"Maybrit Illner" zum Brexit:Raus aus der EU - wer kann das denn wollen, Papa?

Sendung "Maybrit Illner" zum Brexit

Das Thema bei Maybrit Illner: "Bye-Bye Britannia - überlebt die EU den Brexit?"

(Foto: Jule Roehr/ZDF)

Das Brexit-Chaos regiert und bei Maybrit Illner darf AfD-Chef Gauland gegen die EU poltern. Wie erklärt man den ganzen Irrsinn nur den Kindern?

TV-Kritik von Lars Langenau

Die Kinder spät ins Bett geschickt. Papa muss erklären, warum er noch wach bleibt, obwohl auch er schon müde ist. Talkshow angucken, darüber schreiben. Worum es geht? Um den Brexit. Den Austritt Großbritanniens aus der EU. Papa, warum wollen die eigentlich raus? Weil sich da die Nationalisten durchgesetzt haben. Das wollen die auch in Deutschland, "Dexit" würden sie das nennen. Lachen. Ja, Kinder, lustiger Name, aber ernste Sache. Denn dann wäre es vorbei mit der Europäischen Union. Aber Papa, wer kann das denn wollen? Die EU ist doch prima. Kein Krieg, seit Oma klein war. Es geht uns doch gut. Kommen jetzt die Grenzen wieder? Gibt es dann wieder Krieg? Schlechtes Thema, kurz vorm Schlafengehen.

Vielleicht gibt die Sendung Antworten. Da sitzen direkt neben Maybrit Illner im ZDF: Außenminister Heiko Maas (SPD) und die Britin Giesela Stuart. Eine deutschstämmige Labour-Politikerin, eine Sozialdemokratin, die früher mal überzeugte Europäerin war. Und dann für den Brexit kämpfte.

Zudem sitzen im Oval eine Politikwissenschaftlerin, eine Journalistin sowie der blasse österreichische Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka von der ÖVP. Der war zuvor Innenminister in der damaligen Koalition mit der der SPÖ. Heute regiert seine Partei mit der rechten FPÖ. Er hat eigentlich nichts zu sagen. Und dann sitzt da noch (man reibt sich kurz die Augen) der Nigel Farage Deutschlands, Alexander Gauland. Chef einer Partei, die nicht nur den Euro, sondern auch das Europaparlament und die EU insgesamt abschaffen will.

Lassen wir Sobotka, die Journalistin und die Politikwissenschaftlerin mal beiseite und konzentrieren uns auf Stuart, Maas und Gauland. Letzterer ist vor allem da, um "deutsche Interessen zuerst" zu sagen und von der Zusammenarbeit mit den anderen Rechtspopulisten Europas zu schwärmen. Auch wenn es etwa mit den Leuten von der Lega in Italien in Sachen Finanzen wenig bis keine Gemeinsamkeiten gebe.

Gauland: Gegen den Euro, aber für einen harten Euro

Zwar sei die AfD gegen den Euro, aber solange es den eben noch gebe, meint der Dialektiker Gauland, müsse diese Währung hart bleiben. Und die Italiener würden den Euro schwächen. Nochmal: eine Währung, die die AfD abschaffen will. Alles irgendwie irrsinnig, sagt Außenminister Maas lächelnd. Und stellt fest: "Ihr Gegner ist Europa."

Gerade also hat die AfD beschlossen, dass auch Deutschland raus soll aus der EU. Was bedeutet die in dem Antrag formulierte "angemessene Zeit"?, hakt Illner nach. Eine Vorlage, auf die sich Gauland nicht einlässt und Illner zu dem bitteren Kommentar "irgendwann und irgendwie" verführt. Wie Farage hantiert Gauland mit dem ebenso billigen wie einfachen Slogan der Brexit-Befürworter, die das Chaos verursacht haben: "Die Kontrolle zurückerlangen."

Alles furchtbar anzusehen. Aber auch Giesela Stuart, die britische Sozialdemokratin mit bayerischen Wurzeln, ist "traurig", wie sich das jetzt alles entwickelt habe. Tragisch, dass London und Brüssel so lange aneinander vorbeigeredet hätten. Aber als Sozialdemokratin hätte sie doch für den Verbleib Großbritanniens in der EU eintreten müssen, fragt Illner nach. Und plötzlich offenbart Stuart die einfache These, mit der auch der unheimliche Erfolg der AfD und das Abschmieren der SPD zu erklären ist: Ihre Partei habe sich schlicht und einfach nicht mehr um die eigene Klientel gekümmert und zu viel (unkontrollierte) Migration zugelassen. Auch deshalb hätten sich viele arme Labour-Bezirke für das Verlassen der Union ausgesprochen.

Doch das ist, liebe Frau Stuart, billig - und plumper linker Nationalismus, dem anscheinend auch ihr Parteichef Jeremy Corbyn verfallen scheint. Erschreckend, wie hier die Grenzen zwischen Rechts- und Linkspopulismus verschwimmen.

Die Antwort von Maas klingt besser, differenzierter. Aber eben auch komplizierter als die schlichten Antworten von links und rechts. Der Außenminister plädiert für eine gänzlich andere Reform als sich ein Matteo Salvini, Farage oder Gauland vorstellen können: eine vertiefte Demokratisierung der EU, die Stärkung des Europaparaments und die Möglichkeit zu Mehrheitsentscheidungen unter den Mitgliedsländern.

Maas gibt auch zu, dass der Brexit-Deal vielleicht doch noch mal aufgeschnürt werden muss. "Letztlich geht es ja darum, ob der Vertrag nochmal aufgemacht werden soll." Dazu werde die Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten benötigt. "Da müssen alle mitgehen, darüber wird man jetzt reden müssen."

Antworten für den Vater gibt es keine. Geschweige denn welche für die Kinder, die tief und fest schlafen. Die Hoffnung bleibt, dass sie als Erwachsene in Europa nicht ständig an Grenzen stoßen, nicht überall die Währung wechseln müssen - und nicht, wie ihre Oma, wieder Kriege fürchten müssen.

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