Leute:Wertarbeit

Das Münchner Bauunternehmen Renner wird 100 Jahre alt. Elisabeth und Michael Renner sind stolz auf diese lange Tradition. Doch die Branche, sagen sie, wird von Spekulanten und Lohndumping schwer beschädigt. "Ein anständiger Unternehmer hat es heute schwer"

Von Martina Scherf

Elisabeth Renner hält mit ihren Meinungen nicht hinterm Berg. Das hat sie noch nie getan. Und seit einiger Zeit läuft so viel schief auf der Welt, "da kann man nicht einfach schweigend zusehen", sagt sie. In München sei es deutlich zu sehen: Wie die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. Wie ehrliche Arbeit immer weniger wert ist. Wie der Einzelhandel stirbt, weil alle online kaufen. "Ein anständiger Unternehmer", sagt Renner, "hat es immer schwerer." In der Bauwirtschaft diktierten "Spekulanten und Sklavenhalter" die Preise. Mit Sklavenhalter meint sie die Subunternehmer, die Arbeiter aus Osteuropa holen. Sie zahlen miese Löhne, oft schlafen die Arbeiter unter den Isarbrücken. "Ich mache mir Sorgen um meine Heimatstadt", sagt Elisabeth Renner.

Das Bauunternehmen Renner wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Es gibt nicht mehr viele Familienbetriebe in München, die auf eine so lange Geschichte zurückblicken können. Der Urgroßvater von Michael Renner hat die Firma nach dem Ersten Weltkrieg gegründet. Elisabeth und Michael Renner haben sie 1982 übernommen. Vor Kurzem stieg Tochter Ulrike, 37, in die Geschäftsführung auf, sie ist die fünfte Generation.

Elisabeth Renner sitzt im nüchternen Besprechungsraum der Firma in Fürstenried und schlägt das Fotoalbum auf. Der Schwiegervater hat darin die wichtigsten Etappen der Firmengeschichte festgehalten, mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen und akkurater Architektenschrift. 850 Häuser haben sie bis heute in München gebaut. Darauf sind sie stolz.

Eines war ihnen immer wichtig, sagt die Firmenchefin: Ein gutes Verhältnis zu ihren Arbeitern. Zu jedem Jubiläum gab es eine große Feier, alles selbst organisiert, so soll es auch diesmal wieder sein. Vielleicht gehen sie im Herbst ins Hofbräuhaus. Und selbstverständlich sind dann auch die Rentner eingeladen. "Einige unserer Arbeiter sind seit Jahrzehnten dabei. Und mit manchen verbindet uns ein freundschaftliches Verhältnis", sagt die Chefin.

Schon 2006 haben sie den Erasmus-Grasser-Preis der Stadt München bekommen für ihre vorbildliche Ausbildung. "Der Renner nimmt auch schwierige Jugendliche", hieß es immer. Mit einem Lehrling, der unter schlimmer Prüfungsangst litt, hat Michael Renner einmal am Wochenende so lange gelernt, bis er die Prüfung packte. Ausländische Mitarbeiter, die in München schwer Anschluss finden, ruft Elisabeth Renner auch am Sonntag an und erkundigt sich nach ihrem Befinden. "Und wenn einer zum Arzt muss oder Probleme bei der Wohnungssuche hat, kommt der selbstverständlich zu mir", sagt sie. Schon in den Sechzigerjahren hat die Firma "Gastarbeiter" aus Portugal und Italien beschäftigt. Eine portugiesische Familie arbeite mittlerweile in dritter Generation bei Renner, sagt die Chefin. Sie waren zum Gegenbesuch in Portugal, "und wir wurden reich bewirtet".

