Bauernhöfe der Zukunft:Die Digitalisierung revolutioniert die Landwirtschaft

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Steuern Landwirte ihre Höfe in Zukunft per Tablet? (Foto: Illustration: Quickhoney)

Tablets, Drohnen und Sensoren können Erträge steigern und den Chemieeinsatz senken. Wie Landwirte mit den neuen Möglichkeiten umgehen.

Von Markus Balser

Der Kronenhof im Taunus hat eine lange Geschichte. In der Hofstube des Guts - dem eigenen Gasthaus - hängen großformatige Fotos aus dem historischen Album der Besitzerfamilie. Die Wagners bewirtschaften den Hof in fünfter Generation. Einst zählten sie zu den Hoflieferanten der nahen Sommerresidenz des letzten deutschen Kaisers. Über den Feldern ließ sich hier Kaiser Wilhelm II. vor mehr als einem Jahrhundert damalige Wunderwerke des technischen Fortschritts präsentieren: die ersten Luftschiffe.

Heute ist der Kronenhof selbst so etwas wie ein technisches Schaustück. Dass Betriebsleiter Stefan Wagner, 41, auf dem weitläufigen Gelände mit 2000 Quadratmetern Solarzellen eigenen Strom produziert und ihn in einer Solartankstelle auch noch an Elektroautofahrer verkauft, gehört fast schon zu den alten Hüten. Der hessische Betrieb ist mittlerweile zu einem Prototyp einer neuen Landwirtschaft avanciert.

Messsonden liefern Daten über das Wachstum, Drohnen erkennen Pilzbefall

Denn wenn Bauer Wagner den Mähdrescher anwirft, springt auch das GPS-System an. Schon während der Ernte melden seine Maschinen den Ertrag für jeden Quadratmeter des Feldes. Wagner muss zwar noch auf dem riesigen Gefährt sitzen - sonst arbeitet der Mähdrescher aber so gut wie automatisch. Die Fahrt über die Felder ist programmiert, es lenkt der Computer. Alle zwei Wochen bekommt Wagner Post aus dem All. Satellitenfotos zeigen Fortschritte beim Wachstum seines Getreides. Programme können so die Ernte voraussagen. Und weil Messsonden am Rand der Gerstenfelder ständig Daten über die Bodenfeuchtigkeit und Fotosynthese sammeln, kann er eingreifen, wenn die Qualität der Gewächse leidet. Manchmal lässt Wagner auch eine Drohne über den Feldern kreisen. Mithilfe der kleinen Fluggeräte können Landwirte früh Pilzbefall an Pflanzen erkennen. Für Wagner bedeutet mehr Technik nicht mehr Distanz zur Natur. Im Gegenteil: Er sehe seinen Pflanzen so förmlich beim Atmen zu, sagt Wagner.

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Es sind die Vorboten einer neuen Technik, die immer mehr deutsche Bauern einsetzen. Die Digitalisierung wird auf hiesigen Äckern gerade immer wichtiger. Die Technik kostet den Kronenhof einiges. Doch sie zahle sich aus, sagt Wagner. Die Daten helfen zu klären, warum ein Jahr besser oder schlechter war als das vorherige. Am Ende steht ein klares Ziel: viel mehr gute Jahre haben als schlechte. Vielleicht am Ende sogar nur noch gute. Der Ertrag eines Hektars Weizen ist mit der modernen Landwirtschaft schon heute viermal so hoch wie zu Kaisers Zeiten. Und es soll noch mehr werden. Der Unternehmensberatung Roland Berger zufolge könnte der Bauernhof des 21. Jahrhunderts seinen Ertrag mithilfe der Algorithmen voraussichtlich binnen einiger Jahre verdoppeln. Nicht nur auf den Feldern, auch in den Ställen verändert die neue Technik die Arbeit.

Der Mensch spielt eine immer kleinere Rolle. Die Fütterung lässt sich automatisieren, die Zusammensetzung des Futters aus der Ferne steuern. In einigen Ställen werden Kamerasysteme eingesetzt, die das Wachstum der Schweine messen und den richtigen Schlachtzeitpunkt bestimmen können. Andere überwachen Rinder und erkennen an Bewegungsmustern, ob sie trächtig oder krank sind. Die Bundesregierung sieht darin eine gewaltige Chance. Als Agrarministerin Julia Klöckner am Donnerstagabend die Grüne Woche in Berlin eröffnete, geriet sie ins Schwärmen. Schon 2030 würden Roboter auf dem Feld zur Selbstverständlichkeit. Die digitalisierte Landwirtschaft biete global die Chance, effizienter und schonender zu produzieren - und eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Risiken erwähnte die CDU-Politikerin nicht.

Die Regierung treibt die Digitalisierung voran - weit über Deutschland hinaus. Für dieses Wochenende hat sie am Rande der Grünen Woche eine Konferenz internationaler Agrarminister anberaumt. Zur Eröffnung schwor Kanzlerin Angela Merkel die 70 Teilnehmerländer auf ein Ziel ein. Am Ende des Treffens könnte der Plan zur Gründung eines internationalen Digitalrats in der Landwirtschaft stehen, der sich um gemeinsame Standards kümmert. Kritiker glauben allerdings, dass die Digitalisierung nicht nur Probleme löst - sondern auch welche schafft. Böden könnten noch stärker ausgebeutet werden, Monokulturen, die wenig Raum für Artenvielfalt bieten, zunehmen. Der deutsche Bauernbund etwa, der vor allem kleinere Betriebe vertritt, befürchtet, dass der Berufsstand über die Digitalisierung in Abhängigkeit von wenigen landtechnischen Anbietern geraten könnte. Auch der Trend zu immer größeren Betrieben werde wegen der hohen Investitionskosten in die neue Technik bestärkt. Die digitale Kluft könnte Kleinbauern das Leben noch schwerer und Industriehöfe noch größer machen. Eine Düngemaschine mit Bodensensoren etwa kostet mindestens 30 000 Euro. Werden sich kleine Betriebe eine solche Investition leisten können? Oder wird der Bauernhof zum Auslaufmodell?

