Afghanistan:Gewagte Mission

Die USA sehnen den Abzug ihrer Soldaten herbei und verhandeln deshalb mit den Taliban. Erhalten die Islamisten nun zu schnell zu viel Macht, droht dem multiethnischen Land wieder das Abdriften in den Bürgerkrieg.

Von Tobias Matern

Sie kamen, um die Taliban zu stürzen. Nun wollen sie den Taliban wieder zur Machtbeteiligung verhelfen. Klingt absurd? Nach einem Krieg, der mehr als 17 Jahre gedauert hat, sind die USA zu allem bereit: Sie führen mit den Islamisten Gespräche auf Augenhöhe. Im Gegenzug für eine wie auch immer gestaltete, noch nicht im Einzelnen durchdeklinierte Machtbeteiligung der Taliban in Kabul verlangt Washington bislang nur die Versicherung, dass von Afghanistan kein Terror mehr ausgehen werde so wie im Jahr 2001, als Al-Qaida-Chef Osama bin Laden von dort aus die Attacken vom 11. September befehligte.

Aber wie schaut es mit der Forderung an die Taliban aus, die Errungenschaften für afghanische Frauen zu akzeptieren, wie mit der Frage, ob sich die Taliban an Wahlen beteiligen und sich dem Votum des Volkes beugen, auch wenn das Ergebnis nicht so ausfällt, wie sie es sich vorstellen? All das fehlt. Und der zeitliche Druck, unter dem die US-Diplomaten in ihren Gesprächen stehen, ist nicht hilfreich, um solche für die Menschen in Afghanistan zentrale Anliegen zu klären.

Amerika ist nicht die erste Großmacht, die sich an Afghanistan die Zähne ausgebissen hat. Die Briten im 19. Jahrhundert, die Russen im 20. und nun die USA im 21. Jahrhundert: Noch nie haben ausländische Invasoren bestehen können. Der westliche Afghanistan-Einsatz, mit bis zu 150 000 hochgerüsteten Soldaten ausgefochten, hat sich nie von einem strategischen Fehler gleich zu Anfang erholt: Als das Regime wenige Wochen nach dem US-Einmarsch aus Kabul vertrieben war, fehlten die Taliban als dezimierte Kriegspartei auf dem Bonner Petersberg - sie galten als Paria. Heute sind sie der zentrale Machtfaktor und diktieren die Bedingungen für Friedensgespräche.

Noch immer weigern sich die Taliban, überhaupt mit der Kabuler Regierung zu reden, nur mit den USA setzen sie sich an einen Tisch. Genau darin liegt das Problem der bisherigen Verhandlungen: Die USA mögen nun ihre ersehnte Abzugsperspektive bekommen. Aber erhalten die Taliban nun zu schnell zu viel Macht, droht dem multiethnischen Afghanistan wieder das Abdriften in den Bürgerkrieg, wenn sich der Westen zurückzieht.

Der afghanische Präsident Ghani ist bislang nur Zuschauer, wenn Amerikaner und Taliban über die Zukunft in seinem Land und den Abzug der US-Soldaten sprechen. Die Sicherheitsgarantien, die sich die USA von den Taliban wünschen, kann eigentlich nur seine Regierung geben. Mit welcher Autorität sollen die Taliban versichern, dass sie keine für die USA bedrohlichen Terrorgruppen zulassen, obwohl sie gar nicht Herr über die afghanischen Streitkräfte sind, die im Zweifel gegen solche extremistischen Strömungen vorgehen müssten?

Präsident Trump will diesen von seinen Vorgängern Bush und Obama geerbten, längsten Kriegseinsatz der amerikanischen Geschichte so schnell wie möglich beenden - verständlich. Seinen eigenen Diplomaten legt er aber dabei Steine in den Weg, verkündet vorschnell, die US-Truppe reduzieren zu wollen, obwohl doch dieses kleine Restkontingent den militärischen Druck auf die Taliban hochhalten müsste. Nur damit könnten den Islamisten am Verhandlungstisch weitere Zugeständnisse abgerungen werden, von denen nicht nur die kriegsmüden Westler, sondern auch die Afghanen profitieren.

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