Lesung vor Schülern:Undercover bei Reichsbürgern

Lesung vor Schülern: Der Buchautor Tobias Ginsburg lebte freiwillig unter Reichsbürgern und berichtet über seine Erfahrungen.

Der Buchautor Tobias Ginsburg lebte freiwillig unter Reichsbürgern und berichtet über seine Erfahrungen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Theaterregisseur Tobias Ginsburg verbrachte acht Monate unter Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen und Waffennarren. Seine Botschaft: Die heterogene Gruppierung ist in die Mitte der Gesellschaft angekommen.

Von Benjamin Emonts

Im Frühjahr 2017 schlüpfte der jüdische Theatermacher Tobias Ginsburg in die Rolle des Tobias Patera, eines Journalisten aus der alternativen Szene, um verdeckt in der Welt der Reichsbürger zu recherchieren. Am Stadtrand von Wittenberg betrat er das sogenannte "Königreich von Deutschland". Die wohl bekannteste Reichsbürger-Sekte des Landes nahm ihn bei sich auf. Innerhalb weniger Wochen gewann er ihr Vertrauen, bekam Ansehen und gelangte immer tiefer in die Kreise von Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremisten und Waffenfreunden. Insgesamt acht Monate lang dauerte die Recherche. Am Ende schrieb Ginsburg seine Erfahrungen im Buch "Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern" nieder.

Geschichts- und Sozialkundelehrer Markus Theil holte ihn an die FOS/BOS (Fach- und Berufsoberschule) Bad Tölz. Ihm sei es ein Anliegen, dass die Schüler einmal im Jahr eine Lesung zu einem historischen oder politischen Thema bekommen, sagt er. Und das lohnt sich offensichtlich: Fast 200 Schülerinnen und Schüler folgen Ginsburg gebannt, als er aus dem Buch vorliest und über seine verdeckten Ermittlungen erzählt. Der gebürtige Hamburger, ein redseliger Typ, hat eine Botschaft, die ihm nach all seinen Erkenntnissen besonders wichtig erscheint: Das klischeehafte Bild, das die Öffentlichkeit von den Reichsbürgern habe, sei irreführend. Immer noch halte man sie für gescheiterte Männer, meistens über 50, kaputte Existenzen, die an skurrile Dinge glaubten, die sich komische Hüte aufsetzten und sich zum Kaiser aller Deutschen erklärten.

Lesung vor Schülern: 200 Schülerinnen und Schüler der FOS/BOS Bad Tölz hörten Ginsburg zu.

200 Schülerinnen und Schüler der FOS/BOS Bad Tölz hörten Ginsburg zu.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

In Wahrheit seien die Reichsbürger eine "immens heterogene, vielfältige Gruppierung". Eine Bewegung aus den unterschiedlichsten Milieus und Klassen. Frauen wie Männer, Ärzte wie Handwerker, Politiker wie Esoteriker. Sie alle seien geeint durch eine einzige große Theorie: "Die Deutschen sind Opfer einer Weltverschwörung, die das deutsche Volk unterjochen, knechten oder gar auslöschen will." Der Staat sei Teil des düsteren Komplotts, die Bürger lediglich sein Personal. Der Staat sei nicht autonom und habe keine Daseinsberechtigung. Die Welt werde beherrscht von "denen da oben", von Eliten und Geheimgesellschaften. Von der "NWO", der Neuen Weltordnung. Es eint die Reichsbürger, dass sie die Bundesrepublik nicht als Staat anerkennen, sie glauben an den Fortbestand des "Dritten Reiches". Deutschland befinde sich immer noch im Kriegszustand mit den Alliierten. In der Konsequenz ignorieren sie alle amtlichen Bescheide.

Dank seiner Recherche ist Ginsburg ein gefragter Mann. Seit ein Reichsbürger im Oktober 2016 bei einer Hausdurchsuchung in Georgensgmünd einen Polizisten erschossen und vier weitere schwer verletzt hatte, war die Gruppierung in aller Munde. Den Deutschen dämmerte, welche Gefahr von der schwer zu greifenden Gruppierung ausgeht. Zur Veröffentlichung seines Buches wurde Ginsburg zu Markus Lanz und in etliche andere Talkshows und Radiosendungen eingeladen, um über seine Erfahrungen zu sprechen.

Ginsburg erzählt, er sei mit "morbider Neugierde" und einer gehörigen Portion "Naivität" an seine Recherche herangegangen. Bei einem Tag der offenen Tür klopfte er das erste Mal beim "Königreich von Deutschland" an die Tür. Der selbst ernannte König, Peter Fitzek, saß damals bereits im Gefängnis. Der rhetorisch versierte Ginsburg verstand rasch die Sprachmuster der Szene; wenn er nach seiner Meinung gefragt wurde, paraphrasierte er die Aussagen der anderen und stimmte ihnen mit eigenen Worten zu. Er wurde bekannter und beliebter, lernte immer mehr Angehörige der lose strukturierten Szene kennen. Mit dem ehemaligen NPD-Kreisvorsitzenden Rüdiger Hoffmann, der einst Jugendliche zum Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkünfte angestiftet hatte, stand er vor dem Reichstag. Auf einem geheimen Vereinigungstreffen verschiedener Reichsbürger-Gruppierungen sprach er mit dem ehemaligen ARD-Sonderkorrespondenten Christoph Hörstel, der die Partei "Deutsche Mitte" gegründet hat. Er saß mit Neonazis, Esoterikern und Verschwörungstheoretikern am selben Stammtisch und traf immer wieder auf AfD-Politiker aus der Bewegung, die sich, wie er sagt, öffentlich aber niemals als Reichsbürger outen würden. Auch sie gebrauchten in ihrer Rhetorik Begriffe wie "Umvolkung": das orchestrierte Entsenden großer Menschenströme, um das Volk hier zu schwächen oder auszulöschen.

Abgesehen von Antisemiten, Rassisten und Holocaust-Leugnern bekam er es nach seinen Worten auch mit vielen kaputten Seelen zu tun, die für Schicksalsschläge schlicht einen Schuldigen suchten und einen paranoiden Hass und Verfolgungswahn entwickelten. Denn das verbindet die Reichsbürger laut Ginsburg: Die Vorstellung, dass es irgendwo "da oben" Schuldige für all die Missstände im Land geben müsse.

Die Tölzer Schüler dürfen nach dem Vortrag bei Ginsburg nachfragen. Was sie besonders interessiert: Wie ging es nach dem Ausstieg weiter? Kann man da einfach so raus? Der 32-Jährige erzählt von Morddrohungen, die er bekommen habe, inzwischen aber habe sich die Lage beruhigt. Von bekannten Neonazis oder aus Kreisen der AfD habe er nichts zu hören bekommen. "Die haben was zu verlieren und wollen kein Aufsehen erregen."

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