einstellen? Mitleid mit dem Triebtäter Theo wird dieser Film jedenfalls nicht erregen, und für seine Opfer interessiert er sich ohnehin nicht.

Michael Glawoggers "Slumming" ist da schon eher bei Sinnen: Zwei zu groß geratene Buben toben durch Wien, wo sie sehr unkomische Scherze treiben, bis sie an die falsche Frau geraten. Barbara Albert, die den großartigen "Nordrand" gemacht hat, ist Co-Autorin des Drehbuchs; ganz so stark wie "Nordrand" ist "Slumming" nicht, aber er trifft seinen Ton, und manche Szenen sind einfach grandios.

Sebastian (August Diehl), von Beruf Sohn und unterbeschäftigt, sucht mit seinem besten Freund irgendeinen Kick auf seinen nächtlichen Streifzügen - eine Art Slum-Tourismus, das Beobachten anderer Menschen aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus. Weil es ihm auf Dauer zu langweilig ist, irgendwelchen Mädchen mit dem Handy unter den Rock zu fotografieren, entführt Sebastian einen bewusstlos gesoffenen Clochard-Poeten (Paulus Manker) im Kofferraum nach Tschechien und setzt ihn ohne Pass dort aus.

"Slumming" ist eher ernsthaft als düster, melancholisch, aber nicht humorfrei, und Pia Hierzegger, die falsche Frau, die versucht, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, gibt der Geschichte einen schönen Drive, weil sie so gnadenlos erwachsen ist.

Außer Konkurrenz war da schon eher ein Ausflug dabei, in Terrence Malicks "Neue Welt", eine Pocahontas-Phantasie mit Hang zum Lustwandeln. Indianer und Engländer entdecken einander, zu Beginn der Besiedlung Nordamerikas. Eine Indianerin rettet englische Siedler vor dem Verhungern und verliebt sich in einen von ihnen, Captain Smith (Colin Farrell).

Jedermanns Geschmack ist es nicht gewesen, was der Cineastenliebling Terrence Malick in "The New World" mit Pocahontas anstellt, die leidet und zittert und liebt.

Wenn man sich drauf einlässt, ist es aber ganz schön, dass Malick alles weglässt jenseits von Pocahontas (die die sehr junge Q'Orianka Kilcher spielt) und ihrer Annäherung an den - aus ihrer Sicht - geheimnisvollen Captain Smith: Es wird daraus eine todunglückliche Liebesgeschichte frei von Erwartungen, und auch wenn es übel endet und Malick den ganzen Film mit schrecklich falscher Musik untermalt, entlässt er einen zurück in die altbekannte Welt mit einer hoffnungsvollen Ahnung, was sein könnte, wären alle Menschen so loyal und eins mit ihren Gefühlen wie Malicks Pocahontas.

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