Konzert:Lauthals für die Freiheit des Liebens

Adir Jan kombiniert schwule Themen und kurdische Sprache. Sein Debütalbum hat der Musiker und studierte Latinist aus Berlin-Kreuzberg bei "Trikont" veröffentlicht, das er nun im Import Export vorstellt

Von Christian Jooß-Bernau

Kastanienaugen hat der Begehrte, Trauerweidenhaar und eine Zuckerzunge, in die der Sänger gerne beißen würde. Nur macht sich dieses Zauberwesen nichts aus ihm. Es sind andere, für die er sich verknotet mit seinen auberginenförmigen Beinen. Letzteres nun ist kein Kompliment mehr, sondern purer Spott über diesen bösen Geist, der die Liebe nicht erwidert, gesungen in Kurmandschi, wie man es in nordkurdischen Regionen spricht.

"Maç" heißt das Lied - "Der Kuss". Finger, die auf das Fell einer Trommel treffen, eine Tembûr, abgenommen und verstärkt wie eine E-Gitarre, die antwortet. Dann kommt er ins Rollen, der Rhythmus, und eine leibhaftige Wah-Wah-Gitarre biegt ums Eck, mit dem funky Charme der Rockmusik der Siebzigerjahre. Des Sängers Stimme vibriert zwischen Lieben und Leiden. Und dann hebt die Band ab, gleitet groovend durch einen Hallraum, in dem alles möglich wird, auch kosmischer Sex.

"Leyla" heißt das Debütalbum von Adir Jan auf dem Münchner Trikont-Label, das hier beweist, warum die Welt unabhängige Plattenfirmen braucht, die noch den Atem haben, Musik aus Szenetiefen hervorzutauchen und den Mut, sie zu veröffentlichen. Bis jetzt konnte man Adir Jan vornehmlich im SO36 treffen, einem Musikclub in der Oranienstraße im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Hier veranstaltet er die Partyreihe "Zembîl" mit einer Gastband und ihm selbst als Haussänger, mit orientalischem Tanz und DJ. "Hier kommen Menschen aus ganz Berlin zusammen", sagt er, "die sich sonst nie begegnen würden." Das Publikum ist queer oder nicht, und die Stimmung soll phänomenal sein. Es ist ein geschützter Raum im SO36. In dieser Szene bewegt sich auch İpek İpekçioğlu, die für Trikont schon Platten zusammengestellt hat und Jan den Kontakt zum Label vermittelte.

Am Ende des Telefonats bedankt sich Adir Jan, dass man jetzt doch nicht vorrangig über Schwulsein gesprochen habe und über die Kurden, sondern viel über Musik. In einer Nacht im SO36 ist wohl vieles einfach, was sonst ziemlich kompliziert ist. "Selbst wenn ich sagen würde, meine Lieder sind nicht politisch, würden sie politisiert werden", ist die Selbsteinschätzung seiner Kunst. Die Kombination von schwulen Themen und kurdischer Sprache hat eine Gravitationskraft, die viele Feinheiten mit sich reißt. Gefragt, ob seine Eltern Kurden sind, formuliert er, sie kämen ursprünglich aus einem kurdischen Gebiet. Seine Mutter redete Zaza, und allein entlang der Grenzen dieser Sprache, in der Jan auch singt, könnte man sich unrettbar in Diskussionen von Eigenständigkeit und Abgrenzung von Ethnien verstricken.

Die Tembûr, die Jan spielt, kennt man in der türkischen Sprache als Bağlama, eine Langhalslaute, deren Saiten chorisch angeordnet sind, mal sind sie doppelt gespannt, mal oktaviert und doppelt. Schon die Frage der Stimmung ist ein Feld für sich. Und hier, wie in der unterschiedlichen Besaitung der Laute, ist man angelangt im heimeligen Kleinklein der regionalen Unterschiede, die am Ende wohl bereichernder wären als jede nationale Dummheit.

