Pflegeprodukte für Männer:Hart im Cremen

Pflegeprodukte für Männer: Warum nicht gleich unter der Dusche auch die Zähne putzen und, wo das Wasser eh schon läuft, auch etwas anderes laufen lassen?

Warum nicht gleich unter der Dusche auch die Zähne putzen und, wo das Wasser eh schon läuft, auch etwas anderes laufen lassen?

(Foto: Jessy Asmus)

Sie heißen "Man Cave", "Bull Dog" oder "The Bluebeard's Revenge", stehen gerne mal im Backsteinregal und sollen echte Kerle schöner machen. Über die Lust am gut gepflegten Klischee.

Von Jan Kedves

Deutschland im Jahr 2019: Der Wecker klingelt, der Mann schleppt sich grummelnd ins Bad, der Krieg beginnt. Gemeint ist der morgendliche Krieg gegen die Zeit, den Wildwuchs und die Verweichlichung. "Xtreme Intense", "Energy Kick" oder "Victory League" steht auf den 2-in-1-Duschgels, die er für Körper und Haar benutzt, weil die Uhr rennt. Warum nicht gleich unter der Dusche auch die Zähne putzen und, wo das Wasser eh schon läuft, auch etwas anderes laufen lassen? Wieder Zeit gespart.

Danach rasiert der Mann sich, ratzfatz, das reizt die Haut, also haut er sich danach Balsam ins Gesicht. Früher war Aftershave männlich, "Old Spice" oder "Tabac", aber das brannte schon arg auf der Haut, abgesehen davon will heute niemand mehr alt sein oder Raucher. Balsam ist schon besser, aber oh weh: Steht da etwa "sensitiv" auf dem Spender? Da muss der Mann sich gleich noch ein bisschen härter eincremen und grimmiger in den Spiegel schauen.

Ja, es ist schon ein Kreuz mit den Männern und der Körperpflege-Routine. Allein das Wort "Pflege" ist heikel, denn Pflege ist doch etwas, von dem Männer denken, dass es nur Frauen nötig haben. Sich mit Lotions und dem Inhalt teurer Ampullen verwöhnen, alles geduldig einmassieren, die Haut fürs hübsche Aussehen pampern, quasi die Jugendlichkeit mit Fingerspitzen aus dem Inneren hervorkitzeln - Männer tun so etwas nicht. Eigentlich. Doch zum Glück gibt es Gender-Marketing. Es erklärt den Männern, dass das, was sie da gerade machen - und was sie ja immer häufiger machen, denn der Markt für Männerkosmetik wächst stetig -, etwas ganz anderes ist. Etwas sehr Männliches nämlich. So männlich wie James Bond, mindestens. Kein Wunder also, dass der Beautyriese Procter & Gamble längst den Duft "James Bond 007" auf den Markt gebracht hat. Der riecht so maskulin, dass er nicht mal "Mein Name ist .

.." sagen muss, und schon fällt ihm die Frau in die Arme. Die Autorin Margarete Stokowski hat vor einigen Wochen die gesamte Absurdität der Männlichkeitsrituale im Bad in ihrer Spiegel Online-Kolumne sehr schön aufgespießt. Da wütete gerade der Shitstorm um den jüngsten Werbespot von Gillette. Der bricht auf ziemlich überraschende Weise mit der Erwartung, dass Männer, die sich morgens mit scharfen Klingen durchs Gesicht fahren, von der Werbung unbedingt gesagt bekommen müssen, was für tolle harte Kerle sie doch sind. "Klassische Männlichkeit ist ein so fragiles Gut, dass sie überall gestützt werden muss, wo sie nur minimal gefährdet erscheint", kommentierte Stokowski die Entrüstung, mit der viele Männer darauf reagierten, dass der Rasierklingenhersteller - ihr Rasierklingenhersteller! - sich erdreistet, in seiner Werbung bei "Me Too" mitzumachen, und sich gegen toxische Maskulinität aussprach. Verrat!

Auf Youtube ist der Spot seit Mitte Januar knapp 30 Millionen Mal angeklickt worden. Er zeigt unter anderem, wie ein Mann einem anderen auf der Straße erklärt, es sei "nicht cool", dass er gerade einer Frau "Wow!" hinterhergerufen habe und ihr nachlaufen wollte. Der Spot zeigt auch, wie bei einer Familien-Grillparty zwei kleine Jungs miteinander raufen, wobei der eine stärker zu sein scheint als der unten liegende. Statt mit dem üblichen "Boys will be boys"-Schulterzucken darauf zu reagieren, geht ein Vater dazwischen und erklärt seinem Sohn: "So gehen wir nicht miteinander um, okay?" Die Botschaft: Übergriffiges, aggressives Verhalten ist ein Männlichkeitsideal, das Jungen von klein auf anerzogen wird, und das sollte sich ändern.

