Hörfunkkorrespondentin:Afrika, sprich

Seit mehr als 25 Jahren berichtet Bettina Rühl als freie Journalistin über das Leid und die Zerrissenheit des Kontinents. Ihr Wissensdrang treibt sie an - und weckt beim Hörer Empathie.

Von Stefan Fischer

Afrika macht es Reportern nicht leicht: Armut und Ausbeutung, Misswirtschaft und Korruption, sozialer Unfriede und Kriege sind so dominant wie auf keinem anderen Kontinent. Bettina Rühl, die als freie Hörfunk-Korrespondentin in Kenias Hauptstadt Nairobi lebt, sagt: "Man muss aufpassen, dass man nicht zynisch wird." Oder kapituliert. So wie der große Reiseautor Paul Theroux, dem Afrika immer nahe war, der jedoch, das schildert er in dem Buch The Last Train to Zona Verde, vor fünf Jahren eine Reise in Angola abgebrochen und schockiert und desillusioniert für immer Abschied genommen hat.

Die Journalistin Bettina Rühl, die selbst seit mehr als einem Vierteljahrhundert eine großartige Rechercheurin und Erzählerin komplexer afrikanischer Wahrheiten ist, sieht diese Gefahr ebenfalls. Sie versucht sich zu schützen, indem sie genau überlegt, was sie sich zumuten kann und was ihr den hohen Einsatz Wert ist: "Aktuelle Krisenberichterstattung hätte mich längst gelangweilt", sagt die 53-Jährige, "und frustriert."

"Es ist ein Problem zu vereinsamen, wenn man viel unterwegs ist."

Am Anfang standen erste Reisen, auf die sie heute eher amüsiert zurückblickt, sie findet sich damals aus heutiger Sicht naiv. Sie war Mitte Zwanzig und stürzte sich unerfahren in die Arbeit. Ihr Anreiz waren Vorurteile über den Islam in Afrika, sie wollte wissen, was wirklich dahintersteckt. Wenn sie sich mit den niederschmetternden Themen des Kontinents beschäftigt, und das tut sie häufig, dann geht es immer um die irritierende Logik, die dahintersteckt. Es mag merkwürdig klingen, aber wenn man die Gründe für entsetzliche oder skandalöse Entwicklungen kennt - das ist der Eindruck, der sich auch beim Hören ihrer Sendungen einstellt -, wird das Gefühl der Ohnmacht ein bisschen kleiner. Bettina Rühl hat einstündige Radio-Features produziert über Kindersoldaten und Warlords, über Drogenhandel in Mali, das Foltersystem in Eritrea, über Elfenbeinschmuggel, die Geschäftemacherei reicher Kenianer mit den Slums im Land und die Terrorfinanzierung in Westafrika. Sie wurde 2015 mit dem Prix Europa und 2018 mit dem Robert-Geisendörfer-Preis prämiert. Vier Mal schon hat der WDR sie mit einem ARD-Radiofeature beauftragt - Rühl ist eine der meistbeschäftigten Autorinnen dieses renommierten Formats, für das viele ARD-Anstalten ihre Kräfte bündeln.

Das zeigt auch das steigende Interesse des öffentlich-rechtlichen Radios an einer Afrika-Berichterstattung, die übers rein Nachrichtliche hinausgeht. "Viele Redaktionen haben das Gefühl, dass Afrika politisch relevanter wird für uns", sagt Rühl.

Spielt es eine Rolle bei ihren Recherchen, dass sie eine Frau ist? "Ich habe nicht das Gefühl, dass es mir gegenüber an Respekt fehlt", entgegnet sie. "Und ich kann mir vorstellen, dass ich die Menschen weniger einschüchtere." Das liegt wohl vor allem an ihrem ruhigen, bedachtsamen Auftreten.

Hörfunkkorrespondentin: Bettina Rühl will es genau wissen, wie so oft ohne Dolmetscher.

Bettina Rühl will es genau wissen, wie so oft ohne Dolmetscher.

