Profil:Joan Baez

Profil: undefined
(Foto: AFP)

Eine fast heilige Johanna und stets politische Sängerin auf Abschiedstournee

Von Kurt Kister

Es gibt Leute, die meinen, die wichtig- ste Veranstaltung an diesem Wochen- ende in München sei die Sicherheitskonferenz, die früher mal weniger euphemistisch Wehrkundetagung hieß. Allerdings spricht auch manches dafür, dass die wichtigste Veranstaltung am Samstag das Konzert von Joan Baez im Gasteig ist. Die Sängerin mit der immer noch fast bergbachklaren Stimme absolviert eine längere Abschiedstournee: Im Februar tritt sie in München, Frankfurt und Hamburg auf, im Juli findet ihr möglicherweise letztes Deutschland-Konzert in Füssen statt.

Joan Baez ist vor ein paar Wochen 78 Jahre alt geworden, und diese Zahl macht den Wunsch noch dringlicher, der in dem von ihr schon 1974 so zu Herzen gehend gecoverten Dylan-Song steckt: may you stay forever young. In diesem Lied heißt es auch, dass man mutig und aufrecht durchs Leben gehen solle. Das hat Baez stets sehr ernst genommen.

Sie ist die Tochter eines in Mexiko geborenen Vaters und einer aus Schottland stammenden Mutter. Und sie ist viel mehr als eine aus der Folkszene hervorgegangene Sängerin. Sie ist immer noch so etwas wie die Verkörperung jenes guten Amerikas, das sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gegen Rassismus, Kriegspolitik und Ausbeutung im eigenen Land und auf der ganzen Welt stellte. Sie war der ultimative Gutmensch, lange bevor Schlechtmenschen diesen Begriff als herablassende Beleidigung missbrauchten.

Joan Baez sang für Martin Luther King und marschierte mit ihm auf Washington; sie ging ins Gefängnis, weil sie zu zivilem Ungehorsam und zur Verweigerung des Kriegsdienstes aufrief; sie war Weihnachten 1972 in Hanoi während der schwersten Bombenangriffe der US Air Force auf Nordvietnam. Die unbedingte Pazifistin lebte das, was sie sang, und sie sang das, was sie lebte. Sie ist eine ungemein starke Frau, die jahrzehntelang bewiesen hat, dass Überzeugung und Musik tatsächlich die Welt besser machen können - und sei es nur ein wenig. Joan Baez war nie eine Politikerin, und dennoch hat sie mehr bewegt - Hirne und Herzen - als viele Abgeordnete, Minister oder Besucher von Sicherheitskonferenzen.

Zwar polarisiert Baez heute nicht mehr so stark wie zu jenen Zeiten, als sie für die einen die heilige Johanna, für die anderen aber eine Kryptokommunistin und Vaterlandsverräterin war. Sie ist, das bringt das Alter mit sich, auch eine lebende Erinnerung daran, welche Träume ihre vielen Fans hatten, als sie auf Demos 1969 oder 1983 "We Shall Overcome" sangen.

Baez' zumeist irgendwie öffentliches Privatleben ist auch wegen ihrer melancholisch-weisen Liebeslieder Teil ihrer Legende. Sie war mit Bob Dylan nicht nur musikalisch liiert, den sie in einem ihrer besten Songs ein unwashed phenomenon nannte, ein ungewaschenes Phänomen. Sie liebte ihn for a while und warf ihm seine Standpunktlosigkeit vor, die er lyrisch verbrämte. Über manche ihrer Männer sang sie, über andere nicht. Einige von ihnen, wie Dylan oder Steve Jobs, der Apple-Mann, mit dem sie Anfang der Achtziger eine Beziehung hatte, waren sehr berühmt, andere gar nicht.

Baez' Karriere als Musikerin war in den Jahren der Folk- und Protestbewegung steil; danach flachte sie etwas ab, auch wenn die Sängerin immer, nicht zuletzt in Europa, eine ausdauernde Gemeinde hatte. Den Humor, so sagen auch wohlmeinende Kritiker, hat sie nicht gerade erfunden, aber das ist heute in Zeiten der Dauerironisierung nicht unbedingt schädlich. Baez ist eine überwiegend ernste Künstlerin, die allerdings im Alter etwas lockerer geworden ist.

In ihrem Song über die lange verflossene Liebe zu Dylan heißt es: Wir beide wissen, was Erinnerungen mit sich bringen können, sie bringen Diamanten und Rost. Für all jene, die in den nächsten Wochen Joan Baez' Abschied von der Bühne erleben, werden es wohl fast nur Diamanten sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: