Spurensuche:Opfer der NS-Rassenideologie

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Ein Stolperstein hält vor dem Anwesen Wippenhauser Straße 18 die Erinnerung an Emma Reißermayer wach. (Foto: Marco Einfeldt)

Politikwissenschaftler Guido Hoyer erinnert an die Schicksale von Emma Reißermayer und Alois Weiner

Von Hans Kirchberger, Freising

Emma Reißermayer und Alois Weiner gehörten zu den wenigen Überlebenden des Konzentrationslagers Theresienstadt. Sie wurden von den Nationalsozialisten als Juden verfolgt, ihre Lebensläufe zeigen, wie verbrecherisch die NS-Rassenideologie mit ihrer Einteilung der Menschen nach Rassenzugehörigkeit war. Bei einer Veranstaltung des VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschisten) erinnerte der Freisinger Politikwissenschaftler Guido Hoyer an ihr Schicksal.

Peter Floßmann, Vorstandsmitglied des VVN-BdA, bezeichnete Hoyer als unermüdlichen Anwalt und Chronist der Opfer des Naziregimes, als Spurensucher, der viele Stunden in den Archiven verbringe. Mit Hartnäckigkeit und Enthusiasmus forsche Hoyer und habe mittlerweile die Lebensläufe von 30 Menschen zusammengetragen, die von den Nazis verfolgt wurden. Diese Erkenntnisse seien zu wertvoll, um vergessen zu werden, betonte Floßmann, weshalb diese Schicksale noch heuer als Buch erscheinen sollen. An Emma Reißermayer erinnert inzwischen bereits ein Stolperstein in der Wippenhauser Straße, sagte Floßmann. Es wäre schön, wenn in Moosburg auch Alois Weiner einen solchen Stolperstein bekommen würde.

Emma Reißermayer wurde 1884 in München geboren. 1926 zog sie mit ihrem Mann Ludwig, der Bezirksbaumeister war, und ihrer Tochter Elisabeth von Kochel nach Freising. Die Familie lebte an der Wippenhauser Straße. Ludwig, nach der NS-Rassenideologie ein Arier, starb 1937. Emmas Mutter war Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft, sie selbst war in Freising als katholisch eingetragen. In einem Dokument von 1942 bezeichnete sie sich selbst als "glaubenslos". Gleichwohl tauchte sie im Oktober 1938 in der Freisinger Judenliste auf. Unmittelbar danach zog Emma mit ihrer Tochter nach München, um dort in der Anonymität unterzutauchen. Doch das klappte nicht, 1939 wurde Emma zu einer 14-tägigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie die Verordnung ignoriert hatte, ihre mit einem großen "J" gestempelte Kennkarte mit sich zu führen. Sie wurde zur Zwangsarbeit verpflichtet und 1942 nach Theresienstadt verschleppt. Zu spät kam eine von ihrer Tochter erwirkte Gerichtsentscheidung, dass sie nur Halbjüdin und ihre Tochter Vierteljüdin sei, weil Emmas leiblicher Vater Arier gewesen sei. Sie blieb in Theresienstadt, ihr Vermögen wurde beschlagnahmt. Nach der Befreiung im Juni 1945 fand sie ihr Schwiegersohn in bedenklichem Gesundheitszustand, Emma wog nur noch 38 Kilogramm. Sie lebte danach in Bad Tölz, zog später nach Holzkirchen und starb dort am 3. April 1961.

Alois Weiner wurde1872 in der Nähe von Prag geboren und eröffnete 1901 in Moosburg ein Textilgeschäft, das sich zunächst im Eisenrichter-Haus am Plan befand. Später ließ er das Königsbauer-Anwesen auf dem Gries erbauen, das über Jahrzehnte eine feste Adresse im Moosburger Einzelhandel war. Im Ersten Weltkrieg diente Weiner als Unteroffizier in Frankreich. Nach seiner Rückkehr schloss er sich der SPD an und war Mitglied des Ortsvereinsvorstands. Weiner galt als Mann des Ausgleichs. Ihm war es mit zu verdanken, dass es beim Einmarsch der "Bamberger Truppen", die die Räterepublik beseitigen wollten, weder Kämpfe noch Massaker gab. 1919 zog er für die SPD in den Bezirksrat ein. Eine Boykott-Aktion gegen sein Geschäft gab es nach der Machtergreifung Hitlers zwar nicht, gleichwohl hetzte der "Kampfbund des gewerblichen Mittelstands" gegen den Juden Weiner.

Die Ehe mit seiner Frau Klara, einer geborenen Brunner, ging in die Brüche, Weiner ging eine Liaison mit seiner arischen Buchhalterin ein und entging dabei nur knapp dem Vorwurf der Rassenschande. 1937 ging Weiner nach München, seine Frau ließ sich scheiden und führte das Geschäfte unter ihrem Mädchennamen weiter. Ihr wurde angedroht den Status eines "deutschen Geschäfts" zu verlieren, sollte sie weiter Kontakt zu ihrem Mann halten.

Weiner musste im Zuge der "Entjudung des Wohnungsmarkts" mehrmals umziehen, an Pfingsten 1942 trat er zum katholischen Glauben über, wohl wissend, dass ihn das nicht vor einer Deportation schützen würde. Weiner kam in ein Münchner Lager, wurde zur Zwangsarbeit in der "Flachs-Röste Lohhof" verurteilt und im Oktober 1942 nach Theresienstadt abtransportiert. Er war dort einer der wenigen Überlebenden und kam im Juni 1945 wieder nach Moosburg.

Alois Weiner, sagte Hoyer in seinem Vortrag , "war der einzige Jude, der nach der Befreiung in den Landkreis Freising zurückkehrte". Von der US-Militärregierung wurde er im August 1945 erst zum "beratenden Stadtrat" ernannt, später zum Stadtrat und dreimal für die SPD in den Kreistag gewählt. Daneben leitete Weiner von August 1945 an das Moosburger Fürsorge- und Wohlfahrtsamt, ein Altenheim, zwei Armenhäuser und das Waisenhaus. Er setzte zur Unterstützung dazu auch sein privates Vermögen ein. 1953 starb Weiner. In einem Nachruf hieß es: "Ehrlich und rechtschaffen hat er gehandelt und für Menschlichkeit und Menschenwürde gekämpft".

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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