Bauhaus:Tanz die Biomechanik

Theaterdesign im 21. Jahrhundert: Das Bauhaus-Jubiläum startet mit einem Bühnenfestival in Berlin und einer hinreißenden Illusionsmaschine, die die Bauhaus-Idee in die Gegenwart überführt.

Von Dorion Weickmann

Achtung max. 2-spaltig

DIe Choreographie von "Das Totale Tanztheater" stammt von Richard Siegal. Die "Einstürzenden Neubauten" lieferten die Musik dazu.

(Foto: Interactive Media Foundation)

Man legt den Kopf in den Nacken, lässt den Blick hinauf in die Kuppel wandern und denkt: So muss es im entkernten Garchinger Atom-Ei aussehen! Ringsum nichts als stählerne Wände mit spiralförmig gewundenen Aufgängen. Ein Blinzeln Richtung Boden, wo die eigenen Füße vermutet werden, zeigt nur ein schmales Industriegitter. Darunter gähnt der Abgrund, bestimmt fünfzig Meter tief. Wer nicht komplett schwindelfrei ist, hat jetzt ein Problem. Denn der Körper reagiert, obwohl weder Ort noch Performance real sind. Beides wird von einer VR-Brille auf die Netzhaut übertragen. Mit einem Gerät von der Größe einer Fernbedienung kann man sich zwischen die Tänzer beamen - hautnah heran an die Avatare, bis sie in Pixelstaub zerfallen. "Das Totale Tanztheater" ist eine hinreißende Illusionsmaschine - grandios als Erfahrung, als Kunstwerk, als Fortsetzung und Verlängerung der Bauhaus-Idee ins 21. Jahrhundert. Die Installation des Choreografen Richard Siegal und der IT-Spezialisten von Interactive Media Foundation ist das Highlight des Festivals, mit dem heute in der Berliner Akademie der Künste der "100 Jahre Bauhaus"-Marathon startet.

Aber was genau ist das Bauhaus, was die "Bauhaus-Idee"? Seit 2019 offiziell zum Jubiläumsjahr der vor 100 Jahren in Weimar gegründeten Kunst- und Designschmiede ausgerufen wurde, sind ihr jede Menge widersprüchlicher Etiketten aufgeklebt worden. Bauhaus ist: esoterisch und rational, konservativ und fortschrittlich, sozialistisch und sektiererisch, national und kosmopolitisch. Der kleinste gemeinsame Nenner lautet wohl: Bauhaus markiert die Renaissance der Verbindung von Kunst und Handwerk beim Eintritt in die Moderne. Über 600 Veranstaltungen werden in den kommenden zwölf Monaten deutschlandweit noch das kleinste Bauhäusl zur kommunalen Attraktion befördern. Das Festival spart indes die prominentesten Sparten der Kunstschule aus: keine Architektur, kein Design, keine Wohnaccessoires. Stattdessen ist in Berlin eine gute Woche lang Bühnenkunst in Bauhaus-Manier zu besichtigen. Was darunter zu verstehen ist, lässt sich verhältnismäßig genau bestimmen.

Richard Siegals Installation knüpft direkt an Oskar Schlemmers Reform an

Während der Weimarer Anfangsphase spielten Tanz und Theater im Bauhaus-Curriculum eine relativ untergeordnete und ungeordnete Rolle. Spektakuläres tat sich erst, als der Maler Oskar Schlemmer am zweiten Standort, in Dessau, die Zuständigkeit für das Theater- und Festwesen übernahm. Gegenüber der Mensa wurde die Bauhausbühne eingerichtet: Labor für Theorie und Praxis der Darstellenden Künste, das, so Schlemmer, der beklagten "ungeheuren Stilverwirrung" eine "Grammatik der Bühnenelemente" entgegensetzen sollte. Der Mentor propagierte eine "tänzerische Mathematik", ausgehend von der Erkenntnis: "Der Mensch ist sowohl ein Organismus aus Fleisch und Blut, als auch ein Mechanismus aus Zahl und Maß." Dafür versuchte Schlemmer neuartige Repräsentationsformen zu finden.

Deren historische Reste holt Festivalleiterin Bettina Wagner-Bergelt nun nach Berlin: Rekonstruktionen einiger Tänze, die das Augenmerk weg von der menschlichen Gestalt auf Objekte wie Reifen und Stäbe lenken, und dazu die Wiederauflage des "Triadischen Balletts", die 2014 in München herauskam. Dieses Werk gilt als Markenzeichen des Bauhaus-Bühnendepartements. Dabei wurde es 1922 in Stuttgart uraufgeführt und ist keineswegs als Ausweis artistischer Virtuosität angelegt. Vielmehr handelt es sich um eine ästhetische Versuchsanordnung, ausgehend von der Frage: Wie steht es um das Verhältnis von Mensch und Raum?

Um das zu erkunden, hat Oskar Schlemmer seinerzeit sich selbst und zwei Mitstreiter in Gebilde gesteckt, die geometrischen Artefakten gleichen: Tellerrock, Drahtspiralspulen auf Taillenhöhe, Beinkäfige aus Metallstäben. Die Folge ist eine Umkehr der Tanzlogik: Nicht der Tänzer bewegt das Kostüm, sondern das Kostüm bewegt den Tänzer, indem es seinen Aktionsradius empfindlich begrenzt.

Die Überlegungen, die Schlemmer zu diesen Körperarchitekturen gebracht haben, hielt er in einem illustrierten Essay über "Mensch und Kunstfigur" fest - ein Text, der ihn als Mittelsmann zwischen Barock, Romantik und Moderne ausweist. Einerseits rufen seine konstruktivistischen Figurinen die voluminöse Tanzgarderobe eines Ludwig XIV. ins Gedächtnis, erinnert sein mathematisches Credo an barocke Form- und Kompositionsprinzipien - nicht umsonst galt die Vorliebe der Bauhaus-Gründer Bachs "Kunst der Fuge". Andererseits beruft sich Schlemmer auf die romantische Matrix der Menschmaschine, auf Kleist und E. T. A. Hoffmann sowie die Fortschreibung dieser Tradition bis zu Edward Gordon Craigs "Über-Marionette". Schlemmers Reform zieht also epochale Signaturen zusammen und spinnt sie im Geist des frühen 20. Jahrhunderts fort.

Nun nimmt Richard Siegals 360-Grad-Installation diesen fantastischen Faden auf, um ihn ins Heute zu verlängern. Aktualisierung ist das Merkmal, das sich bis 24. Januar quer durchs Festival ziehen soll. Bettina Wagner-Bergelt und ihr Team haben einen spannenden Performance-Parcours arrangiert und holen mit Bob Wilsons Version von Becketts "Krapp's Last Tape" eine Deutschlandpremiere nach Berlin, deren formstrenge und antinaturalistische Machart mit Schlemmers Konzepten spielt. Trotzdem fehlen Produktionen, die direkt an Bauhaus-Ideale ankoppeln. So etwa Choreografien von William Forsythe, der einst mit "Limb's Theorem" eine biomechanische Lektion vom Feinsten entwarf, oder experimentelle Arbeiten von Alwin Nikolais. Auch Romeo Castelluccis maschinengetriebene Fassung von "Le Sacre du printemps" hätte die Diskussion um Theaterdesign auf Bauhaus-Basis bereichert. Die Bühne in der Akademie der Künste ist dafür allerdings zu klein dimensioniert. In 100 Jahren also bitte was Größeres bespielen. Wenn dann nicht längst alles sowieso nach Digitalien verlegt ist.

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