Wehrbericht:Wenn der Soldat seinen Overall flicken muss

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Es könnte noch etwas mehr sein: Panzergrenadiere der Bundeswehr zeigen ihre Ausrüstung. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
  • Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, kritisiert in seinem Jahresbericht die mangelhafte Ausrüstung der Bundeswehrsoldaten.
  • Es fehle an den "Basics" wie Pullovern, Overalls, Schutzwesten - nötig sei ein Sofortprogramm, um zumindest die dringlichen Mängel zu beheben.
  • Die Truppe hat außerdem Probleme, Nachwuchs zu finden.

Von Mike Szymanski, Berlin

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, fordert ein Sofortprogramm, um zumindest die dringlichen Mängel bei der persönlichen Ausstattung der Soldaten zu beheben. Ob Helme, Stiefel, Schutzwesten, von diesen "Basics" sei immer "noch viel zu wenig da, um jede Soldatin und jeden Soldaten gleichermaßen zu versorgen." Deshalb solle Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ihr langfristiges Ziel der Vollausstattung bis 2031 um "ein kleines Sofortprogramm" ergänzen, wie Bartels am Dienstag anlässlich der Präsentation seines Jahresberichts für 2018 ausführte. Dies könne auch ein "Befreiungsschlag" sein.

Der Wehrbeauftragte, in geheimer Wahl vom Bundestag gewählt, wacht über den Zustand der Bundeswehr. Er ist zugleich Ansprechpartner für die Belange der Soldaten und wird deshalb auch als Anwalt der Soldaten betrachtet. Seinen Eindrücken und Einschätzungen kommt daher besondere Bedeutung zu. Bartels ist zwar Sozialdemokrat, doch der Wehrbeauftragte soll überparteilich agieren.

Sein Bericht listet abermals zahlreiche Klagen über fehlende Ausrüstung auf. Dies gehe bereits zu Lasten der Außenwirkung der Bundeswehr. Die Flugbereitschaft der Bundeswehr etwa, die auch den Regierungs- und Staatsflugbetrieb abwickelt, wartet dringend auf neue Overalls. Bei einem Truppenbesuch sei Bartels darauf angesprochen worden, dass einige Kameraden bereits ausgemusterte, graue Fliegerkombis weiter trügen, weil neue fehlten. Die Crew gebe deshalb "kein einheitliches Erscheinungsbild" ab, Löcher würden geflickt. Nach Angaben von Bartels fehlten etwa 700 Overalls, die Bundeswehr habe bereits angekündigt, 10 000 Exemplare zu beschaffen.

Auf einer Schießanlage habe die Ausbildung eingestellt werden müssen, weil der "gesamte dortige Schutzwestenbestand" für einen Nato-Einsatz abgezogen worden sei. Die Bundeswehr hat Mühe, Ganzjahresjacken, Pullover und Schirmmützen für Offiziere auszuliefern. Die Schirmmützen soll es erst wieder im vierten Quartal 2019 geben. Oftmals bereite auch die Qualität Probleme. In der Marine wird über Unterhemden geklagt, die leicht reißen würden. Mitarbeiter im Kommando Strategische Aufklärung, die ihre Arbeit fast nur sitzend ausüben, warten seit Jahren auf rückenschonende Stühle - dabei hätten 40 Prozent der Bediensteten bereits "dauerhaft Rückenschmerzen".

"Unterbesetzung und Überorganisation"

Bartels macht vor allem überbordende Bürokratie für die Probleme verantwortlich. "Unsere Bundeswehr, wie ich sie im Moment erlebe, leidet an Unterbesetzung und gleichzeitig an Überorganisation." Zu viel Arbeit werde doppelt getan oder gegeneinander. Das Beschaffungsamt in Koblenz sei überlastet und mit Verantwortung in der Vergangenheit überfrachtet worden. Die Bundeswehr blockiere sich oft selbst. "Einfaches wird verkompliziert, Bewährtes verschlimmbessert", heißt es im Bericht des Wehrbeauftragten. Bartels spricht von einem "Bürokratielabyrinth", selbst Soldaten würden ihm mittlerweile sagen: "Wir verwalten uns zu Tode."

