100 Jahre Attentat auf Kurt Eisner:Der Mann, der den "Freistaat" Bayern begründete

Kurt Eisner - der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern

Kurt Eisner, der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern

(Foto: dpa)

Im November 1918 wird der Sozialdemokrat Eisner zum ersten Ministerpräsidenten der bayerischen Republik gewählt, drei Monate später ist er tot. Biograf Bernhard Grau erklärt, was den Mörder trieb.

Interview von Martin Anetzberger

Am 8. November 1918 ruft der revolutionäre Sozialdemokrat Kurt Eisner in München den Freistaat Bayern aus und erklärt die Dynastie der Wittelsbacher für abgesetzt. Vom Arbeiter- und Soldatenrat gewählt übernimmt er in der neuen Regierung selbst das Amt des Ministerpräsidenten und Außenministers. Eisner, der aus einer jüdischen Familie stammt, ist während des Ersten Weltkriegs zum Pazifisten geworden und propagiert eine parlamentarische Demokratie.

Bei der Landtagswahl am 12. Januar muss er mit seiner Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) - einer linken Abspaltung von der SPD - eine herbe Niederlage einstecken. Auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung im Bayerischen Landtag, wo er seinen Rücktritt anbieten will, wird er am 21. Februar vom rechtsradikalen Leutnant Anton Graf von Arco auf Valley aus kurzer Entfernung mit zwei Schüssen in den Hinterkopf ermordet. Kurze Zeit später schießt der Arbeiterrat Alois Lindner im Landtag Innenminister Erhard Auer von den Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) nieder. Lindner hält den politischen Rivalen Eisners für den Drahtzieher hinter dem Attentat. Auer überlebt schwerverletzt. Der Historiker Bernhard Grau hat sich intensiv mit Leben und Wirken Eisners beschäftigt und 2001 eine Biografie vorgelegt.

SZ: Herr Grau, was trieb Graf Arco zum Attentat auf Kurt Eisner?

Bernhard Grau: Man kann klar sagen: Eisners öffentliches Eingeständnis der deutschen Kriegsschuld auf der internationalen Sozialistenkonferenz Anfang Februar 1919 in Bern hat eine Pogromstimmung erzeugt, die Graf Arco zu der Tat ermutigte. Dieser Schritt Eisners kam in der Öffentlichkeit nicht gut an.

Gab es ein Komplott oder handelte Arco allein?

Graf Arco hatte natürlich ein Umfeld. Und in diesem Umfeld ist offen über ein Attentat gesprochen worden. Es gab etliche Morddrohungen, die Eisner per Post erreicht haben. Auf Flugblättern wurde unverhohlen mit einem Anschlag gedroht. Man weiß auch, dass Arco versucht hat, Mitglied der völkisch-antisemitischen Thule-Gesellschaft zu werden, die ihn wohl wegen der jüdischen Herkunft seiner Mutter nicht zuließ. Möglicherweise wollte er sich mit seiner Tat profilieren. Es ist aber bisher nicht gelungen, nachzuweisen, dass Arco Ausführender eines Plans war, hinter dem eine größere Organisation stand. Gegen diese These spricht am allermeisten, dass das Attentat verübt wurde, als Eisners Rücktritt erwartet wurde.

Eisner hatte gut drei Monate zuvor den "Freistaat" Bayern ausgerufen. Was genau verstand er darunter?

Der Begriff taucht in Eisners Ausrufung der Republik in der ersten Sitzung des Provisorischen Nationalrats am 8. November auf. In seinem Aufruf an die Bevölkerung Münchens kündigte Eisner auch die Wahl zu einer "Nationalversammlung" an. Er verstand darunter also die Abschaffung der Monarchie und die Einführung einer parlamentarischen Demokratie.

Seit Jahrzehnten ist es zuvorderst die CSU, die sich den "Freistaat" auf die Fahnen schreibt. Wie gelang ihr diese Umdeutung?

Da bewegen wir uns schon in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hieß Bayern als einziges Land der Bundesrepublik "Freistaat". Das war etwas Exklusives. Die CSU hat den Begriff zusätzlich emotional aufgeladen und als Sinnbild für ein konservatives und wirtschaftlich erfolgreiches Bundesland etabliert - dabei beruft sich die Partei zum Beispiel auf Institutionen wie das Münchner Oktoberfest und den FC Bayern. Die Tatsache, dass die CSU nach dem Krieg fast ununterbrochen an der Macht war, hat ihr das natürlich erleichtert.

Die bayerische SPD versucht immer wieder, Eisner als einen der ihren zu vereinnahmen. Voriges Jahr verkleidete sich der damalige Fraktionschef Rinderspacher bei der fränkischen Fastnacht als Eisner. Wie bewerten Sie das?

