Theater:Mehr werden durch Fortpflanzung

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Sandro und Simone alias Florian Thunemann und Anja Klawun brauchen die künstliche Befruchtung schließlich gar nicht. (Foto: Robert Haas)

Im Bürgerhaus Unterföhring feiert John von Düffels Komödie "Helden zeugen" Premiere. Mit Slapstick, Missverständnissen und der großen Frage nach dem Sinn des Mannes

Von Julian Carlos Betz, Unterföhring

"Aber er lebt ja noch!" jammert Michaela, verzweifelte Ehefrau und vom Kinderwunsch beseelt, über ihren Mann, der sie von der künstlichen Befruchtung durch eine Samenspende abhält. Einfacher wäre es, Witwe zu sein, sinniert sie und reizt das Publikum im Unterföhringer Bürgerhaus wie auch in vielen anderen Momenten zum Lachen. Die Komödie unter der Regie von Thomas Luft, aufgeführt vom "Theaterlust"-Ensemble, thematisiert die Frage nach dem Verhältnis von Mann und Frau, wenn es mit der Fortpflanzung nicht so recht klappen mag, aber doch ein Kind her soll.

Dramaturg und Autor John von Düffel, der unter anderem am Deutschen Theater in Berlin tätig ist, arbeitete schon einmal mit dem Ensemble zusammen, bei dem Stück "Martinus Luther", das 2017 aufgeführt wurde. In der Deutschlandpremiere von "Helden zeugen" konnten die Schauspieler sich nun erstmalig in ihren Rollen vor Publikum erproben und boten eine so kurzweilige Darstellung, in deren Verlauf sich der männliche Zuschauer so manches Mal fragen konnte, wofür er eigentlich noch gebraucht wird.

Die Kulisse bildet eine Arztpraxis, genauer: die Kinderwunsch-Behandlungspraxis der Herren Nussbaum und Wiener, in deren Wartezimmer sich der Großteil des Stückes abspielt. Handlungsmittelpunkt ist das Paar Michael und Michaela, die sich intensiv auf die mögliche Fremdbefruchtung vorbereiten, aber doch nicht bereit dafür sind. Jedenfalls Michael, der sich früh als Cover-Musiker der Rolling Stones und selbsternannte Reinkarnation des ja immer noch lebendigen Mick Jaggers zu erkennen gibt, zweifelt an dieser Lösung und hadert mit der fehlenden Fruchtbarkeit seiner "Schwimmer". Sebastian Gerasch spielt den smarten, mal spöttischen mal unterwürfigen Ehemann mit Passion und trifft dabei immer wieder die perfekte Balance zwischen Selbstironie und Resignation. Währenddessen gibt es regelmäßig Gesangseinlagen und musikalische Intermezzi. Die Musiker hinter den durchsichtigen Projektionswänden, auf denen einen freundliche Babygesichter schon fast fordernd anstarren, sind als Spermien verkleidet und verstärken die offensichtliche Ästhetik des Stücks, sich zwischen bewusstem Klischee und Satire zu bewegen. "Es ist die Zukunft", ruft Michaela, ebenfalls eindrücklich und leidenschaftlich gespielt von Dagny Dewath, einmal pathetisch aus und spricht natürlich von ihrem Kind, das noch gezeugt werden muss. Michael dagegen will zwar irgendwie "auch etwas Eigenes", hätte aber lieber ein adoptiertes Kind, um seinen verletzten Mannes-Stolz zu beruhigen.

Gleichzeitig bewegt sich aber noch ein anderes Paar durch die Praxis, das wiederum völlig andere Motive hat: Simone und Sandro, letzterer als attraktiver Friseur mit einer Zahlenschwäche, konsequent dümmlich gespielt von Florian Thunemann, und für die meisten Wortwitze und Verwechslungen verantwortlich, kommen eher zufällig und sehr pragmatisch zu einer Befruchtung. Allerdings auf natürlichem Wege und laut polternd vor Ort in der Probenkammer. Anja Klawun, die mit Regisseur Thomas Luft vor 15 Jahren das Ensemble gründete, spielt die Simone und verkörpert dabei glaubwürdig und sympathisch den zupackenden, selbstbewussten Typ Frau, der Michaela Ratschläge gibt und ihr erklärt, wie überflüssig ihr Mann doch sei. In der zweiten Hälfte des Stücks schließlich erlebt Michael seine Sinnkrise und gelangt zu der Erkenntnis, sich seinen Wurzeln zuzuwenden: Er kehrt zurück als hängen gebliebener Late-Seventies-Verschnitt mit glänzendem Rock'n-Roll-Blazer und Micki-Krause-Matte. Er erzählt von seinem Traum, in dem es schlicht um die ewige Verlängerung der eigenen Potenz geht. Michael ist überglücklich, hat er sich doch jetzt als der Vergangenheit zugehörig erkannt, als der Mann noch Privilegien hatte.

Zuletzt wendet sich die Lage noch einmal und es stellt sich heraus, dass nicht nur Michael, sondern auch Michaela praktisch unfruchtbar ist, aber eben nur fast. Das genügt den beiden schließlich, um sich wieder in vereinter Harmonie dem hehren Ziel der Fortpflanzung zuzuwenden. Denn wer sich nicht fortpflanzt und mehr wird, wird irgendwann weniger, wie die beiden schließlich zufrieden feststellen.

© SZ vom 21.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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