Geldmangel - so wie früher - sieht er dagegen nicht mehr als Problem an. Der Verteidigungsetat falle heute mit 43,2 Milliarden Euro um fast fünf Milliarden höher aus als 2018. "Am fehlenden Geld muss nichts mehr scheitern", erklärte Bartels.

Verteidigungsministerin von der Leyen komme seiner Auffassung nach beim Umbau der Bundeswehr dennoch nur zögerlich voran. In seinem Bericht für das Jahr 2018 zieht er abermals eine ernüchternde Bilanz der von ihr eingeleiteten Reformen. "Das System der Mangelwirtschaft besteht in allen Bereichen fort." In der zweiten Jahreshälfte 2018 seien beispielsweise beide Tanker der Marine mit Motorschäden ausgefallen, die "prekäre Lage"dort habe sich "nicht wesentlich verbessert". Von den U-Booten scheine immer noch keines "vollständig einsatzbereit" zu sein.

Das Debakel bei der Sanierung des Segelschulschiffes Gorch Forck zeige aus seiner Sicht "die Diffusion von Verantwortung in einer zersplitterten Zuständigkeitskultur, wo es niemals Aufgabe zu sein scheint, zu fragen: Ist das normal, wenn der Reparaturpreis sich von zehn auf 135 Millionen Euro verdreizehnfacht?"

Im Berichtsjahr hatten sich 2534 Soldatinnen und Soldaten mit persönlichen Eingaben an den Wehrbeauftragten gewandt, geringfügig mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der von Amts wegen aufgegriffenen "meldepflichtigen Ereignisse" war insgesamt zwar rückläufig, dennoch führt der Wehrbeauftragte zahlreiche, teils extreme Verfehlungen auf. Es ging um gegenüber Kameraden offen geäußerten Rassismus, Hakenkreuzschmierereien und Beleidigungen. Ein Hauptgefreiter äußerte sich bezogen auf einen Kameraden mit den Worten: "Den kann ich mir gut in der Gaskammer vorstellen." Es habe 170 meldepflichtige Vorfälle im Bereich Rechtsextremismus gegeben. 2017 waren es 167. Im Berichtsjahr mussten 18 Soldaten wegen ihrer extremistischen Einstellungen vorzeitig aus dem Dienst der Bundeswehr ausscheiden.

Die Meldungen wegen sexueller Belästigung hingegen sind gestiegen, von 235 im Jahr 2017 auf 288 im Jahr 2018. Bartels führt dies auf ein vermutlich gestiegenes Bewusstsein im Zuge der MeToo-Debatte zurück. Der Griff an den Po, an die Brust, all dies würde häufiger gemeldet. Ein Gefreiter etwa, der sich zu einer betrunkenen, schlafenden Soldatin ins Bett gelegt und an ihr gerieben hatte, sei fristlos entlassen worden. Dennoch beklagt Bartels im Bericht: "Viele Fälle von sexueller Belästigung lassen sich im Nachhinein nicht aufklären, weil Zeugen fehlen oder diese, trotz besseren Wissens, nicht aussagen." Wer sich nicht gegen Übergriffe und jede Art von Sexismus stelle, handle "unkameradschaftlich", erklärte Bartels.

Der Truppe fehle es bislang insgesamt weiter an Attraktivität. Dies äußere sich in besorgniserregender Form bei der Nachwuchsgewinnung. Die Zahl der Neueintritte in die Bundeswehr sei 2018 um 3000 auf nur noch 20 000 Männer und Frauen gesunken, das sei der "niedrigste Stand in ihrer Geschichte".

Bartels erklärte zum Zustand der Bundeswehr: "Ich würde gern berichten: Es ist Frühling, alles wird neu. Aber die Wahrheit lautet: Es ist immer noch Winter."

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