Eisner trat während des Ersten Weltkriegs zwar der USPD bei, die im Gegensatz zur SPD einen pazifistischen Kurs verfolgte und einen schnellen Frieden forderte. Mit dem SPD-Führer Auer verband ihn außerdem eine persönliche Gegnerschaft. Dennoch verstand sich Eisner im Kern als Sozialdemokrat und hat sich selbst noch im Wahlkampf immer wieder für die Beendigung des Bruderzwists ausgesprochen - das ist ihm allerdings nicht gelungen, ja es hat sich mit der KPD auf der äußersten Linken sogar noch eine weitere sozialistische Partei gegründet. Grundsätzlich spricht also nichts dagegen, wenn die heutige SPD Kurt Eisner als einen der ihren betrachtet. Problematisch ist dies aber, wenn dies erkennbar für aktuelle politische Zwecke instrumentalisiert wird.

Welche Errungenschaften Eisners sind heute noch spürbar?

Während seiner kurzen Zeit als Ministerpräsident - es waren etwa 100 Tage - verwirklichte Eisner nicht nur die parlamentarische Demokratie. Damit ging als eine wesentliche Neuerung auch das Frauenwahlrecht einher. Dass Frauen wählen durften, war auch im europäischen Maßstab ziemlich fortschrittlich. Eisners Regierung führte aber auch den Acht-Stunden-Tag für Arbeiter sowie die Presse- und Meinungsfreiheit ein, die es so in der Monarchie nicht gegeben hatte. Außerdem setzte sie die Trennung von Staat und Kirche durch und beendete damit die kirchliche Schulaufsicht. Allerdings handelte Eisner als Politiker strikt nach seiner Überzeugung, er war sozusagen ein Anti-Populist. Viele seiner Positionen waren nicht mehrheitsfähig, eben auch seine Haltung zur deutschen Kriegsschuld.

Inwiefern ist seine Rolle bei der Demokratisierung Bayerns ausreichend gewürdigt?

Geht man nur allein nach der Zahl der Gedenkorte, so ist die Person Eisner in München sehr präsent. Dass dennoch immer wieder bezweifelt wird, dass seine Leistungen ausreichend gewürdigt sind, hat zum einen mit den Orten zu tun, an denen sich die Denkmäler befinden, zum anderen mit der Form der Würdigung. Am Ort seiner Ermordung wurde etwa ein Bodendenkmal errichtet, über das die meisten Passanten achtlos hinweggehen. Das erscheint vielen Münchnern unwürdig. Zudem wurde verhindert, dass Eisner als Begründer des "Freistaats" gewürdigt wird. Verwendet wurde vielmehr der Begriff "Volksstaat". Darunter kann sich heute aber kaum jemand etwas vorstellen, was falsche Vorstellungen weckt. Außerdem war es immer die Stadt München, die sich zu Eisner bekannt hat. Der Freistaat Bayern hat ihn hingegen nie ernsthaft als Begründer des demokratischen Bayerns anerkannt. Nachdenken sollte man zum Beispiel über ein Revolutionsdenkmal auf der Theresienwiese, von wo der Umsturz am 7. November 1918 ja seinen Ausgang nahm.

Der Attentäter wurde Anfang 1920 zunächst zum Tode verurteilt, schon einen Tag darauf begnadigt, und nach wenigen Jahren Haft kam er im April 1924 frei. Wie kam es dazu?

Zunächst muss man sagen, er wurde immerhin zum Tode verurteilt. Das war bei einem Mord auch gar nicht anders möglich. Dass die Todesstrafe schnell in eine lebenslange Festungshaft umgewandelt wurde, lag daran, dass die Tat aus Sicht des Richters keiner niederen Gesinnung entsprungen war. Es kam in der Revolutionszeit häufiger vor, dass Strafen abgemildert wurden, weil einem Täter als Motiv eine tiefe politische Überzeugung zuerkannt wurde. Dass er dann so früh freikam, hat sicher auch damit zu tun, dass die Justiz während der Weimarer Republik auf dem rechten Auge blind war.

Spekulieren Sie mal: Wäre Eisner an diesem 21. Februar nicht erschossen worden, sondern zurückgetreten. Was wäre anders gelaufen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass die weitere Entwicklung in geordneteren Bahnen vonstattengegangen wäre, schätze ich als sehr hoch ein. Wegen des Attentats und der darauffolgenden Schüsse im Landtag gab es keine Regierung mehr. Eisner war tot, Innenminister Auer lag im Krankenhaus. Der Landtag zerstreute sich und trat nicht mehr zusammen. Die übrigen Minister tauchten unter, aus Angst, ebenfalls angegriffen zu werden. Schon am Tag danach konstituierte sich deshalb der Zentralrat der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte neu, der sich kurz zuvor aufgelöst hatte. Am 7. April 1919 spitzte sich die Lage mit der Ausrufung der Räterepublik weiter zu. Eine Woche später wurde sogar die Kommunistische Räterepublik ausgerufen. Geht man davon aus, dass Arcos Attentat nicht nur ein symbolischer Akt war, sondern rechtsgerichtete politische Ziele verfolgte, dann hat seine Tat eher das Gegenteil bewirkt.

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