Adir Jan aber ist kein Spezialist für innertürkische Belange. Er ist in Kreuzberg geboren und geblieben. Ist studierter Latinist mit großer Sprachenliebe, und der eingangs erwähnte Text, den man für ein blühendes Beispiel für orientalische Sprachornamente halten könnte, ist von Catull inspiriert. In den Siebzigerjahren gab es in der Türkei eine lebendige Rockszene, die Psychedelisches und Progressives mit ihren Mitteln zum Blühen brachte. In Iran war Kourosh Yaghmaei zu Zeiten des Schahs mit einem selbstverständlich eigenen Sound Star einer zukunftszugewandten Musik. Es gibt verschüttete Traditionen, an die Jans Album anknüpfen könnte, aber er hat sich seinen Weg mit eigenem Forscherdrang gesucht. Eine feste Band hat er nicht, was ihn bei Auftritten flexibel macht. Unverrückbare Gefährten gibt es aber - wie den Gitarristen Conny Kreuter, der das Fuzz-verzerrte Feeling hat, das einen erst auf die Rockspur setzt. Rund wird der Groove durch den Perkussionisten Hogir Göregen, der den Pulsschlag dieser Aufnahmen auf die Trommeln tupft. In der Form dieser Musik hat Adir Jan zu seinem Ausdruck gefunden. Er hat die Kraft, über den Tod seines Vaters zu singen, die Stärke sich in "Shengal" an die Seite verfolgter Frauen zu stellen.

Konzert: Die Tembûr, eine orientalische Langhalslaute mit Elektroanschluss, verleiht der Siebzigerjahre-Rockmusik von Adir Jan einen besonderen Sound.

Die Tembûr, eine orientalische Langhalslaute mit Elektroanschluss, verleiht der Siebzigerjahre-Rockmusik von Adir Jan einen besonderen Sound.

(Foto: Denis Bauer)

Nein, es geht hier nicht darum, Unterdrückung in der Türkei zu thematisieren. Man kann sich schon gleich in Deutschland davon angesprochen fühlen. "Rassismus im Alltag habe ich von meiner frühesten Kindheit an bis heute erlebt", sagt Adir Jan, der Kreuzberger. Manchmal paarte sich der Rassismus gleich mit Homofeindlichkeit. Angefangen hat das mit Bemerkungen der Lehrer, in der U-Bahn ging das weiter, wo man ihm "Scheiß Kanake" entgegengrölte. Und im Supermarkt, wo ihm die Security hinterherläuft. Weil er eben nicht weiß ist. In München spielt Adir Jan im Import Export. Sein Konzert ist Teil der neuen Reihe "360°", die sich mit Vorträgen, Filmen, Workshops und Musik auf den Weg zu einer vielfältigen Gesellschaft macht.

Der in Italien lebende Künstler Ehsan Mehrbakhsh hat das Booklet und Cover des Albums illustriert. Seine Figuren stehen oft wie Aliens auf den Seiten. Umrisse von Wesen sind es, durch die zarte Aquarellfarben fließen. In Adir Jans Musik ist der Geist der Siebzigerjahre als Vision gebunden. Es ist die säkulare Science-Fiction-Fantasie eines Paradiesgarten, in dem die Freiheit alternativen Lebens auf dem soliden Fundament verzerrter Gitarren wächst.

Gäbe es dieses Album nicht, eine bessere Zukunft wäre 2019 weiter entfernt, als man ertragen könnte. Der erste Laut in "Janakî Mou" ist ein Schnappen nach Luft. Dann schlagen die Wellen der Band wieder über der Stimme zusammen. Paralysiert ist der Sänger ohne seinen Geliebten. Und er ertrinkt in seinen Onyxaugen. Homo, hetero, bi oder trans - wo ist der Unterschied? Adir Jan singt von der Liebe. Sonst nichts.

Adir Jan, Donnerstag, 14. Februar, 20.30 Uhr, Import Export, Dachauer Straße 114

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