(Foto: privat)

Ihre Recherchen erfordern großen Aufwand an Zeit und Energie und sind dabei nicht sonderlich einträglich. "Die Themen müssen mich also wirklich fesseln", sagt Rühl. Um Erklärungen zu finden für etwas, das auf den ersten Blick komplett irrational wirkt - oder gar nicht erkennbar ist. "Gewalt hat häufig nachvollziehbare Ursachen. Kinder haben in Afrika oft schon eine ökonomische Verantwortung und argumentieren durchaus vernünftig, warum sie zur Armee oder einer Miliz gehen." Das macht ihre Situation nicht besser. Aber begreifbar. An dem Punkt kann sinnvolles politisches oder privates Handeln einsetzen.

Sie weiß, sie muss diese Themen nach einer gewissen Zeit für sich abschließen. So erschöpfe sich ihre Empathie nicht, sagt sie. Sie braucht dann ein Kontrastprogramm, schneller zu recherchierende aufmunternde Geschichten. In den kommenden Tagen sind Features von ihr über eine Selbsthilfegruppe von Behinderten in Kenia und über IT-Lösungen für Arme zu hören. "Afrikanische Programmierer denken in der Entwicklung von Apps viel gemeinschaftsorientierter als ihre westlichen Kollegen. Vielleicht", so Rühl, "sind die uns in diesem Bereich sogar voraus."

Lange Zeit ist Bettina Rühl von Köln aus monatsweise nach Afrika gereist. Seit 2011 lebt sie in Nairobi, sie ist an das dortige Hörfunkstudio der ARD angebunden. Ihre wichtigsten Auftraggeber sind WDR, Deutschlandradio und SWR, auch für den BR arbeitet sie. Seitdem Rühl in Kenia lebt, sind ihre Reisen zwischen Europa und Afrika nicht unbedingt weniger geworden: Regelmäßig besucht sie die Heimat, um ihren Freundeskreis zu pflegen. "Es ist ein Problem zu vereinsamen, wenn man viel unterwegs ist."

Sendetermin

Der Blinde hilft dem Lahmen, Sonntag, 12.30 Uhr, Deutschlandfunk Kultur; Hightech in Afrika, 25. Januar, 8.30 Uhr, SWR 2.

In zwei Dutzend afrikanischen Ländern war sie mittlerweile, immer für zwei oder drei Wochen am Stück und häufig auch mehrmals für eine Geschichte. Nur den Süden des Kontinents spart sie aus. Dort ist die Konkurrenz groß, weil viele westliche Korrespondenten von Südafrika aus arbeiten, die auch Nachbarstaaten wie Namibia oder Simbabwe gut abdecken. Außerdem spricht sie kein Portugiesisch, könne sich in Angola und Mosambik also kaum ohne Dolmetscher verständigen. Das unmittelbare Gespräch aber ist ihr wichtig.

Auch wenn vieles leichter geworden ist mit der Zeit, manches ist schlimmer geworden. "Die geografischen Bereiche, in denen es gefährlich ist, werden größer", stellt Rühl fest. Auch werde die Bürokratie immer aufgeblasener. "Sobald es offiziell wird, ist alles unendlich schwierig." Andererseits ist sie vor Ort durch Mobiltelefone, Motorradtaxis und die immer kompaktere Technik heute flexibler als früher. Ihre Arbeit ist trotzdem nicht immer leichter geworden. Ihre Gesprächspartner "sind skeptischer gegenüber den Medien, befürchten, weltweit ausgestellt zu werden". Und die Menschen, das ist ihre Erfahrung, sind selbstbewusster geworden im Lauf der Jahre. Erzählen wollen sie aber. Sie möchten, dass die Welt sie hört.

Der Blinde hilft dem Lahmen, Deutschlandfunk Kultur, Sonntag, 12.30 Uhr; Hightech in Afrika, SWR 2, 25. Januar, 8.30 Uhr.

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