Wenn viele Männer sich über diese Botschaft derart aufregen, dass sie in den sozialen Medien den Hashtag "#boycottgillette" teilen und Videos von sich posten, wie sie ihre Gillette-Klingen wegschmeißen - was bedeutet das dann? "Mit einer Firma, die sich gegen Belästigung und Gewalt einsetzt, will man nicht in Verbindung gebracht werden, wenn man Überlegenheit und Aggression immer noch für das Beste im Mann hält", schreibt Stokowski in ihrer Kolumne. Volltreffer!

Nun scheinen allerdings Aggression und Überlegenheitsdenken genau das zu sein, worauf sich am wenigsten verzichten lässt, wenn Kosmetik an den Mann gebracht werden soll. Da sind ja nicht nur die ganzen Power-Adjektive, die auf den Plastikflaschen, Tuben und Dosen prangen, natürlich auf Englisch: "Ready", "Active", "Strong". Sondern da sind auch die Namen und Logos vieler neuer Kosmetikmarken, die sich speziell an Männer richten. Sie tragen so archaische Namen wie "Man Cave" - Pflegeprodukte für Typen, die sich mit der Primitivität des Höhlenmenschen identifizieren (gibt's natürlich auch im "Survival Set") - oder werben wie "The Bluebeard's Revenge" mit Totenkopf-Logo für eine perfekte Rasur. Auf der Metalldose der "Uppercut"-Pomade schlagen sich zwei Boxer die Köpfe ein. Und "Bull Dog" verkauft Cremes, Duschgels und, na hoppla!, Peelings aus natürlichen Zutaten für Männer, denen Weleda irgendwie zu weich klingt. Der Slogan: "Du brauchst nicht auszusehen wie ein faltiges altes Tier." Anders als bei Weleda geht das nicht ganz ohne leiden: Die "Original"-Version des Bull-Dog-Duschgels britzelt und brennt dank Menthol an den empfindlichen Stellen des Männerkörpers.

Noch mehr Bulldoggen, Boxer, Totenköpfe und Neandertaler

Vieles davon mag (halb-)ironisch gemeint sein. Auffällig ist aber, dass die Betonung der Maskulinität eskaliert, während der Markt für Männerkosmetik immer weiter wächst. Logisch wäre es doch eigentlich andersherum: Je mehr Männer Kosmetikprodukte kaufen, desto entspannter müsste ihr Verhältnis zum Thema werden, und desto genderneutraler könnte das Marketing sein. Das Marktforschungsinstitut Research and Markets geht davon aus, dass der globale Markt für Männerpflege bis zum Jahr 2023 jährlich um 5,3 Prozent wachsen wird, auf dann fast 80 Milliarden US-Dollar. Währenddessen prognostiziert der deutsche Industrieverband Körperpflege und Waschmittel in seiner aktuellen Zukunftsstudie, dass das "Comeback ursprünglicher, überinszenierter Männlichkeit" in der Schönheitspflege "die Märkte noch weiter dominieren" wird. Noch mehr Bulldoggen, Boxer, Totenköpfe und Neandertaler also.

Das ist eine schlechte Nachricht für Männer. Denn es bedeutet ja: Je besser eingecremt und gepflegt sie sind, desto mehr stecken sie doch im Panzer der Männlichkeit fest. Was, spitz gesagt, wohl der Beweis dafür wäre, dass Männlichkeit eines nun wirklich nicht ist: logisch.

Natürlich ist Kosmetik längst nicht das einzige Beispiel dafür, dass Männer eine quasi neurotische Tendenz zum Überkompensieren haben, sobald sie sich auf ein Terrain begeben, das früher - ähnlich wie Kosmetik - eine Frauendomäne war. Da wäre Yoga. Die Vorzüge dieser körperlich anstrengenden, mental beruhigenden Praxis haben früher fast nur Frauen genossen, jetzt tun es auch immer mehr Männer. Statt einfach selbstverständlich auf ihrer Matte zu stehen, nennen sie sich "Yoga-Dudes", also: Yoga-Kerls, und sie tauschen sich auf eigenen Blogs darüber aus, ob sie in Stretchhosen lächerlich, oder: unmännlich aussehen. Manche von ihnen tragen sogar Shirts mit der Aufschrift: "Make Yoga Male Again". Hoffentlich können die Frauen im Yogastudio darüber lachen. Und kaum sind Väter so weit, dass sie sich auch gerne mal ums Baby kümmern, was grundsätzlich ja wunderbar ist, gibt es alle möglichen Superkinderwagen mit den Logos von Ferrari, Mercedes-Benz oder BMW. Mit solchen Auto-Lizenz-Buggys lässt sich die Angst des Mannes vor öffentlicher Verweichlichung durch Babyschieben scheinbar gut überspielen, die Räder haben eine Doppelspeichen-Alufelgen-Optik wie der SUV oder der Sportwagen in der Garage. Turbo!

