Das Netz als Simulation:Wenn Maschinen die Macht im Netz übernehmen

Workshop Internetkriminalität in Frankfurt am Main

Auf einem Workshop zum Thema Cybercrime wird die Aktivität eines sogenannten Botnetzes dargestellt.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Likes, Shares, Views - im Netz kann man alles kaufen, und das dann wieder zu Geld machen.
  • Kriminelle nutzen etwa automatisierte Netzwerke um mit Fake-Traffic Werbeerlöse zu erzielen - ein lukratives Geschäft.
  • Software-Entwickler warnen schon vor dem Moment, in dem mehr Maschinen im Netz Signale erzeugen werden als Menschen.

Von Michael Moorstedt

Man kann sich das Leben von Yusaku Maezawa als ziemlich sorgenfrei vorstellen. Zumindest kommt es wohl eher selten vor, dass der 43-jährige Japaner nicht das bekommt, was er möchte. Das liegt daran, dass Maezawa mehrfacher Milliardär ist. Letztens war es zum Beispiel eine Reise zum Mond. Die Tickets hat er dann bei Milliardär und Space-X-Chef Elon Musk bestellt. 2023 soll es losgehen.

Vor einiger Zeit hat sich der verspielte Plutokrat ein neues, nicht ganz so weit entferntes Ziel gesetzt. Er wollte den Rekord für den am häufigsten retweeteten Tweet der Welt aufstellen. Und um auf Nummer sicher zu gehen und weil in der Welt nun mal nichts umsonst ist, versprach er jedem Nutzer, der seine Nachricht weiterleitete, die Chance, 100 Millionen Yen zu gewinnen. Das klingt nach mehr, als es ist, hat aber zum Erfolg geführt. Mehr als 5,2 Millionen Menschen - oder besser: Nutzerkonten - haben Maezawas Nachricht geteilt. Herzlichen Glückwunsch.

Jetzt, wo also feststeht, wer am häufigsten gehört wurde, kann man auch die Frage stellen, was Superlative dieser Art eigentlich wert sind. In Agenturen, Redaktionen und auch Privatgehirnen wird, wenn es um den Erfolg von Inhalten gleich welcher Art geht, schließlich nur auf diese Kennzahlen geachtet: Klicks, Likes, Herzchensymbole, solche Sachen. Aber warum eigentlich? Ein unangenehmer Gedanke, weil sich daran ja auch Auftragsbudgets, Werbeeinnahmen und Selbstbewusstsein bemessen.

Bots besuchen Fake-Webseiten um Werbeerlöse zu generieren

Ein gutes Mittel, um zu erkennen, ob etwas im Netz mit Unwucht läuft, ist, die Reaktionen von Kriminellen auf den Status quo zu beobachten. Seit Jahren heißt es, dass der von Menschen verursachte Datenverkehr im Internet gerade noch 60 Prozent ausmache. Der Rest stamme von automatisierten Skripten und gekaperten Computern. Wo früher noch ein Großteil dieses Maschinen-Traffics dafür benutzt wurde, gemütliche Spam-Mails zu versenden, mit denen man leichtgläubige Nutzer abzocken wollte, hat man sich heutzutage auf eine elegantere Methode verlegt.

Man leitet den Datenverkehr auf gefälschte Webseiten um, die dafür benutzt werden, den wiederum automatisierten Gewerken, die die Werbegelder im Netz verteilen, menschliche Aufmerksamkeit vorzugaukeln. Ein vor einiger Zeit aufgeflogenes Netzwerk von gekaperten Computern, tat nichts anderes, als sich jeden Tag ein paar Hundert Millionen Werbespots im Netz anzusehen. Eine etwas weniger subtile Methode verwenden sogenannte Klickfarmen. Hier finden sich in Ländern wie China Tausende aneinandergereihte Smartphones und Computer, die zu nichts anderem benutzt werden, als immer wieder das gleiche Video aufzurufen oder die gleiche App herunterzuladen.

Es gibt zwei Internets: Das Echte und das Simulierte

Die Leute, die auf diese Weise ihr Geld verdienen, haben also eine Simulation des Internets erfunden. Datenverkehr um des Datenverkehrs willen. Computer, die so tun, als seien sie Menschen. Die Nachrichtenartikel aufrufen, Videos anklicken oder eben Herzchensymbole verteilen. Eine Maschine, die sich im Leerlauf befindet, ohne Sinn und Zweck, außer um Aufmerksamkeit vorzutäuschen. Das Problem geht mittlerweile so weit, dass sich Software-Entwickler bei den großen sozialen Netzwerken darum sorgen, was passiert, wenn die Mechanismen, die Bot-Verhalten erkennen sollen, auf einmal menschlichen Traffic als falsch einstufen. Weil er nicht mehr die Norm ist. Sie haben für diese Stunde null sogar ein eigenes Wort: Inversion.

Auf den Medien-Panels und in Influencer-Workshops wird immer noch das Schlagwort von der Aufmerksamkeitsökonomie bemüht. Doch genau wie die Quotenmessung der GfK seit Jahrzehnten nicht mehr aussagekräftig ist, sind es auch die Metriken im Netz nicht mehr. Vielleicht ist eine neue Kennzahl nötig, um die Qualität von Aufmerksamkeit zu messen. Neue Sensoren, die einen erhöhten Puls oder vermehrte Dopamin-Ausschüttung melden, wenn tatsächlich ein Mensch auf dem Bildschirm etwas Spannendes entdeckt hat. Wahrscheinlich wird im Silicon Valley schon daran gearbeitet.

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