Martin Richenhagen zählt zu den weltweit einflussreichsten Managern im Agrargeschäft. Der 66-Jährige ist Chef des US-Landmaschinenkonzerns Agco. Der Konzern macht sieben Milliarden Dollar Umsatz und verkauft in alle Erdteile, etwa Traktoren der Marke Fendt. Immer häufiger sind es Maschinen, die ohne Pilot übers Feld fahren können. "Die Entwicklung ist schon viel weiter, als viele denken. Beim autonomen Fahren haben wir die Autobranche längst überholt", sagt Richenhagen. Landwirtschaftliche Betriebe müssten in Zukunft gemanagt werden wie moderne Fabriken. Beispiel Pflanzenschutz: Die Kunst bestehe darin, mit gezielteren Dosierungen den Einsatz von Dünger zu senken und Felder etwa von Drohnen überwachen zu lassen. Die Akzeptanz der Bauern sei groß, weil sich das direkt auf ihr Geschäft auswirkt. "Die Technik kostet, liefert aber bessere Ergebnisse."

Technik zahlt sich aus, findet Stefan Wagner, 41, Betriebsleiter des Kronenhofes im Taunus. Er setzt voll auf die Digitalisierung. (Foto: privat)

Richenhagen kennt die Branche seit Jahrzehnten. Und er hält die Angst vor mancher Strategie von Konzernen wie Saatgutherstellern für nicht unbegründet. "Es gibt Geschäftsmodelle, die darauf abzielen, Bauern Rezepte zu verkaufen. Dann werden Landwirte auf die Rolle des Anwenders degradiert." Genauso sieht es auch das kritische "Agrar-Bündnis", ein Zusammenschluss von Umweltorganisationen wie dem BUND, dem Deutschen Tierschutzbund und Bioverbänden. In der Landwirtschaft und im Ernährungssektor sei ein kaum beachteter Wettstreit ausgebrochen, um die Schaltstellen der Digitalisierung zu besetzen und um "Patente oder geistige Eigentumsrechte im Sinne der Konzerne zu schützen". So könnten Produzenten von Nahrungsmitteln austauschbar werden und sich das Wissen über Produktionssysteme in der Hand weniger großer Konzerne konzentrieren. Jan Philipp Albrecht hat sich im Europaparlament beim Ringen um mehr Datenschutz in Europa schon Weltkonzerne wie Facebook und Google zu Gegnern gemacht. Anfang September wurde der 36 Jahre alte Grünen-Politiker Umwelt-, Digital- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. "Die Digitalisierung bietet der Landwirtschaft enorme Chancen und stellt sie dabei gleichzeitig vor große Herausforderungen", konstatiert Albrecht. Die Entwickler und Betreiber digitaler Plattformen könnten künftig über sensible Daten ihrer Kunden verfügen - und die natürlich auch für ihre Geschäfte nutzen.

Viele Bauern in Deutschland wären allerdings schon froh, wenn sie wenigstens die Wahl hätten, moderne digitale Technik einzusetzen oder eben nicht. Wer jemals versucht hat, auf einem Feld in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern eine E-Mail abzusetzen, versteht den Ärger. Noch seien die Verbindungen in Deutschland auf dem Land oft "schlechter als in Afrika", lästert auch Manager Richenhagen. In Deutschland arbeiten bislang nur 20 Prozent der Bauern mit vernetzten Systemen. Nötig sind dafür leistungsstarke Internetverbindungen. Die aber fehlen nur zu oft. Das soll sich auch mit der Einführung des künftigen Mobilfunkstandards nicht ändern. "5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig", meinte Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU).

Der Bauernverband geht nun auf Konfrontationskurs und fordert einen raschen Ausbau überall im Land. Nötig sei endlich eine "flächendeckende Versorgung mit Glasfaser- und 5G-Mobilfunktechnik", sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied der Süddeutschen Zeitung. Um die Digitalisierungschancen wirklich nutzen zu können, "brauchen wir im gesamten ländlichen Raum die gleiche hochleistungsfähige Internetinfrastruktur wie in der Stadt". Auf dem Kronenhof studiert Stefan Wagner die Daten der Sonden. Er sei inzwischen ein "Technikfetischist", sagt der Landwirt. So ganz verlassen will er sich auf die Algorithmen aber doch noch nicht. Erst seit einem Jahr vermessen die Sonden seine Felder. In der Landwirtschaft gelte die Regel: Ein Jahr ist kein Jahr. Die Technik müsse auf längere Sicht beweisen, dass sie hilft. Er könne inzwischen schon vieles besser verstehen, sagt Wagner. Aber eins ersetzten die Computer auf keinen Fall: "das Reden mit der Natur".

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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