Literatur:Lichtwechsel

Literatur: "Wer mein Schweigen nicht annimmt, dem habe ich nichts zu sagen": der Dichter Wolfgang Bächler (1925 bis 2007).

"Wer mein Schweigen nicht annimmt, dem habe ich nichts zu sagen": der Dichter Wolfgang Bächler (1925 bis 2007).

(Foto: Isolde Ohlbaum)

Wolfgang Bächler war ein großartiger Schriftsteller, doch der Literaturbetrieb wies ihn immer wieder ab. Eine anekdotenreiche Tagung erinnert an den schwierigen Münchner Künstler

Von Sabine Reithmaier

Vögel brauche er, Fische / mit Menschen aber habe er's schwer // Nicht, daß er nicht / grün sein ließe / Wiesen und Bäume // Wer aber verstünde das Vereisen der Seen mitten im Sommer? // Ausbrechen / in die Freiheit des Schweigens / Das wär's ..." Seine bipolare Störung hat Wolfgang Bächler nicht daran gehindert, ein großartiger Dichter zu sein. Doch der Literaturbetrieb reagierte auf sein beständiges Schwanken zwischen manischen und depressiven Phasen mit harscher Ablehnung, verweigerte dem einst in einem Atemzug mit Günter Eich oder Ingeborg Bachmann genannten Lyriker jeglichen namhaften Literaturpreis. Schwer zu verstehen ist auch, warum das jüngste und in München lebende Gründungsmitglied der Gruppe 47 nicht in die Akademie der Schönen Künste berufen wurde. Oder warum es bis heute keine Ausstellung mit seinen Autografen in der Monacensia gegeben hat, was er sich selbst - Bächler starb 2007 - so sehnlich gewünscht hatte.

Einen ersten Versuch, diese und andere Fragen zu beantworten und den Schriftsteller vor dem Vergessen zu bewahren, bot der "Tag für Wolfgang Bächler", eine Gemeinschaftsaktion des Instituts für Deutsche Philologie, der Monacensia und der Stiftung Lyrik Kabinett, die den Raum zur Verfügung stellte. Präsentiert wurden erste Forschungsergebnisse, eine amüsante Podiumsdiskussion mit Weggefährten des Dichters und - zum Glück - viele, viele Gedichte aus seiner gesamten Schaffenszeit. Mit den grandiosen Versen Bächlers im Ohr fiel es leichter, sich auf ein vielschichtiges Bild des Schriftstellers einzulassen und ihn nicht auf seine Krankheit zu reduzieren. Nichte Katja Bächler war sich trotzdem sicher: "Wenn die Krankheit nicht oft so im Vordergrund gestanden hätte, wäre es für ihn anders gelaufen. "

1925 in Augsburg geboren, muss Bächler unmittelbar nach dem Abitur in den Krieg, wo er 1944 in den französischen Alpen schwer verwundet wird. Den Versuch, danach in München Romanistik, Germanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften zu studieren, bricht Bächler 1948 ab. Er zieht zurück ins Elternhaus nach Memmingen, veröffentlicht Texte in Zeitschriften und Rundfunk. 1950 erscheint der erste Gedichtband "Die Zisterne", fünf Jahre später folgt "Lichtwechsel", beide hoch gerühmt. Nach zehn Jahren in Frankreich kehrt der damals sehr präsente Autor 1967 nach München zurück, schreibt weiter Gedichte und Prosa, übersetzt, spielt in Filmen mit.

Den Dichter und Verleger Michael Krüger lernt Bächler in Berlin in einem Hotel kennen. Eigentlich ist Kaffeetrinken geplant, aber Bächler hat sich in seinem Zimmer verbarrikadiert, weigert sich zu öffnen, weil draußen der Geheimdienst auf ihn lauere, um ihn ins Gefängnis zu bringen - ein Vorgeschmack darauf, was Krüger im Laufe der lebenslangen Freundschaft mit Bächler noch erleben sollte.

Als der Dichter kurz darauf nach München zurückkehrt, zieht er zu Krüger, der Jahrzehnte später im Lyrik Kabinett noch leicht erschüttert wirkt ob der Fähigkeit Bächlers, innerhalb von drei Minuten ein "unvorstellbares Chaos" (Krüger) in einer Wohnung zu erzeugen. In dieser schwer manischen Phase plante Bächler, Filme zu drehen, unter anderem mit Jean-Luc Godard. Drei Tage nach dieser Ankündigung rief die Polizei bei Krüger an und erkundigte sich, wo Godard bliebe. Bächler hatte im Reitstall am Englischen Garten zehn Pferde gemietet und sie für den Film in ein Kaffeehaus an der Leopoldstraße bringen lassen. Es oblag Krüger, vom verschobenen Drehbeginn zu faseln und den Rücktransport der Rösser zu organisieren.