James Bond lässt grüßen

Männlichkeit andauernd so beweisen und überperformen zu müssen, ist aber vor allem eines: anstrengend. Gerade weil Männlichkeit so fragil ist. Darauf hebt auch der Männerstil-Experte Fabian Hart ab. In seiner Online-Kolumne für die deutsche Vogue schrieb er kürzlich: "Pflegeprodukte könnten sinnvolle Trainingsgeräte sein für männliches Feingefühl, doch die meisten trainieren keine Soft Skills, sondern stärken gemachte Klischees." Hart findet den Genderwahn in der Kosmetik-Vermarktung nervig. In seinen Kolumnen und Instagram-Posts macht er sich lustig darüber, dass Männerparfüms immer aussehen müssen "wie Handgranaten und Fäuste", James Bond lässt grüßen. Dass Männern suggeriert wird, sie bräuchten unbedingt spezielle Cremes, findet Hart falsch: "Männerhaut mag dicker sein, aber im Endeffekt sind wir alle nur sensible Körper mit Mischhaut."

Besonders übel stößt Hart auf, dass Europas größte Drogeriemarktkette dm nun angekündigt hat, ab März in ihren knapp zweitausend Filialen in Deutschland nahezu flächendeckend eine "neue Männerwelt" einzurichten, womit gemeint ist: ein eigenes Regal nur für Männerpflegeprodukte. Das soll "bewusst anders gestaltet" sein, verspricht die dm-Pressemitteilung, und wie soll es heißen? "Seinz." Und hier geht dann scheinbar alles noch einmal von vorne los: Weil "Pflegeregal" zu weich klingt, denkt man bei dm, dass Männer ein hartes "Z" brauchen. Und den Punkt danach gibt es noch, weil am dm-Männerregal natürlich nicht gefaselt wird - darüber, mit welchen Cremes die Kumpelz sich so einreiben, oder watt? Nee, hier wird kurzer Prozess gemacht, nützt ja nix, Produkt in den Einkaufskorb geschmissen und fertig - Punkt! "Seinz. Für Männer wie unz." So heißt es wirklich.

Wollte man die Geschlechtertrennung nicht mal abschaffen?

Das ist krank. Oder traurig. Oder beides. Für dm-Geschäftsführer Christoph Werner ist es nur kundenfreundlich: "Wir möchten Männern den Einkauf in unseren Märkten so angenehm wie möglich gestalten", lässt er sich in der dm-Pressemitteilung zitieren. Als müsse es für Männer automatisch sehr unangenehm, ja quasi unerträglich sein, wenn sie ihre Bull-Dog- oder Xtreme-Produkte aus demselben Regal greifen müssen, in dem auch die Produkte für Frauen stehen. Wollte man die Geschlechtertrennung nicht mal abschaffen?

Bei dm wird sie jetzt wieder eingeführt. In Hamburg in der Filiale am Rathausmarkt gibt es so ein Seinz-Regal schon. An der Wand dahinter klebt, kein Witz, eine graue Backstein-Fototapete. Als gäbe es im Jahr 2019 kein passenderes Bild für den krampfhaften Versuch, Männlichkeit irgendwie zu stabilisieren, als mit einer Mauer aus Papier. Fabian Hart findet es lächerlich, dass "man Fake-Wände um Männerprodukte bauen muss, um sie vom restlichen Sortiment abzugrenzen, weil das ja Frauenkram sein könnte".

Die Seinz-Regale sind ein Schritt in die völlig falsche Richtung, anders kann man es nicht sagen. Wobei Männer die Backsteinregale und Bull-Dog-Cremes dieser Welt natürlich einfach boykottieren könnten. Und womit sollen sie sich dann eincremen? Na, mit Produkten für Frauen vielleicht. Schädlich für die Haut wäre das jedenfalls nicht. Nur ihre Männlichkeit müssten sie sich dann anderweitig beweisen.

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