Nachrüstung:Logik des Schreckens

Antiamerikanische Demonstration, 1981

„Keine Atomwaffen“: Anti-Nachrüstungs-Protest im Oktober 1981 im Bonner Hofgarten.

(Foto: Lothar Kucharz/SZ Photo)

Die Debatte über die Stationierung neuer Atomraketen bewegte Anfang der Achtzigerjahre ganz Deutschland - und nicht nur die Bundesrepublik.

Von Joachim Käppner

"Wann hat es jemals in Deutschland so etwas gegeben? Die jungen Menschen wollen keine fremden Länder mehr besetzen - höchstens mal ein rechtswidrig leer stehendes Haus ..." Als Heinrich Albertz, Pastor und Sozialdemokrat, das rief, war auf dem Bonner Hofgarten kaum noch ein Stehplatz frei: Bis zu 300 000 meist junge Menschen demonstrierten 1981 vor der Kulisse des kurfürstlichen Schlosses gegen Nato-Nachrüstung und atomares Wettrennen. Nie zuvor und nie seither war die deutsche Friedensbewegung so stark wie in den turbulenten Jahren der Nachrüstungsdebatte. Sie prägte das Lebensgefühl zumindest einer halben Generation und war einer der Sargnägel für die bereits sieche sozialliberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD)

. Man befand sich im Kalten Krieg, der in den späten Siebzigerjahren wieder aufgeflammt war. Es hatte begonnen mit der Entscheidung der Nato, die Stationierung sowjetischer SS-20-Mittelstreckenraketen in Osteuropa mit vergleichbaren Raketen, den Pershing 2 und Cruise Missiles, zu beantworten. Diese atomare "Nachrüstung" verfolgte offiziell den doppelten Zweck, zunächst wieder Parität der Abschreckung herzustellen und im zweiten Schritt per Verhandlungen den Abzug aller atomaren Mittelstreckenraketen zu erreichen, daher "Nato-Doppelbeschluss".

Doch viele Menschen in Deutschland mochten dieser Logik des Schreckens nicht folgen, sie glaubten ihr nicht einmal. Aufhalten konnte die Friedensbewegung die Stationierung trotz aller Demos und Sitzblockaden vor US-Stützpunkten wie Mutlangen dennoch nicht: Nach dem Sturz Schmidts stimmte die CDU- FDP-Regierung unter Helmut Kohl 1983 zu, die Raketen auf deutschem Gebiet aufzustellen.

Es gehört zu den Volten der Geschichte, dass sich der in der Bundesrepublik ungeliebte US-Präsident Ronald Reagan 1987 mit dem neuen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, ohne dessen Reformkurs dies niemals möglich gewesen wäre, tatsächlich auf den Abbau der Mittelstreckenraketen einigte. Beide unterzeichneten den INF-Vertrag, den die USA nun gekündigt haben.

Manche Protestler von einst blicken wehmütig zurück, so die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler 2018 bei einer INF-Debatte im Bundestag: "Ich erinnere mich noch genau, wie ich in den Achtzigerjahren von Haus zu Haus gelaufen bin. Millionen Unterschriften kamen damals zusammen, in jedem Dorf gründete sich eine Friedensinitiative." Nun fordern die Friedensorganisationen Ican und IPPNW die Bundesregierung auf, alles gegen ein neues Wettrüsten zu tun. Der evangelische Friedensbeauftragte Renke Brahms sagte, vieles "erinnert an den Kalten Krieg". Ob ein Rückfall in die Ära vor dem INF aber so viele Menschen mobilisieren wird wie 1981? Die Bundesregierung war, trotz ihrer Vorwürfe gegen Russland, den Vertrag zu verletzen, immerhin gegen das Ende des Abkommens, das dürfte Proteste dämpfen. Die Polarisierung politischer Debatten ist übrigens kein Privileg der Gegenwart. Im nationalkonservativen Lager, damals noch überwiegend in der Union beheimatet, behauptete man, die Massenproteste seien "von Moskau gesteuert". Zwar versuchten die Stasi und SED-nahe Gruppen durchaus, Einfluss auf die Friedensbewegung zu nehmen, doch blieb der Erfolg begrenzt.

Gewichtiger war, dass der Protest 1981 auf die DDR selbst übersprang, wo viele mutige junge Menschen den Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" trugen und dafür massiv gemaßregelt wurden. Der ostdeutsche Obrigkeitsstaat wurde danach den Geist des Aufruhrs nicht mehr los. So hat die Friedensbewegung in beiden deutschen Staaten tiefe Spuren hinterlassen.

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