Ein anderes Mal wollte die Polizei den spärlich bekleideten Bächler bereits mitnehmen, als Krüger, mitten in der Nacht von einem Anruf Martin Walsers aufgeschreckt, in dem Münchner Hotel ankam. Bächler war zufällig an dem Hotel vorbeigegangen, als ihm der Schlüssel einfiel, den er seinerzeit nicht abgegeben hatte und der just zu einem Zimmer im dritten Stock gehörte. Als Lisa Fitz, die eigentliche Bewohnerin, zurückkam, fand sie einen nackten Mann vor, der umgeben von Fotos auf dem Boden saß und ihr verkündete, er bereite einen Film vor, sie dürfe die Hauptrolle spielen, Walser schreibe das Drehbuch.

Als Regisseur agierte Bächler nie, wohl aber als Schauspieler oder Statist. Der Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek listete an die zehn Filme auf, in denen Bächler mitwirkte, ob in Völker Schlöndorffs "Baal" (1969), Hannes Springs Dokumentation "Adele Spitzeder oder das Märchen von den Zinsen" (1992) oder "Deutschland im Herbst" (1978). In der "Blechtrommel" fand er Bächler nicht, obwohl dessen Beteiligung daran ständig kolportiert wird.

Bächler machte für seine Depressionen seinen Vater verantwortlich, einen erfolgreichen Juristen. Er habe ihm systematisch Minderwertigkeitskomplexe anerzogen, sagte er in "Schräg im Nichts", einem Filmporträt Vera Botterbuschs, das am Vorabend der Tagung gezeigt worden war. Aber allein die schiere Anzahl von 600 Briefen an den Vater, die im Nachlass liegen, bezeugen eine kontinuierliche Beziehung. Eine Kausalität zu seiner Krankheit lasse sich nicht herstellen, konstatierte Katja Bächler, der Vater habe den Sohn auch in späteren Jahren finanziell unterstützt. Doch der Respekt vor ihm habe an Angst gegrenzt, präzisierte Krüger, der Sohn habe sich als Versager gefühlt. Als Beleg einer sinnvollen Beschäftigung dem Vater gegenüber hätte ihm ein Literaturpreis gegolten oder eben die Berufung in die Akademie. Aber er durfte dort nicht einmal lesen. Was für eine Demütigung.

Von der Ablehnung durch den Literaturbetrieb berichtete auch die Autorin Verena Nolte, damals Mitarbeiterin im Kulturreferat der Stadt. Sie erinnerte sich an einen Besuch bei Hans Werner Richter, dem Gründer der Gruppe 47, der auf den Namen Bächler nur mit einem Aufschrei und vehementer Zurückweisung reagierte. "An diese Mauer ist man immer gestoßen, wenn man etwas für Bächler tun wollte", sagte Nolte. Freilich forderte der Dichter seiner Umwelt viel ab, ließ Lesungen platzen oder gab, unentwegt redend, das Mikrofon nicht mehr frei. "Er war nicht fein, er konnte peinlich sein", sagte Autor und Verleger Kevin Perryman, der Bächler ins Englische übersetzt hat. "Er wollte geliebt werden. Wo er auch hinschaute, wurde er nicht in der Art geliebt, die er brauchte." Mit seinen politischen Ansichten ging er manchen "unheimlich auf den Wecker" (Krüger). Bächler fand sich mit der Teilung der Welt in Ost und West nicht ab, versuchte in langen Telefongesprächen, die Spaltung zu überwinden. Seine Ansichten fanden auch Eingang in Gedichte und Texte.

Christian Metz hatte am Vormittag die poetischen Prinzipien Bächlers analysiert und neben der radikalen Vertikalisierung der Welt in den Gedichten auch herausgearbeitet, dass Bächler für seelische Befindlichkeiten Naturbilder fand. Dass er einer der wichtigsten Naturlyriker des 20. Jahrhunderts war, unterstrich auch Andrea Bartl, Literaturprofessorin der Uni Bamberg. Waldemar Fromm widmete sich dem Traummotiv im Werk Bächlers, der aus therapeutischen Gründen lang ein Traumtagebuch führte. Frank Schmitter von der Monacensia erzählte noch einmal die traurige Geschichte vom Nachlass. Der Kettenraucher Bächler hatte 1992 einen Wohnungsbrand verursacht, bei dem die 20 Aktenordner mit seiner Korrespondenz, darunter Briefwechsel mit Peter Huchel, Paul Celan, Karl Krolow oder Walser, angekokelt wurden. Die Stadt München, der er diesen Vorlass verkauft hatte, ließ die Ordner in ein Magazin im Gasteig transportieren. Sechs Jahre später war ein Drittel der Unterlagen verschwunden, "vermutlich versehentlich geschreddert". Bächler erfuhr nichts davon. "Wir haben uns nie getraut, es ihm zu sagen", sagte Verena Nolte. Für eine Ausstellung in der Monacensia würden die Unterlagen aber locker noch reichen.

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