Festnahme von Clanoberhaupt:Die kriminellen Strukturen der Abou-Chaker-Familie

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Arafat Abou Chaker im November 2018 im Berliner Amtsgericht. (Foto: Olaf Wagner/imago/Olaf Wagner)

Sie weisen mafiöse Strukturen auf, ihnen werden diverse Verbrechen vorgeworfen - doch Arafat Abou-Chaker, ihr Oberhaupt, wird nie verurteilt. Wie hat der Clan seine organisierte Kriminalität entwickelt?

Eigentlich geht es bei dem Prozess, zu dem Arafat Abou-Chaker vor dem Berliner Amtsgericht erschienen ist, um Körperverletzung und Bedrohung. Dafür erhält Abou-Chaker eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten. Doch was nach der Urteilsverkündung an diesem Dienstag folgt, ist spektakulär: Nach dem Urteil werden die Zuschauer aus dem Saal gebeten, dann vollstreckt die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl und bringt Abou-Chaker direkt in die Haftanstalt Moabit. Ihm, dem Clanchef, wird vorgeworfen, die Entführung des Rappers Bushido, seiner Frau und der gemeinsamen Kinder geplant zu haben. Die Hintergründe des Verhafteten und seiner Familie.

Wer sind die Abou-Chakers?

Ein Clan libanesischer Palästinenser, von dem Polizei-Schätzungen zufolge 200 bis 300 Mitglieder in Berlin leben. Ein Teil der Abou-Chakers schottet sich der Polizei zufolge gegen Gesellschaft, Öffentlichkeit und auch gegen das Rechtssystem ab. Sie erfüllen Eigenschaften der organisierten Kriminalität und weisen mafiöse Strukturen auf. Einigen der Abou-Chakers werden Schutzgelderpressungen, Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche, Raubüberfälle und Zuhälterei vorgeworfen. Unter anderem.

Wer ist ihr Anführer?

Arafat Abou-Chaker, 1976 in Berlin geboren, gilt als Oberhaupt des Clans. Dass er in die Öffentlichkeit geriet, liegt am Rapper Bushido. Der erzählte in seiner 2008 erschienenen Biografie, wie Arafat Abou-Chaker ihn aus seinem Vertrag mit dem Label "Aggro Berlin" raus geholt habe. "Alle krassen Geschichten, die in Berlin passieren, haben immer etwas mit der Familie Abou-Chaker zu tun", schrieb Bushido weiter. Und: Arafat sei "einer der mächtigsten und berüchtigtsten Männer Berlins".

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Jahrelang will Bushido "wie im Wachkoma" gelegen haben, in seiner Verbindung zum kriminellen Familienclan Abou-Chaker sei er sich vorgekommen "wie ein Leibeigener".

Von Julia Huber

2013 berichtete der Stern von einer Generalvollmacht, die Bushido Arafat Abou-Chaker ausgestellt haben soll. 2018 folgte ein großes Interview mit Bushido, in dem dieser die Trennung der beiden einstigen Geschäftspartner und Freunde verkündete.

Was weiß man über die Strukturen des Clans?

"Das sind komplette Parallelgesellschaften inmitten von Deutschland", sagte Bushidos Ehefrau Anna-Maria im Stern-Interview. Die Rollenverteilung innerhalb des Clans sei klar: "Mit dem Geschäft haben die Frauen nichts zu tun, das klären die Männer. Die Frau ist dafür da, Kinder zu bekommen, den Haushalt zu führen, dem Mann zu gehorchen, sich unterzuordnen."

Was die Familienclans generell zusammenhält, legte die Studie "Paralleljustiz" offen, 2015 veröffentlicht von den Islamwissenschaftlern Mathias Rohe und Mahmoud Jaraba von der Uni Erlangen-Nürnberg. Demzufolge verbreiteten die Clans "ein Klima der Angst". In ganzen Straßenzügen von Neukölln, Wedding, Kreuzberg oder Charlottenburg, aber auch in der eigenen Verwandtschaft, wo sich alle nach der "Familienehre" zu richten hätten, ob sie wollen oder nicht.

Wie konnten die Abou-Chakers ihre kriminellen Machenschaften aufbauen?

Ihre Geschichte beginnt dem Stern zufolge in den Sechziger Jahren im UN-Camp Wavel, einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon. Von dort seien die Eltern von Arafat Abou-Chaker nach Deutschland geflohen, immer mehr Brüder und Schwestern mit ihren Familien seien gefolgt, die so dem Clan zu seiner enormen Größe verhalfen.

Zu dieser Zeit kamen viele Libanesen und Palästinenser nach Deutschland, später auch Kurden, die in Libanon lebten. Sie alle waren oft nur geduldet, durften weder arbeiten noch ihre Kinder zur Schule schicken. Einige hätten sich dann "auf ihren eigenen Familienclan und ihr altes Stammesrecht zurückgezogen", sagt Dirk Jacob, der Dezernatsleiter am Berliner Landeskriminalamt. An den Rand der Gesellschaft gedrängt, stellten die einstigen Flüchtlinge ihre mitgebrachten sozialen Strukturen wieder her, schreibt Ralph Ghadban, gebürtiger Libanese und deutscher Islamwissenschaftler.

Früher ging es den Clans dann darum, ihr Viertel zu kontrollieren, Schutzgeld zu erpressen oder bei Drogengeschäften mitzumischen. Seit einigen Jahren aber fallen sie auch durch spektakuläre, professionell ausgeführte Verbrechen auf. Plünderungen von Juwelierläden und Sparkassen, bei denen Millionen erbeutet wurden. Überfälle auf ein Poker-Turnier oder ein Luxuskaufhaus. Und möglicherweise der Diebstahl der Goldmünze "Big Maple Leaf" aus dem Berliner Bode-Museum, die so groß ist wie ein Autoreifen.

Wie wurde bislang juristisch gegen Arafat Abou-Chaker vorgegangen?

Der Bild zufolge ist Arafat Abou-Chaker seit 1991, also seit er ein Teenager war, bei der Berliner Justiz aktenkundig - aber nicht vorbestraft. Zwar habe die Staatsanwaltschaft in 33 Fällen gegen ihn ermittelt, alle Verfahren aber mangels Beweisen eingestellt oder mit einem Freispruch abgeschlossen. Oft nahmen Zeugen ihre Aussagen zurück oder beriefen sich vor Gericht auf Erinnerungslücken. Zwei Geldbußen kassierte Arafat Abou-Chaker, im Mai 2016 und im November 2017. Wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Nun ging es beim Prozess gegen ihn im Amtsgericht um Körperverletzung und Bedrohung eines Hausmeisters. Arafat Abou-Chaker erhielt dafür eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten. Nach dem Urteil wurden die Zuschauer aus dem Saal gebeten. Dann vollstreckte die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl und brachte Abou-Chaker in die Haftanstalt Moabit. Abou-Chaker sei "der Verabredung eines Verbrechens dringend tatverdächtig", sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Dem Clanoberhaupt wird vorgeworfen, eine Racheaktion gegen Bushido und dessen Familie geplant zu haben.

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