80 fest angestellte Mitarbeiter haben sie derzeit, bezahlt wird über Tarif, sagt Elisabeth Renner. Trotzdem war es noch nie so schwer, gute Leute zu finden. Seit sieben Monaten suchen sie einen Bauleiter, auch Lehrlinge stellen sich kaum noch vor. "Die jungen Leute wollen nicht mehr auf dem Bau arbeiten, und sie wollen schnell viel Geld verdienen." Vor allem seien aber auch die Münchner Mietpreise Schuld an der Situation. "Wir hätten schon vor Jahren ein Dutzend Lehrlinge aus dem Bayerischen Wald bekommen. Aber es scheiterte an der Wohnungssuche."

Anpacken, Weitermachen, Durchziehen - das ist die Parole der Renners, auch in schwierigen Zeiten. Und die gab es immer wieder. Als sie damals die Firma übernommen hatten, sahen die Bilanzen nicht gut aus. Doch mit vereinten Kräften haben sie daraus ein blühendes Unternehmen gemacht. Das Leben für die Firma, das haben sie nie hinterfragt. Es war einfach immer viel Arbeit, aber es ist gut so, sagen beide.

In der Pfarrjugend haben sich die beiden einst kennengelernt, da war Elisabeth 16, Michael 17 Jahre alt. "Mit 21 hab' ich geheiratet." Sie hatte da schon als medizinisch-technische Assistentin gearbeitet, er hat Bauingenieur studiert. Als Michael Renner senior - alle Männer in der Familie hießen Michael - dann einige Jahre später seinen Sohn fragte: "Willst du jetzt die Firma übernehmen?", da sei das eine gemeinsame Entscheidung gewesen, bestätigen die Eheleute. "Anders wäre es nicht gegangen", sagt er. "Ich habe meinen Beruf geliebt, aber ich stieg dann halt in die Firma ein, sonst hätte ich meinen Mann ja gar nicht mehr gesehen", sagt sie. "Dann ham' mir's halt zusammen durchgezogen."

Er war fürs Technische zuständig, sie fürs Kaufmännische. Er ist der Ruhige, Nachdenkliche, der Tüftler, sie ist die Temperamentvolle, die Macherin und Treiberin. Nach der Geburt ihrer Töchter kehrte sie jeweils sofort wieder an den Schreibtisch zurück, bei der Erziehung half die Oma. "Krank war ich nie." Sie sei eine strenge Mutter gewesen, gibt sie zu.

"Dass sie so impulsiv ist", sagt ihr Mann und lächelt milde, "macht es nicht immer einfach." Aber ohne sie, fügt er hinzu, "stünden wir heute nicht da, wo wir stehen". 30 Millionen Umsatz verbuchten sie in den besten Jahren. Jetzt ist Tochter Ulrike mit im Büro, aber viele Jahre war Elisabeth Renner die einzige Frau. Sie führte ein strenges Regiment, "aber mit Wertschätzung. Wir haben immer alle gesiezt, auch die Lehrlinge. Das ist für mich eine Frage des Respekts." Und wenn sie heute durch ihre Heimatstadt fahren, dann können sie mit Genugtuung feststellen, in wie vielen Straßen sie ihre Handschrift hinterlassen haben. Das ist doch was. Diese Beständigkeit.

Sie haben sich auf Sanierungen im Bestand spezialisiert, auch in komplizierten Lagen. Am Altheimer Eck, zum Beispiel, enge Schneise, schwierige Zufahrt. Sie haben dann mit Unterwasserbeton ein Fundament für den Kran errichtet und ihn später aus dem fertigen Boden wieder herausgehoben, "das macht nicht jeder". Beim Umbau der ehemaligen Freibank am Viktualienmarkt, heute der Kopfbau der Schrannenhalle, haben sie das historische Gewölbe saniert, in alter Tradition mit "preußischen Kappen". Und als in der Winzererstraße einmal eine Gasleitung explodierte und das gesamte Erdgeschoß eines Wohnhauses wegriss, "da blieb das Haus oben drüber stehen", sagt Elisabeth Renner und grinst. Wertarbeit. Genügend Stahlträger eingebaut, nicht gespart.

