Ski-WM in Are:0,07 Sekunden zwischen Gold und gar nix

Alpine Skiing - FIS Alpine World Ski Championships - Women's Super G

Zum Helmraufen! Viktoria Rebensburg registriert ihr alpines Pech.

(Foto: Leonhard Foeger/Reuters)
  • Viktoria Rebensburg wird im Super-G bei der Ski-WM in Are Vierte. Sie hat einen Rückstand von 0,07 Sekunden auf den ersten Platz.
  • Sie sagt: "Ich habe wirklich alles gegeben, ich kann auf mich selber stolz sein."
  • Mikaela Shiffrin gewinnt. Lindsey Vonn stürzt schwer, bleibt aber unverletzt.

Von Johannes Knuth, Are

Der Blick suchte die Anzeigetafel, er sah das Ergebnis, eine fette schwarze Vier auf gelbem Untergrund. Dann sackte der Kopf von Viktoria Rebensburg nach unten. Als habe jemand den Stecker gezogen, als sei alle Freude in ihrem Körper mit einem Mal zu Granit erstarrt.

Sieben Hundertstelsekunden. Kürzer als ein Blinzeln. Wahlweise die Dauer, in der dem Besucher in Are die Nasenlöcher zufrieren, sobald er bei minus zwanzig Grad nach Luft schnappt. Sieben Hundertstelsekunden bei einer Minute Fahrzeit, wo konnte Rebensburg die schon vergeudet haben im Super-G zum Auftakt der alpinen Ski-WM in Are? Hatte sie ein Tor einen Hauch zu früh angesteuert? Hatten sich ihre Kanten einmal zu spät in den Schnee gebissen? War es der Sturz von Lindsey Vonn gewesen, die kurz vor Rebensburg ins Netz gerauscht war, was eine quälende, zehnminütige Unterbrechung provozierte, während sich noch dickere Wolken vor die Sonne schoben, die gerade hinter dem Zielstadion unterging - hätte Rebensburg ohne diese Pause die Fahrrinne vielleicht besser erspäht und jene mickrigen sieben Hundertstel eingespart, die am Dienstag zwischen Gold und Platz vier trennten? "Sieben Hundertstel", sagte Rebensburg später, "die findet man ja immer", aber mit der nachträglichen Pannensuche sei es halt auch so: "Das bringt ja nichts."

Dieser Super-G der Frauen hatte am Ende ein bisschen was von allem: spektakuläre Fahrten, dramatische Unfälle, schwer abgehängte Favoriten. Und dann war da natürlich der Zieleinlauf, der so knapp war, dass sie in Are fast das Hubble-Teleskop anwerfen mussten, um die Reihenfolge zu bestimmen: Mikaela Shiffrin, USA, lag drei Hundertstelsekunden vor der Italienerin Sofia Goggia, fünf vor der Schweizerin Corinne Suter, sieben vor Rebensburg. Das war die Rolle, die für die beste Deutsche im ersten WM-Rennen übrig geblieben war: So knapp stand noch kein Super-G-Fahrer bei einem Großevent neben dem Podium.

Rebensburg sprach später im Zielraum, schwarze Mütze, Sonnenbrille, obwohl die Sonne längst verschwunden war. Ihre ersten Gedanken im Ziel? Waren nur bedingt zitierbar. Ihr Fahrt? "Ich habe wirklich alles gegeben, ich kann auf mich selber stolz sein", sagte sie. Wer wollte, konnte darin einen kleinen Verweis auf Maria Höfl-Riesch erkennen, die ehemalige Teamkollegin also, die Rebensburg vor der WM fehlendes Engagement angekreidet hatte. Aber gut. Hatte die Pause nach Vonns Unfall die Chancen geschmälert? Die Sicht sei "für mich okay" gewesen, fand Rebensburg, dabei beließ sie es. Könne sie auch diesem vierten Platz etwas abgewinnen, ihrem dritten nach der WM vor zwei Jahren (im Super-G) und dem olympischen Riesenslalom im vergangenen Februar? "Doch, es gibt immer etwas Positives", sagt Rebensburg, sie fühle sich wohl in Are, der Schnee liege ihr, und noch stehen ja Riesenslalom und Abfahrt für sie an, wie sie am Dienstag bestätigte. Das Vibrato in ihrer Stimme verriet freilich, dass sie mit diesen Erkenntnissen gerade noch wenig anfangen konnte.

