Holocaust-Gedenktag:Nie wieder? Schon wieder! Immer noch

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Der "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" erinnert an die Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945. Im Bild das Holocaust-Mahnmal in Berlin. (Foto: dpa)

Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik sitzt in allen Landtagen eine Partei, in welcher auch der Rassismus eine Heimstatt hat. Das Bundesverfassungsgericht ist am Rückzug des zivilen Widerstands nicht unbeteiligt.

Kommentar von Heribert Prantl

Nie wieder. Das ist die Botschaft der Gedenktage, die nicht nur an Gedenktagen gilt und die nicht verfloskeln darf. Der 27. Januar ist daher nicht nur ein Tag des trauervollen Rückblicks in die NS-Vergangenheit; er ist auch ein Tag des sorgenvollen Blicks in die Gegenwart. Nie wieder? Schon wieder! Immer noch.

Der "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" erinnert an die Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945. Er erinnert daran, dass der Weg zum Grundgesetz durch die Hölle der Konzentrationslager führt; am Wegrand liegen Millionen erschlagene, erschossene, vergaste, zerprügelte, gefolterte und zermarterte Menschen. Dieser Tag erinnert an die Ausrottung der Menschlichkeit, daran, wie aus der Humanität Nationalität und aus der Nationalität Bestialität wurde - und er macht, hoffentlich, unruhig, weil der Nationalismus sich schon wieder so furchtbar aufbläht.

Der Gedenktag erinnert einen daran, dass es heute den Vorsitzenden einer Partei mit zweistelligen Wahlerfolgen gibt, der die Bestialität als "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte bezeichnet; in dieser Partei wird nicht der Holocaust, sondern das Denkmal dafür als "Schande" bezeichnet. Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik auf dem Boden des Trümmerfelds, das die Nationalsozialisten hinterlassen haben, gibt es in allen deutschen Parlamenten eine Partei, in der auch die Hitlerei eine Heimstatt hat; es ist dies eine Partei, in der mit alten braunen Gemeinheiten kokettiert wird; gewiss nicht von allen, aber von vielen dort.

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Das völkische Getöse findet in dieser Partei immer mehr Echo, und auf Versammlungen dieser Partei wird vor Begeisterung gejohlt, wenn Nazi-Verbrechen verharmlost, Juden verhöhnt, Muslime verachtet, Türken als Kameltreiber beschimpft und Gemeinheiten über Flüchtlinge gesagt werden. Abgeordnete dieser Partei fallen bei Gedenkfeiern zum 27. Januar gern dadurch auf, dass sie sich dem Gedenken entziehen, manchmal feixend, immer trampelnd selbstgerecht.

Wer, wenn nicht Knobloch, muss den Rassismus der AfD kritisieren?

Soeben haben Parlamentarier der neu in den Bayerischen Landtag eingezogenen AfD bei der Rede von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, den Parlamentssaal verlassen. Knobloch hatte den Rassismus der Partei kritisiert. Wer, wenn nicht diese Frau darf, soll, muss das kritisieren? Von wem, wenn nicht von ihr, einer Überlebenden des Holocaust, müssen sich AfD-Abgeordnete, so sie sich zu dieser Demokratie und ihren Grundlagen bekennen wollen, solche Kritik anhören?

Knobloch war ihr Leben lang zuversichtlich, was das Miteinander der Religionen in Deutschland betrifft. Unter dem Eindruck der Erfolge der AfD hat sie jüngst gesagt, dass sie nicht mehr wisse, ob es in zehn Jahren noch jüdisches Leben in Deutschland geben könne. Es sind Sätze zum Verzweifeln. Sie stehen in einem Buch mit dem Titel "Unfassbare Wunder", in dem Alexandra Föderl-Schmid 25 Holocaust-Überlebende befragt; Konrad Rufus Müller, der Kanzlerfotograf, hat sie porträtiert. Es ist ein Buch, in dem man die Rückkehr der Angst liest und spürt. Warum? Die AfD hat das Land ungut verändert. Gewiss: Sie hat sichtbar gemacht, was vorher schon da war - Rassismus und Antisemitismus, den nur als "Bodensatz" zu bezeichnen falsch war und ist. Vieles ist jetzt nicht nur sichtbar, sondern auch sagbar geworden. So mancher, der sich vorher zähmte, tut es nicht mehr; er lässt die Sau raus. Der neobraune Ungeist hat die Netzwerke verlassen, er ist sogar in Polizeirevieren präsent. Er versucht, Druck aufzubauen in Schulen, Theatern, Vereinen - zumal in den neuen Bundesländern.

Einrichtungen, die gegen Rechtsaußen arbeiten, müssen sich auf einmal vor Rechtsaußen rechtfertigen; das ist beim großen Goethe-Institut so und beim kleinen Demokratieverein. Leute, die sich um Opfer rechtsextremer Gewalt kümmern, werden bedroht. CDU-Landesregierungen im Osten fangen an, die Förderung für solche Projekte einzustellen. Sind dies Vorleistungen für künftige Koalitionen mit der AfD? Die Programm-Macher in den Institutionen der Zivilgesellschaft überlegen sich immer öfter, ob es nicht besser ist, bestimmte Veranstaltungen abzusagen oder gar nicht anzubieten. Der "Aufstand der Anständigen" ist das nicht; es ist ihr Rückzug.

Die NPD hätte verboten werden müssen

Das Bundesverfassungsgericht ist beteiligt an diesem Rückzug. Es hat vor zwei Jahren einen entsetzlichen Fehler gemacht, als es die NPD zwar als verfassungsfeindlich beschrieb, aber gleichwohl kein Verbot aussprach. Die Richter listeten zwar die widerwärtigen Absichten der NPD auf, maßen diese aber am desolaten Zustand der Partei und erfanden den Begriff der "Potentialität": Die NPD sei zu prägender Einflussnahme unfähig. Mit diesem Urteil hat Karlsruhe das Parteiverbot, das schärfste Schwert der Demokratie, "der Verfassungsgeschichte überantwortet", wie der Staatsrechtler Jörn Ipsen schrieb. Dem Parteiverbot fehlt seitdem die Potentialität: Die eine Partei ist zu klein, die andere zu groß dafür ... Die NPD hätte verboten werden müssen, nicht weil sie klein ist, sondern gerade deswegen. Niemand hätte behaupten können, damit sei ein Konkurrenzschutz für andere Parteien etabliert worden. Es wäre aber die Linie gezogen worden, die eine Partei, ob groß oder klein, nicht überschreiten darf.

Vergangenheitsaufarbeitung hat es in Österreich fast so wenig gegeben wie in der früheren DDR. Umso größer sind heute die Probleme - dort wie da. In Österreich gibt es die Koalition der ÖVP mit den extremistischen Populisten schon. In den neuen deutschen Bundesländern könnten Koalitionen von CDU und AfD 2019 kommen. Was tun? Es muss dort Vergangenheitsaufarbeitung neu beginnen; und im Westen der Bundesrepublik darf sie nicht nachlassen. Kein Gedenken ist felsenfest, das Sichere nicht sicher. Demokratie und Aufklärung, Rechtsstaatlichkeit, Achtung von Minderheiten - das alles muss man lernen, immer und immer wieder.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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