Beständigkeit, Ehrlichkeit, Wertschätzung, das mögen altmodische Werte sein, sagt Elisabeth Renner, aber das ist es doch, was das Leben ausmacht. Doch sie vermisst das in den Wirtschaftsbeziehungen immer mehr. Als gläubige Christin übt sie auch Kritik an der Kirche, "dort geht es ja auch vor allem ums Geld". Auch die Kirche bietet ihre Wohnungen zu Höchstpreisen an. "Aber wenn Krankenschwestern, Erzieherinnen, Polizisten oder Busfahrer sich das Leben in München nicht mehr leisten können, dann geht uns das alle an."

Beim Bauen gehe es nur noch um Rendite. "Es werden kaum noch Genossenschafts- oder Sozialwohnungen gebaut. Und was vorhanden war, hat der Freistaat verscherbelt." Bei Neubauten, das beobachtet sie täglich, fehlten Gemeinschaftsflächen. "Früher gab es ein Wirtshaus im Genossenschaftsquartier, wo sich die Leute nach der Arbeit treffen konnten. Heute gibt es nur noch Fastfood oder Schicki-Micki-Lokale, mit Essen für 20 Euro aufwärts."

Wenn sie über ihre Heimatstadt spricht, ist sie in ihrem Element. Sie macht sich dadurch nicht nur Freunde. Wegen des Sittenverfalls im Baugewerbe hat sie schon vor 20 Jahren an den damaligen Oberbürgermeister Christian Ude geschrieben, erzählt die Unternehmerin. "Wer keine Subunternehmer beschäftigt, hat bei öffentlichen Ausschreibungen kaum noch eine Chance. Es gewinnt der billigste Anbieter, egal, zu welchen Bedingungen der arbeitet."

All das hat sie dem OB damals geschrieben, und auch, "dass wir es sind, die hier Gewerbesteuer zahlen, Lehrlinge ausbilden, uns um unsere Arbeiter kümmern". Ude habe nur lapidar geantwortet, er wünsche der Firma viel Glück. Auch Ilse Aigner hat die Unternehmerin kontaktiert, als die noch Wirtschaftsministerin war. Auch deren Antwort sei enttäuschend gewesen. Das Problem ist bekannt, alle Firmen leiden darunter, bestätigt hingegen Michael Frikell, Geschäftsführer der Bauinnung. Und die Firma Renner sei bekannt dafür, dass sie immer viele Lehrlinge ausbilde und viele eigene Leute beschäftige. Aber der Mangel an Nachwuchs wie an Facharbeitern treffe die ganze Branche.

Das Unbehagen der Renners teilen viele Leute, aber nicht alle drücken es so deutlich aus wie Elisabeth Renner. "Die Großindustrie bestimmt die Politik, und der Mittelstand ist der Verlierer", schimpft sie und klappt das Fotoalbum zu. "Superreiche aus fernen Ländern kaufen hier Grund und Boden und heizen die Preisspirale an, und die kleinen Leute können sich keine Wohnungen mehr leisten." Aber irgendwie machten ja fast alle mit. "Die Leute kaufen online, sie essen Erdbeeren im Winter und sie fliegen um die Welt - aber sie kommen nicht zufriedener zurück. Und es interessiert sie nicht, dass Menschen in anderen Teilen der Welt für unsere Billigprodukte schuften." Sie selbst war einmal in Amerika, sagt sie, "das hat mich nicht besonders beeindruckt". All die anderen Jahre haben sie Familienurlaub mit ihrem VW-Bus gemacht, maximal zwei Wochen, das musste reichen. "Da braucht man nicht viel und hat seine Freiheit."

Sie ist jetzt 64 Jahre alt, ihr Mann 65. So langsam will sie sich aus der Firma zurückziehen, auch damit die Tochter nicht ständig in ihrem Schatten steht. Aber in den Ruhestand gehen, das kann sich Elisabeth Renner nicht vorstellen. "Sollte ich in der Firma mal nicht mehr gebraucht werden, dann werde ich mich sicher karitativ betätigen." Einfach nur die Füße hochlegen, sie weiß gar nicht, wie das geht.

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