Wohnungspolitik:Die Gentrifizierung findet immer einen Weg

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Die Mietergemeinschaft in der Bauerstraße 10 und 12 freut sich, dass ihre Häuser wohl doch in der Erhaltungssatzung bleiben sollen. (Foto: Catherina Hess)
  • Die Erhaltungssatzung soll alteingesessene Bewohner in einem Viertel vor Verdrängung schützen.
  • Derzeit prüft die Verwaltung auf Antrag der Rathaus-SPD Möglichkeiten und Voraussetzungen, ob das gesamte Stadtgebiet unter die Satzung fallen könnte.

Von Ellen Draxel und Anna Hoben, München

Längst sind auch Durchschnittsverdiener in München von Verdrängung bedroht. Im vergangenen Jahr hat der Stadtrat die für Investoren geltenden Auflagen in sogenannten Erhaltungssatzungsgebieten deutlich verschärft. Dennoch wird nun immer häufiger die Forderung laut, dass das gesamte Stadtgebiet unter die Satzung fallen müsste. Hierfür prüft die Verwaltung derzeit auf Antrag der Rathaus-SPD Möglichkeiten und Voraussetzungen. Die Erhaltungssatzung soll das angestammte Milieu in einem Viertel vor Verdrängung schützen. 22 solcher Gebiete gibt es zurzeit in München, etwa 277 000 Menschen wohnen dort.

Dass sich nun ganz grundsätzlich etwas ändern könnte bei diesem Instrument, zeigt das Beispiel eines Erhaltungssatzungsgebiets in Schwabing, über das am Mittwoch der Planungsausschuss des Stadtrats diskutierte. Das Planungsreferat hatte den Stadträten eine Vorlage erarbeitet, nach der das Gebiet "Hohenzollernstraße und Hohenzollernplatz" neu zugeschnitten werden sollte. Ein großer Teil sollte neu hinzukommen, im Gegenzug sollten 3300 Wohnungen aus dem Schutz herausfallen.

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Der Name sollte in "Hohenzollernplatz/Hiltenspergerstraße" geändert werden. Die Behörde begründete dies damit, dass die "entlassenen" Blöcke zwar "ein hohes Aufwertungspotenzial" hätten, "aufgrund der Struktur der dort (inzwischen) wohnhaften Bevölkerung" jedoch "kein hinreichendes Verdrängungspotenzial mehr zu erkennen" sei. Es hätten bereits "in deutlichem Umfang Umbau- und Aufwertungsmaßnahmen stattgefunden". Viele Wohnungen seien modernisiert worden; das schlage sich in hohen Mieten nieder. Mit der Aufwertung sei ein "Austausch der Bevölkerung" einhergegangen.

Der Vorlage ist zum Beispiel zu entnehmen, dass im neuen Satzungsgebiet der Ausländeranteil bei 22,3 Prozent liegt, in den "entlassenen" Gebieten jedoch nur bei 17,5 Prozent; dass der Anteil der Alleinerziehenden im neuen Gebiet 21,9 Prozent beträgt und in den "entlassenen" 18,4; dass der Anteil der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen bis 1500 Euro im neuen Gebiet bei 17,1 Prozent liegt, in den "entlassenen" Gebieten hingegen bei nur 11,5 Prozent. Alles mit Zahlen belegt - auch wenn diese von 2016 stammen.

Für die Bewohner in den entlassenen Gebieten aber, die zum Teil seit vielen Jahrzehnten dort wohnen, ist die Begründung des Planungsreferats nicht nachvollziehbar. Zu ihnen gehören auch die Mieter in den Häusern Bauerstraße 10 und 12, die vor zwei Jahren von einem Investor gekauft wurden. Die Stadt hatte damals zwar von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen wollen, dies hatte der Käufer dann jedoch wie in solchen Fällen üblich durch eine Abwendungserklärung verhindert. Wegen der geltenden Erhaltungssatzung hatte er sich darin verpflichten müssen, zehn Jahre lang auf Luxussanierungen und die Aufteilung in Eigentumswohnungen zu verzichten. Sollten ihre Häuser nun aus der Satzung fallen, so befürchtete die Mietergemeinschaft, wären sie überhaupt nicht mehr geschützt.

Am Mittwoch sind ihnen nun erst einmal einige Steine vom Herzen gefallen. Denn die Stadträte stimmten zwar zu, dass neue Gebiete für fünf Jahre in die Satzung aufgenommen werden sollen; sie votierten aber auch dafür, dass jene Bereiche, die laut Vorlage hätten herausfallen sollen, für zunächst mindestens zwei weitere Jahre ebenfalls geschützt werden. Das Ergebnis hat Präzedenzcharakter. Der Ausschuss folgte mit seinem Votum einem gemeinsamen Änderungsantrag von SPD, Grünen und CSU. Demnach soll das Planungsreferat bis zur Vollversammlung des Stadtrats am kommenden Mittwoch eine zusätzliche Beschlussvorlage ausarbeiten. Und das Planungsreferat ist aufgefordert, bis Ende 2020 "kleinräumige Untersuchungen, auch auf Basis von Primärdaten, durchzuführen" - vorausgesetzt, die Vollversammlung stimmt zu.

"Die abstrakten Kriterien sind bereits mehrere Jahre alt und erfassen die gegenwärtige Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht mehr", hatte der Vorsitzende des Westschwabinger Bezirksausschusses, Walter Klein (SPD), den Stadträten vor der Abstimmung erläutert. Neue Kriterien seien dringend nötig, "um die Bewohner nicht im Regen stehen zu lassen". Dem stimmte Anna Hanusch (Grüne) zu. Der Verdrängungseffekt sei stärker geworden und betreffe inzwischen auch die Mittelschicht. "Das Problem wird jetzt wahrscheinlich in vielen Erhaltungssatzungen auftreten." Ähnlich argumentierten die SPD-Politikerinnen Renate Kurzdörfer und Heide Rieke: "Nur weil ein Viertel schon sehr teuer ist, darf es nicht aus dem Schutz vor weiterer, maßloser Aufwertung fallen", so Kurzdörfer. Rieke forderte, man müsse die Kriterien "in Gänze auf den Prüfstand stellen".

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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