Theater:Der Mörder ist fast immer der Türsteher

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„Arbeite – Härter – Das geht – Besser - Komm noch – Früher – Bleib noch – Länger – Und der – Spaß der – Nimmt kein – Ende.“ Der deutsche Ort aller Sehnsüchte ist auch nur ein Club, der gerade implodiert. (Foto: Rolf Arnold)

Wolfram Hölls willkommenskulturelle Pop-Parabel "Disko" wummert am Schauspiel Leipzig.

Von Cornelia Fiedler

Ernsthaft? Die Wohlstandsfestung Europa hier mal als Club mit einem alten weißen Türsteher? Drinnen tobt die Party, draußen frieren die Geflüchteten? Hui, das klingt aber mal nach Empörungs-Symbolismus der Gutmenschenart. Eigentlich.

Doch Wolfram Höll hat mit seinem vierten Stück "Disko", aller Kitsch- und Banalitätsgefahr zum Trotz, ein zwar ungewöhnliches, aber absolut stimmiges Stück geschrieben. In bester Popsongtradition foltert der 1986 geborene Autor, der schon zweimal den Mülheimer Dramatikerpreis gewonnen hat, die Sprache, bis sie eine beschämende Wahrheit nicht mehr kaschieren kann. Schwierig ist, dass sich Regisseur Ivan Panteleev mit einer lamettaglitzernden Uraufführung am Schauspiel Leipzig mehr der Disco als dem Diskurs verpflichtet fühlt.

Zuerst, die Partynacht ist da noch jung, weist der Türsteher im Stil eines gespielten Witzes einen Mann ab, der die Codes des Clubs, die Codes dieser Gesellschaft nicht kennt. Doch Vorsicht! Diese Partynacht entwickelt sich anders als normal. Erste Normabweichung: Ein Treck Geflüchteter wird unter Jubel in den Club eingelassen. Erstaunlich: Das transkulturelle Feiern verläuft zunächst utopisch. Dann endet alles in einem Blutbad.

Als ein erster Partygast tot zusammensackt, verdächtigen alle den Flüchtling Mohammed - und schieben ihn gleich eigenhändig ab. Zu spät wird klar, dass der wahre "Mörder auf dem Tanzfloor", der noch lange nicht nach Hause geht, jener zu Beginn vor der Tür Abgewiesene ist. So steht es im Buch. Warum Panteleev in seiner Inszenierung dagegen den Türsteher (Andreas Herrmann) zum Massenmörder macht, bleibt allein sein Geheimnis.

Zumindest aber bedienen beide Täter-varianten jene Argumentation, mit der Rechtspopulisten gerade so erschreckende Erfolge feiern: Sie fühlen sich benachteiligt, ignorieren ihre privilegierte Situation und feuern ihren Hass gleichermaßen gegen "Eliten" wie gegen "Fremde".

"Bums. Bums. Bums", wahlweise "Tschick", "Bam" oder Klatsch", das sind die häufigsten Wörter in Hölls Dramentext, der in einem irritierenden Layout daherkommt: als Tabelle mit neun Spalten. Wenn einer seiner Prototypen - Single, Helferin, Besorgter Bürger, Flüchtling oder Frau - spricht, springt dessen Text die Spalte hinunter. Dazu untermalen ihn die Beatbox-Geräusche der anderen. Panteleevs Ensemble spricht jeden Phrasen-Loop mit höchster Präzision. Die fiesen Feinheiten des Textes gehen allerdings in der Dauerbeschallung mit treibenden Elektrosounds von Jan-S. Beyer zu oft unter.

Die skelettierten Gesprächsreste, die Hölls Figuren loopen und samplen, stammen aus bewusst peinlich übersetzter Songlyrik von Daft Punk bis Kylie Minogue. Sie sind aber auch Kondensate gesellschaftlicher Verhältnisse, von Rassismus und Eurozentrismus bis zu Vereinzelung und Existenzangst. Während vor dem Club eine Flüchtende ihr Mantra "Um die Welt - um die Welt" intoniert, wird drinnen Leistungsideologie performt: "Arbeite - Härter - (...) Komm noch - Früher - Bleib noch - Länger - Und der - Spaß der - Nimmt kein - Ende." Zur der lyrischen Kommando-Ethik passt das Bühnenbild von Yanjun Hu. Drinnen wird auf drei Laufbändern gefeiert, draußen strampeln sich die Flüchtenden auf schäbigen Fahrrädern ab.

Ein Land wird zum Club, ein Club der irgendwann blutig implodiert. "Disko" ist eine bizarre Parabel auf das beschämende Ende der deutschen Willkommenskultur. Dabei war die Party, war die Lage ja nie aussichtslos. Wenn das Denken in Loops stattfindet, ist das allerdings nur noch schwer zu erkennen.

© SZ vom 13.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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