Es war am Ende ein schwacher Trost für die 29-Jährige: dass ihr knappes Scheitern dieses Rennen erst mit dem letzten Schuss Dramatik abschmeckte, der auch die Freude der Besten noch ein bisschen mehr versüßte. Die Jury hatte den Start am Morgen nach unten verlegt, wegen starker Winde, so rückte das Feld noch enger zusammen - die besten Zehn trennte am Ende eine läppische halbe Sekunde. Dahinter versammelten sich die schwer Geschlagenen, Titelverteidigerin Nicole Schmidhofer, als Elfte noch die Beste aus dem zuletzt so starken österreichischen Team, Ester Ledecka, die Olympiasiegerin von Südkorea, und natürlich Lindsey Vonn. Die Amerikanerin hatte am Start die falsche Brille angelegt, wie sie später sagte, sie hatte Nebel erwartet, dabei schien noch die Sonne. Vonn erspähte eine Bodenwelle jedenfalls zu spät, rauschte erst durch die Luft, dann durch ein Tor und schließlich ins Netz. Ihr größter Erfolg am Dienstag war, dass sie nur ein paar blaue Flecken davontrug, die Abfahrt am Sonntag wird sie wohl noch bestreiten können, es soll das letzte Rennen ihrer bewegten Karriere werden. Ihre ersten Gedanken nach dem Aufprall? "Was mache ich eigentlich hier", gestand Lindsey Vonn später, "so langsam bin ich zu alt für diesen Mist."

Mikaela Shiffrin herrscht unterdessen fast so beeindruckend über das alpine Geschehen wie Vonn in ihren besten Tagen. Die 23-Jährige moderierte diese Geschäftsübergabe am Dienstag erneut mit großer Demut: Vonn habe sie schon als kleines Kind inspiriert, sie verstehe sich nicht wirklich als Erbin ihrer Landsfrau, und diesen WM-Titel im Super-G habe sie auch überhaupt nicht erwartet. Was freilich eine kräftige Prise Untertreibung beinhaltete. Tatsächlich hatte Shiffrin am Dienstag eine der wenigen Fahrten erschaffen, bei der Angriffslust, technisches Vermögen und taktische Cleverness genau richtig abgemischt waren. Die Amerikanerin ist längst nicht mehr eine Slalom-Expertin, die ab und zu in den schnellen Disziplinen hospitiert, sie fährt die schnellen Disziplinen mittlerweile mit der Courage einer Abfahrerin, die ihre Kurvenfertigkeit gewinnbringend einsetzt. Insgesamt hat sie aber auch gelernt, ihre Kräfte klug einzuteilen; die Kombination lässt Shiffrin bei dieser WM zugunsten von Slalom und Riesenslalom lieber aus. "Mikaela ist vielleicht die Beste, die es je gab oder geben wird", hatte die Liechtensteinerin Tina Weirather, die am Dienstag ebenfalls ausschied, zuletzt gesagt. "Ich habe immer gesagt, dass ich meine Speed-Rennen gewinnen muss, bevor sie damit anfängt."

Eine Sache wollte Shiffrin am Dienstag dann aber auch noch loswerden: Nach Vonns Sturz und der folgenden Pause sei das Rennen ein ganz anderes gewesen. "Wenn Viki bessere Sicht gehabt hätte", fand Shiffrin, "hätten wir jetzt vielleicht eine andere Weltmeisterin."

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